Mittelalterliches Belagerungsgeschütz: BLIDE oder TRÉBUCHET

Kaum eine Epoche der Geschichte ist heute so populär wie das Mittelalter, jener Zeitraum zwischen Antike und Beginn der Neuzeit, der unter anderem mit Minnesang, Rittergeschichten und Legenden wie der um den Heiligen Gral die Phantasie beflügelt.

Von Dr. Michael Krause / 15.01.2018
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Burgen und Klöster, historische Städte und gewaltige Kathedralen sind bis heute sichtbare und überaus imposante Hinterlassenschaften jener Geschichtsperiode. 

Der Aufstieg der christlichen Kirche zur mächtigsten Institution, die Entstehung bedeutender Feudalstaaten, aber auch die Herausbildung einer neuen Gesellschaftsschicht, des Städtebürgertums sowie die Entwicklung mächtiger Bündnisse wie der Hanse sind nur einige Meilensteine aus dieser Zeit.

Dabei ist die Geschichte des Mittelalters vor allem auch eine Abfolge von Kriegen, Fehden und militärischen Auseinandersetzungen. Burgen und befestigte Städte waren Stützunkte der herrschenden Schicht, des Feudaladels, aber auch Ausgangspunkte und Zielobjekte von Konflikten und herausragende Ereignisse wie die Kreuzzüge – der Kampf zwischen Christentum und Islam um den Nahen Osten – oder gewaltige Auseinandersetzungen zwischen Feudalstaaten wie der Hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich standen und stehen bis heute im Mittelpunkt von Sichtweise und Berichterstattung.

Historische Filme wie „Bravehart“, „Ironclad“ oder „Königreich der Himmel“ prägen unser Bild jener Zeit und regen unsere Phantasie an. Auch wenn dadurch nicht immer ein besonders korrektes Bild der historischen Wirklichkeit entsteht, haben wir doch bei Besuchen historischer Objekte die Möglichkeit, uns zumindest Eindrücke aus der Geschichte zu verschaffen.

 

Die großartigen und oft überaus malerischen Zeugen des Mittelalters zur Besichtigung sind ein wichtiger Bestandteil unserer Reiseprogramme, ja ihre Zusammenstellung veranlasst viele Menschen erst dazu, bestimmte Reisen überhaupt zu machen.

„Zeitreisen“ im Sinne anschaulicher, erlebbarer Geschichte werden so bei vielen Reiseprogrammen möglich und manche Regionen oder Besonderheiten sind besonders hervorhebenswert.

Wer Filme wie „Königreich der Himmel“ gesehen hat, der erinnert sich an die Kämpfe um Burgen und Städte, mit aufwendigen Belagerungen und heroischen Verteidigern. Aber wie war das wirklich? Wie eine Burg oder Stadtmauer aussieht, ist eigentlich jedermann bekannt – aber wie sah z.B. die Belagerungstechnik aus, bevor es moderne Waffen wie Granatwerfer, Panzer und Kanonen gab – denn auch die primitivsten, mit Schießpulver funktionierenden Fernwaffen, gab es erst seit dem 14. Jahrhundert in Europa.

Seit der Antike waren hingegen große Schleuderwaffen bekannt: Katapulte, die Steine schleuderten oder Ballisten, die vor allem riesige Pfeile verschossen. Aus Funden – spärlich genug, da die Waffen zumeist aus vergänglichem Holz waren und irgendwann demontiert wurden – Berichten über Schlachten und Belagerungen und aus wenigen erhaltenen Abbildungen, kann man sie jedoch rekonstruieren.

Die größten dieser Belagerungs- und Wurfwaffen waren die in Europa – während der Kreuzzüge beispielsweise oder bei Belagerungen von Städten oder Burgen – verwendeten BLIDEN (vom griechischen Wort „palida“ für Schleudern) , die im französischen Sprachgebrauch TRÉBUCHET (von Lateinisch „trabatium“) genannt wurden.

 

Bis 300 Meter weit konnten die gewaltigen Belagerungsmaschinen Steine von 30 Kilogramm schleudern und damit ziemliche Verheerungen anrichten.     

Diese Schleudern funktionierten nach dem Prinzip, dass ein Hebel- oder Wurfarm durch ein (Gegen-)gewicht auf der kurzen Armseite bewegt wird, wodurch die lange Armseite nach oben schnellt. An ihr ist eine Schlinge befestigt, in der das Geschoss ruht, bis es durch die plötzliche Beschleunigung weggeschleudert wird.

Inzwischen gibt es auf vielen europäischen Burgen Rekonstruktionen in Originalgröße, von denen einige voll funktionsfähig sind und beweisen, dass diese Art Belagerungsgerät tatsächlich effektvoll eingesetzt werden konnte.

Ein besonderes Erlebnis und eine wirkliche „Zeitreise“ ist es, mitzuerleben, wie ein solches Belagerungsgeschütz zum Abschuss vorbereitet wird und dann tatsächlich einen riesigen Stein durch die Luft schleudert. Unsere Reisenden können sich diese „Show“ in Warwick Castle während unserer Reise England – Wales – Schottland gönnen, denn „Englands besterhaltene Burg“ beherbergt seit 2005 eines der weltweit größten funktionstüchtigen Trebuchets. Mit 18 Meter hohem Wurfarm und einem Gewicht von etwa 22 Tonnen gelang diesem Geschütz 2006 der bisher ungebrochene Rekord, einen 13 Kilogramm schweren Stein 250 Meter weit zu schleudern.

Jeden Tag im Sommer wird dieses historische Gerät zweimal am Tag geladen und unter dem Beifall der Zuschauer und mit vielen Erklärungen und Showeffekten abgefeuert. Zwei Laufräder, vier Meter hoch, in denen je vier Männer eine halbe Stunde laufen müssen, um den kurzen Abschnitt des Wurfarms mit seinem Gegengewicht, einem mit großen Steinen gefüllten hölzernen Kasten, noch oben zu befördern, sorgen dafür, dass das Trébuchet „geladen“ wird. Dabei bewegt sich die lange Wurfarmseite nach unten und in die inzwischen auf dem Boden liegende Wurfschlinge wird ein Stein eingelegt. Auf Kommando wird die Sperre gelöst, der an der kurzen Armseite befestigte Steinkasten sackt nach unten und reisst sein langes Gegenstück plötzlich in die Höhe. Der Stein verlässt die am Wurfarm befestigte Schlinge und wird ziemlich präzise über eine weite Strecke in die angezielte Richtung geschleudert.

Es ist schon ein etwas bewegendes Gefühl, in unserer hochtechnisierten Zeit der ferngesteuerten Drohnen und fortgeschrittenen Raketentechnik den Abschuss eines solchen mittelalterlichen Belagerungsgeschützes zu beobachten, das allein aus natürlichen Materialien – unter anderem etwa 300 Eichenholzteilen – zusammengesetzt ist und rein mechanisch durch Ausnutzung von Schwerkraft und Hebelwirkung funktioniert. Trotz ihrer relativen Einfachheit war diese Art von Belagerungsgeschütz die größte und wohl auch präziseste der historischen Fernwaffen und Belagerungsgerätschaften.



Schafe Dartmoor Sedbgergh England – © Radomir Rezny / Capture Light - Adobe Stock

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