Reisebericht: Rundreise Madrid und Zentral–Spanien

07.05. – 13.05.2023, 7 Tage Rundreise Königsschlösser Spaniens – Salamanca – Madrid – Aranjuez – Toledo – Segovia – La Granja – Avila – El Escorial


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Bericht zweier zusammengelegter Reisen in die spanische Hauptstadt und ihre Umgebung mit Salamanca, Ávila, Segovia, La Granja de San Ildefonso, Toledo, einem Abenteuer vor Aranjuez, Aranjeuz und dem Escorial.
Ein Reisebericht von
Andreas Böcker
Andreas Böcker

Sonntag, 7. Mai 2023 – Anreise nach Salamanca

Mit drei verschiedenen Fliegern kommen wir in Madrid an. Zunächst die "Dresdener" und zwei Stunden später, aber fast zeitgleich, die "Münchener" und die "Düsseldorfer". Die "Dresdner" und "Münchener" haben gleich ihr erstes Abenteuer bestanden und sind von Terminal 2 zu Terminal 4 gekommen. Aber wo ist unser Bus? Ich gehe suchen und finde ihn an der Busstation. Der Fahrer stellt sich als Chema (sprich: "Tschema") vor, die Koseform von José Maria.

Auf geht's in Richtung Salamanca. Ich bitte Chema, nicht durch den Tunnel, sondern über den Alto de León (Höhe von León oder Höhe des Löwen) zu fahren. Dort, auf 1511 Metern Höhe, legen wir einen ca. zwanzigminütigen Stopp ein. Die Sierra de Guadarrama (< arab. wadi ar-raml, Sandfluss) ist Naherholungsgebiet für die Madrilenen. Hier kann man im Sommer wandern und im Winter - vorausgesetzt, es schneit und taut nicht zu schnell - Ski fahren. Diesen Winter war es aber zu trocken und viel zu früh viel zu heiß, keine Spur von Schnee.

Am Abend kommen wir in Salamanca an, einige essen im Hotel, andere suchen sich etwas in der Stadt. Nach dem Essen machen wir zu dritt noch eine Runde an der Plaza Mayor vorbei, der Clerecía, der Universität und der Kathedrale. Leider müssen wir feststellen, dass auf der Plaza Mayor eine Büchermesse stattfindet (Feria del libro), das nimmt uns natürlich ein bisschen die Sicht auf diese Plaza Mayor, die als schönste Spaniens gilt.


Montag, 8. Mai 2023 – Salamanca ist himmlisch! (sic!)

Am Morgen holt uns Alicia im Hotel ab, um uns ihre Stadt zu zeigen. Die sympathische Alicia ist sehr besorgt, ob sie mit "der, die, das" alles richtig macht aber tatsächlich sie spricht sehr gutes Deutsch.

Zunächst führt Alicia uns zu einem kleinen Aussichtspunkt ganz in der Nähe unseres Hotels, damit wir die Dimensionen von Clerecía und Kathedrale wahrnehmen können, denn wenn man einmal in der Stadt ist, sagt sie, verschwinden die Gebäude fast. Zumindest lassen sich ihre Dimensionen nicht mehr so leicht erahnen.
Dann geht es stracks in Richtung der Plaza Mayor. Schnell lernen wir, dass Salamanca aus dem Villamayor-Sandstein gebaut ist (in der Altstadt muss man heute die Fassaden mit dem Villamayor-Stein verkleiden), der frischgeschnitten bläßlich-gelb ist, an der Luft aber aufgrund seines Mineralgehalts oxidiert und „nachdunkelt“, weshalb Salamanca auch als die goldene Stadt - la ciudad de oro - bekannt ist.

In den Medaillons rund um die Plaza Mayor - nicht alle sind vergeben - sehen wir neben Königen Spaniens (bis Juan Carlos und "seiner" Sofia [unterschlagen wir mal, dass die Eheleute de facto getrennt sind]) und Personen, die sich um Salamanca verdient gemacht haben, auch Helden der spanischen Geschichte und Künstler. Vom Cid Campeador über Teresa von Ávila bis hin zum Quijote-Verfasser Miguel de Cervantes.
Francisco Francos Medaillon wurde nicht mehr als opportun angesehen und entfernt. Erst vor wenigen Jahren konnte man sich dazu entschließen, dem Diktator die Ehre zu verwehren, einen Platz unter den anderen illustren Personen zu haben.
Alicia stellt uns auch Martín und Martina vor, wie sonst könnte das Storchenpaar wohl heißen, das seit Jahren den Turm der Martinskirche bezieht? Die Störche, die wir klappern hören, sitzen allerdings auf der Clerecía. Der gegenüber besuchen wir das Muschelhaus (Casa de la Concha), früher ein Adelspalast, heute die Stadtbibliothek von Salamanca. Die Gotik hat in Salamanca ihre eigene Bogenform entwickelt, von der wir hier ein erstes Beispiel sehen.
Im Anschluss folgen wir Salamancas "Schinkenstraße" der Calle Mayor, die Martinskirche (direkt dahinter die Plaza Mayor) und Kathedrale miteinander verbindet. Alicia zeigt uns einige Gebäude der Universität, und auch den Himmel von Salamanca (El cielo de Salamanca). Dieses Deckenfresko musste auf Befehl der Inquisition zerstört werden, und Kunsthistoriker dachten, das Werk sei verloren, doch vor einigen Jahren fand man heraus, dass schlicht ein Gewölbe vorgeblendet war und das Werk an sich zu einem Großteil noch erhalten ist. Menos mal (Umso besser)!

Bevor wir die Universität durchlaufen, suchen wir nach Fröschen. Im Grunde genommen sucht man in Salamanca nach _dem_einen_ Frosch. Diesen soll man nicht küssen - im Gegenteil! Heute suchen vor allem Studenten den Frosch, denn die Superstition (der Aberglaube) will, dass, wer den Frosch alleine und ohne Unterstützung findet - auf einer sehr ausgiebig verzierten spätgotisch-frührenaissancistischen Fassade - Glück im Studium hat und ohne Mühe seine Examina besteht. Geradezu antiaufklärerisches Gedankengut an einer der Wissenschaft verpflichteten Einrichtung...

Historisch sah die Geschichte etwas anders aus: Der Frosch sitzt auf einem Totenschädel, dem offensichtlichsten der memeto mori-Motive (gedenke deiner Vergänglichkeit). Der Frosch war das Symbol für die sexuelle Lust und Ausschweifung, die meist männlichen Studierenden sollten, als das Portal um 1500 errichtet wurde, daran erinnert werden, dass sie sich ihren Studien - in Salamanca hauptsächlich der Juristerei - widmen und sich nicht mit den Töchtern der Stadt und vor allem der Tavernenwirte vergnügen sollten.

Den aufmerksamen Lesern wird das "meist männlichen Studierenden" nicht entgangen sein: Tatsächlich rühmt sich Salamanca die Universität zu sein, die um 1500 die ersten Studentinnen zuließ, Luisa de Medrano oder Beatriz Galindo studierten hier um 1500, von Beatriz Galindo, die auch als La Latina bekannt wurde, ist sogar überliefert, dass sie spätestens seit 1508 an der Universität Vorlesungen zu lateinischer Literatur hielt. Zuvor hatte sie die Kinder der Katholischen Könige unterrichtet.

Wir sehen auch den Hörsaal, in dem Fray Luis de León lehrte. Der Augustinermönch hatte Teile der Bibel ins Spanische übersetzt und kam deswegen vor ein Inquisitionsgericht, zudem wurde dem Nachkommen von Konvertiten vorgeworfen zu judaisieren. Als er nach mehreren Jahren Gefängnis wieder zu seinen Studierenden zurückkam, soll er diese gefragt haben: "Wo waren wir gestern stehen geblieben?" (Lat.: "Dicebamus hesterna die - wir sagten am gestrigen Tag").
Trotz seines Konfliktes mit der Inquisition stieg Luis de León in der Hierarchie des Augustinerordens weiter auf und wurde Generalvikar.

Nachdem wir die Universität durchlaufen haben - leider ohne Diplom - wenden wir uns weiteren himmlischen Dingen zu: wir besuchten eine Darstellung Juri Gagarins, in einem Fries der spätgotischen Neuen Kathedrale von Salamanca. Etwas unter ihm sitzt ein Eis essendes Teufelchen. Aber da hatte kein mittelalterlicher Bildhauer Visionen oder etwa eine erstaunlich, prophetische Gabe, oder es handelt sich um Fehlinterpretationen, nein, Ende des 20. Jhdts. wurde dieses Fries erst gestaltet, und dort eingebaut. Die "aktuellen" Bezüge, wie die Darstellung Juri Gagarins oder des Eis essenden Teufelchens brechen bewusst mit dem mittelalterlichen Fries, sie wollen dem Betrachter bewusst machen, dass dieser Teil des Frieses eine Arbeit des 20. Jahrhunderts ist.

In der Kathedrale ging unser Blick nach oben. Gotik halt. Die zieht den Blick nach oben, wie Alicia bemerkt. Wir sehen uns zunächst die neue (spätgotisch-renaissancistische) und etwas danach die alte (romanisch-gotische) Kathedrale an, die Wand an Wand stehen, bzw. anders ausgedrückt: Die Nordwand der alten Kathedrale ist Teil der Südwand der neuen Kathedrale, wobei die neue Kathedrale im Hauptschiff etwa doppelt so lang ist, wie die alte. Die neue Kathedrale von Salamanca rühmt sich, über die höchste Kuppel Spaniens zu verfügen. Nach der Kathedrale von Sevilla (die drittgrößte und größte gotische Kathedrale der Welt, Neogotik ausgenommen) ist sie die größte Kathedrale Spaniens.
Alicia zeigt uns aber auch die Bauschäden, welche die Kathedrale durch das Erdbeben von Lissabon 1755 erlitten hat.
Nach dem Besuch der beiden Kathedralen, in der romanischen bewundern wir die mittelalterlichen Wandgemälde und den gotischen Altar, kommen wir noch an der Casa Lis und am Bürgerkriegsarchiv vorbei. Die Casa Lis ist ein Museum für Jugendstilkunst, das Bürgerkriegsarchiv basiert darfauf, dass Salamanca für einige Monate 1936 Sitz von Franco war, der hier Schriftstücke einlagern ließ und 1939, nach dem Ende des Bürgerkriegs befahl, alle Schriftstücke aus den bis dahin republikanisch gehaltenen Gebieten nach Salamanca zu verfrachten. Natürlich nicht, um für spätere Historiker ein zentrales Archiv zu hinterlassen, sondern um politische Gegner und Beteiligte auf der unterlegenen Seite im Bürgerkrieg leichter verfolgen zu können. Nachdem Alicia uns noch auf das Kirchenkunstmuseum im ehemaligen Bischofssitz (und Francos kurzzeitige Residenz) aufmerksam macht, entlässt sie uns gegen Mittag in unsere Freizeit, die wir individuell gestalten.


Dienstag, 9. Mai: Ávila, Segovia, La Granja: Von den Römern ins Mittelalter und in die Zeit nach dem Spanischen Erbfolgekrieg

Heute führt uns unser Weg von Salamanca fort und wir fahren ins beschauliche Ávila. Zunächst machen wir halt bei den Cuatro Postes, vier Säulen, mit Balken obenauf, die rund um ein Granitkreuz stehen. Ein sogenannter Humilladero. Humillar bedeutet auf spanisch, 'erniedrigen', ein Humilladero ist ein Ort, an dem man sich, meist vor einem Kreuz, zu früheren Zeiten niedergeworfen hat, um während einer Reise ein Gebet zu sprechen. Hier vermutlich ein Dankgebet, dass man sein Ziel, Ávila erreicht hat, denn von hier aus hat man einen phantastischen Blick auf einen großen Teil des intakten mittelalterlichen Mauerrings der Stadt.

Kurz darauf treffen wir David - der sich natürlich nicht wie ein deutscher David ['da:vit] spricht, sondern spanisch [da'bi:th] (mit "englischem tee-eitsch"). David zeigt uns die antiken Cisten, welche als Spolien in der mittelalterlichen Stadtmauer verbaut sind. Bei den Cisten handelt es sich um in den Granitstein geschlagene Ascheurnen, in welche die Asche der Verstorbenen gefüllt wird, eine kleine Rinne diente dazu, die Asche der Verstorbenen mit wohlriechenden Ölen zu parfümieren.
Dann durchschreiten wir eines von Ávilas Toren und besuchen die Altstadt mit ihren Adelspalästen, wir sehen uns auch einen der Innenhöfe an. Ganz anders als in Salamanca. Anstatt des Sandsteins sehen wir Granit und natürlich haben wir nicht die Bögen, wie in Salamanca.

Es geht über den Mercado Chico (kleiner Markt), dessen Ausbau auf der Südseite von der Kirche verhindert wurde, zur Kirche Johannes des Täufers, in der wir das Taufbecken der Teresa von Ávila (und vieler anderer unbekannter Menschen) sehen. Anschließend geht es zum „Geburtshaus“ der Teresa von Ávila, deren Großvater ein Konvertit war, dieses ist längst zu einem Klosterkonvent umgestaltet worden und wir sehen, die Geburtskapelle der Teresa, an deren Wände Szenen aus Teresas Leben und - teils erotischen - Träumen bzw. Visionen gepinselt sind. David witzelt, dass Kloster, Kirche und Kapelle natürlich noch nicht existierten, als Teresa geboren wurde. Er schildert uns aber auch, dass Teresa außer als Mystikerin auch als Reformerin (nicht Reformatorin) wichtig war: Auf sie geht die Auszweigung der Unbeschuhten Karmeliterinnen aus dem Karmeliterinnen-Orden zurück. Teresa störte sich an der mangelnden Devotion der meist aus adeligem oder reichem Hause stammenden Nonnen, die oft Dienerinnen hatten. Sie, die selber aus einem betuchten Hause stammte, verlangte von den Schwestern Demut und Verzicht auf Luxus und opulente Haushalte und hatte damit Erfolg. Heute sind die unbeschuhten Karmeliterinnen der größte katholische Frauenorden.

Durch das gegenüber der Klosterkirche liegende Stadttor verließen wir die Altstadt um extramuros in deren südwestliches Umland zu schauen. Am Palacio de los Dávila (< d‘ Ávila) betraten wir die Stadt wieder. David erzählte uns, dass Pedro Dávila aus seinem Palast, der direkt an der Mauer lag, letztere durchbrechen ließ, um über sein eigenes Stadttor zu verfügen. Er wollte damit verhindern, nach den Schließzeiten des Tores die Nacht vor den Mauern der Stadt verbringen zu müssen.
Obwohl die Dávilas [Bracamonte] eine der mächtigsten Familien nicht nur der Stadt, sondern der ganzen Region waren, konnte der Bürgermeister von Ávila den Adeligen zwingen, sein Privattor wieder zu verschließen.
Pedro de Ávila ließ daraufhin ein Fenster in seinem Palast öffnen (intramuros), in das er schreiben ließ: DONDE VNA PVERTA SE CIER[R]A OTRA SE APRE - donde una puerta se cierra, otra se abre - wo eine Tür geschlossen wird, öffnet sich eine andere.

Unser Weg führte uns weiter zu einem der Nordosttore von Ávila, wo Adolfo Suárez eine Statue gewidmet war: La concordia fue posible - die Eintracht war möglich. Dies bezog sich auf die Transición, den Übergang von der Diktatur zur Demokratie, die unter Juan Carlos I. zwischen 1975 und 1978 projektiert war und deren Mastermind der bereits unter Franco als Minister tätige Adolfo Suárez war. Herzog Suárez, Opus Dei-Mann und bei Francos Tod (1975) General-Sekretär der faschistischen Falange, organisierte die Selbstauflösung der franquistischen Ständeversammlung, wurde Ministerpräsident (1976 - 81) für die kurzlebige christsoziale UCD und legalisierte als solcher die kommunistische Partei Spaniens.

Adolfo Suárez liegt heute zusammen mit seiner Ehefrau in der Kathedrale von Ávila bestattet, die unser nächstes Ziel beim Stadtrundgang war. Die Kathedrale - genauer gesagt ihre Apsis - ist Teil der Stadtbefestigung von Ávila. Dieser Teil und ein großer Teil ihrer Mauern ist daher aus demselben Granit errichtet, wie die Stadtmauer und auch die meisten Adelspaläste der Stadt. In der Kathedrale sehen wir aber auch viel Buntsandstein, der ein interessantes Farbenspiel zeigt, besonders auch dort, wo die Sonne durch Buntglasfenster das rot-grau-gelbe Farbenspiel des Sandsteins um Blau- und Grüntöne bereichert.

Etwas Zeit verbringen wir am Trascoro (in spanischen Kathedralen liegt der Chor oft zwischen Altarraum und Kirchenvolk und versperrt den Blick auf das Geschehen am Altar), dessen bildreiche Darstellung David uns erklärt und am Meisterwerk der Kathedrale, dem Grab des Getoasteten - El Tostado, so hieß der Bischof von Ávila Alonso Fernández de Madrigal mit Spitznamen, weil er, anders als andere Adelige, die ihre vornehme Blässe pflegten (blaues Blut kommt daher, dass Menschen, die nicht in der Sonne arbeiten mussten eben keine sonnengebräunte Haut hatten und die Venen leichter zu sehen waren), stets sonnengebräunt war (und vielleicht auch maurischer Herkunft). Als ihn beim Konzil von Basel der Papst (Martin V.? Eugen IV.?) wegen seiner geringen Körpergröße auslachte, soll El Tostado den Papst mir den Worten, dass in Spanien die Größe eines Mannes beginnend an den Augenbrauen an der Stirn gemessen würde, zur Raison gebracht haben.

Anschließend brachte David uns zurück zum Bus und verabredete sich mit uns in Segovia, wo wir uns nach einer Mittagspause am Aquädukt treffen wollten.

Das Aquädukt von Segovia kündigt sich schon von weitem mit seinen Doppelbögen an. Es ist vermutlich bereits unter Augustus errichtet worden, jedoch ist von Kaiser Traian, also ca. 120 Jahre nach dem mutmaßlichen Bau unter Augustus eine erste Bauinschrift nachweisbar. Das Aquädukt führt Wasser aus einer entfernten Quelle an, überbrückt in seiner monumentalsten Ausgestaltung ein Tal, um dann die höhergelegene Stadt mit Wasser zu versorgen, dort verläuft es unterirdisch bis zum mittelalterlichen Alcázar, der auf den Überresten einer römischen Garnison errichtet sein soll. In der Stadt ist der Verlauf des Aquädukts mit Bronzetäfelchen im Boden in unregelmäßigen Abständen markiert.
Das Aquädukt war bis zum Anschluss der Oberstadt Ávilas an das moderne Wasserversorgungssystem in den 1950er Jahren die wichtigste Wasserversorgung der Oberstadt und musste im Verlauf der Geschichte instand gehalten werden, Bauarbeiten sind etwa im 15. Jhdt. dokumentiert.

Um 14:00 Uhr trafen wir uns also mit David wieder unter dem Aquädukt. Wir stiegen jetzt in die Altstadt hoch, wobei mit Altstadt hier die ummauerte Oberstadt gemeint ist, Segovia verfügt über mittelallterliche Arrabales, die extramuros lagen.
Am ehemaligen Stadttor, wo ein im Jugendstil errichtetes Haus steigt, zeigte David uns die Casa de los Picos - das Spitzenhaus. Seine abweisend wirkende Straßenfront ist mit 617 pyramidenförmigen Granitspitzen „verziert“. Die Legende besagt, dass der Besitzer, ein reicher Händler, diese Fassadengestaltung wählte, weil sein Haus immer als das „Haus des Juden“ bezeichnet wurde, was ihn gestört habe, weshalb er es so aufwendig umbauen ließ, damit die Leute sein Haus anders bezeichneten. Tatsächlich war die Bauweise aber wohl gewählt, um direkt hinter dem Stadttor gelegen, Macht und Stärke zu demonstrieren. Eine solche Investition wie die Bearbeitung von 617 harten Granitsteinen für das unsichere Ergebnis, dass das aus einen neuen Namen im Volksmund erhielte, ist doch reichlich fragwürdig.

Weiter geht es, zunächst durch die Judería mit ihren SEFARAD-Symbolen - die iberische Halbinsel in den hebräischen Lettern SFRD (S = Samech), wobei das D von Sefarad Portugal darstellt - wie man sie in vielen spanischen Städten, entweder als Bronze- oder Messingplaketten oder als Kacheln an Hauswänden oder im Straßenpflaster ähnlich unseren Stolpersteinen findet - zur Kathedrale. Hier sehen wir unter anderem den „liegenden Christus“ von Gregorio Fernández, einem Barockkünstler der für seine lebensechten Plastiken bekannt geworden ist.

Als wir wieder aus der Kathedrale hinaus sind, folgen wir der unterirdischen römischen Wasserleitung in Richtung des Alcázar, Spaniens Walt-Disney-Schloss.

Auf dem Weg dorthin entdeckt jemand aus der Gruppe einen Schlüsselbund, der in einer Tür steckt. Niemand zu sehen. Was tun? Wir ziehen den Schlüssel ab und geben ihn in einem benachbarten Geschäft ab. „Der steckte in der roten Tür, zwei Häuser weiter.“ „Rote Tür? Weißt du etwas von einer roten Tür, María?“ - Schulterzucken - „Da, wo Don Quijote und Sancho Panza in Schaufenster sitzen.“ „Ah, dann muss das der Schlüssel von José sein.“ mit diesen Worten wird der Schlüssel angenommen und wir können unseren Weg in Richtung des Alcázar guten Gewissens fortsetzen. Hier sehen wir Gemächer Philipps II. - die auch an die Gestaltung seiner Räume im Escorial erinnern, den wir ja noch besuchen würden - und den Thronsaal von seiner Urgroßmutter, der Katholischen Königin Isabel, welche ihre Nichte ausgebootet hatte, indem sie diese - sie ist bis heute als la Beltraneja bekannt, weil ihr Vater eben nicht der König (Heinrich IV., der Impotente) sondern der Liebhaber der Königin, Beltrán, gewesen sein soll - als Kuckuckskind brandmarkte. So folgte Isabel ihrem Bruder auf den Thron und heiratete heimlich den Thronfolger von Aragón, Ferdinand. Diese Hochzeit war Grundlage für die Vereinigung der Königreiche Kastilien-León und Katalonien-Aragón zu Spanien unter ihrem Enkel, dem spanischen König und deutschen Kaiser Karl V.
Im Alcázar befindet sich ein Bild von der Krönung Isabels, welches einen gewissen, wohl ungewollten Gruselfaktor aufweist: die Augen der Figuren sind alle leere, schwarze Höhlen.

Nach dem Besuch der zwei Städte Ávila und Segovia sind wir alle schon ziemlich platt. Bevor bevor wir jedoch endlich wieder die Sierra de Guadarrama (das Gebirge vom sandigen Fluss), überqueren, um unser Hotel in Madrid zu beziehen, haben wir noch eine Verabredung mit La Granja de San Ildefonso. La Granja de San Ildefonso ist eine bourbonische Sommerresidenz, ein am Westhang der Sierra gelegenes Jagdschloss. Während Madrid mit seinen 650 Metern über dem Meeresspiegel im Sommer in seinem eigenen Saft schmorte, konnten sich die Bourbonen im 18. Jhdt. im Hochsommer in dieses auf fast 1.200 Metern gelegene Jagdschlösschen zurückziehen, Bootspartien auf dem nahegelegenen See genießen und sich des Lebens erfreuen. Wir besuchen die Wohnräume des Schlosses und machen noch eine Runde durch den Palastgarten mit seinen Brunnenanlagen. Dann fahren wir endlich in Spaniens Hauptstadt.

Chema kann uns leider nicht bis direkt vors Hotel bringen und da er nicht links abbiegen darf, machen wir noch eine Ehrenrunde über die Gran Vía, dann können wir an der Plaza de España aussteigen und zum Hotel laufen. Die ersten sind schon an der Rezeption, andere noch draußen an der Rampe, als draußen plötzlich Geschrei ertönt. Ein junges Pärchen Taschendiebe hatte sich zwischen zwei Mitreisende gedrängt, um an einen Rucksack zu gelangen, durch das Rufen werden sie aber erfolgreich vertrieben.


Mittwoch, 10. Mai – Madrid in vergrößerter Gruppe

Heute stößt ein weiteres Ehepaar zu uns, dass eine viertägige Madridreise (ES-MADB4) gebucht hatte, wir hatten sie gestern Abend nicht mehr angetroffen, sie hatten ihrerseits einen nicht ganz optimalen Anreisetag, da in Dresden ein Flug gestrichen worden war.

Unser örtlicher Reiseleiter ist Thomas, ein Kunsthistoriker, der in Spanien und Deutschland studiert hat und dann nach Spanien übergesiedelt ist. Thomas, der uns die nächsten zwei Tage begleiten wird, führt uns zunächst die Gran Vía hoch. Er macht uns darauf aufmerksam, wie die verschiedenen Baustile das Bild der Gran Vía prägen, Empire wechselt mit Art Nouveau/Jugendstil mit den nüchternen Formen der dreißiger Jahre und jeder Architekt achtete darauf die Verzierungen in den oberen Etagen nicht zu vergessen. Eine Prachtstraße eben.

Beim Edificio Telefónica, seinerzeit mit 89 m das höchste Gebäude Madrids (1929 - 1953), der erste Wolkenkratzer Madrids, der zweite Spaniens, im spanischen Bürgerkrieg Aussichtsturm für das Oberkommando Madrids und die internationale Presse, biegen wir nach Süden ab. Unser Ziel ist die Puerta de Sol bzw. der nach diesem nicht mehr existenten Stadttor benannte Platz, der eben zur verkehrsberuhigten Zone umgestaltet wird. Kurios, dass auf einem nun autofreien Platz der Nullpunkt der wichtigsten spanischen Autobahnen liegt. Was hier fehlt, kritisiert Thomas, sind schattenspendene Bäume und feuchtigskeitsspendende Begrünung.
Die denkmalgeschützenen Werbungen der 1950er Jahre müssen teilweise umziehen, um dem Apple Store Platz zu machen. Hier ist man ... pragmatisch.

Jetzt geht es weiter ins Madrid de los Austrias, das Madrid der Habsburger. Vor den Habsburgern war Madrid ein kleines Nest, eine Burg über dem Manzanares, die Toledo schützen sollte, kaum mehr. Erst unter den Habsburgern wurde die Siedlung im geographischen Zentrum Spaniens auch zum politischen Zentrum der Halbinsel und des sich entwickelnden Weltreichs, das Süd- und Mesoamerika, sowie Teile der heutigen USA umfasste und bis auf die Philippinen (deren internationaler Name von Philipp II. abgeleitet ist) ausgriff. (Moment mal!!! Was ist mit Portugal und Brasilien?!? - Die gehörten zeitweise auch zum Spanischen Imperium (1580 - 1640).)

Thomas führt uns ins Barrio de Letras, ins Schriftsteller und Theaterviertel und freut sich an der Plaza de Santa Ana, an deren Kopfende das Teatro Español liegt, dass Lope de Vega, Quevedo und Góngora keine Unbekannten sind. Jeden Tag, so berichtet er, verlangte das Theaterpublikum von Madrid ein neues Stück. Das 17. Jhdt. scheint eine gute Zeit für Dramaturgen und Schauspieler gewesen zu sein. Hier, im Barrio de Letras lassen sich die bunt gekachelten Geschäfte und vor allem Bars bewundern.

Weiter geht es in Richtung der Plaza Mayor, wo schon alles für die Feierlichkeiten zu Madrids Stadtheiligen San Isidro Labrador (nicht zu verwechseln mit dem berühmteren Isidor von Sevilla) vorbereitet wird, so wird die schönste Fassade, die der Casa de Panaderos, durch eine Bühne verdeckt. Weiter geht es am ehemaligen Mercado de San Miguel vorbei - wo man sich heute ganz dem Tapeo widmen kann, dem Tapas essen - an Bausünden der Siebziger Jahre und einem Nonnenkonvent entlang zum ehemaligen Rathaus. Von hier aus ziehengen wir weiter zur Almudena-Kathedrale und dem Residenzschloss der spanischen Könige in Madrid (von der spanischen Königsfamilie seit 1931 nicht mehr als Residenz benutzt, auch nach 1975, bei der Wiedereinsetzung der Monarchie nicht). Zur Almudena-Kathedrale erzählt uns Thomas die Legende von der Statue der Almudena, die von den Bewohnern Madrids vor den heranrückenden Mauren in der Mauer versteckt worden sei. Als Madrid im 11. Jhdt. von den Christen erobert wurde, haben die christlichen Soldaten in der Nacht um die Wiederauffindung der Statue gebetet. Da sei die Mauer, welche die Nische, in der die Statue versteckt gewesen sei, verblendete, heruntergebröckelt und habe die Ansicht auf die Statue freigegeben. Aber natürlich wissen wir, dass Almudena ein arabisches Wort ist, al-Mudayna ist die Verkleinerungsform von al-Madina, ‚Stadt‘, und können so die Geschichte leicht ins Reich der Legende verweisen.

Nach einer Kaffeepause an der Plaza de Oriente - Preisfrage: warum heißt ein Platz im Westen der Altstadt von Madrid Ostplatz? - besichtigen wir, nach Beiwohnen des im Vergleich zu London wenig spektakulären Wachwechsels, das Königsschloss.

Wir erfahren von Thomas, dass an der Stelle des klassizistischen bourbonischen Königsschlosses der von den Bourbonen ungeliebte Habsburgerpalast lag, der wohl auch noch Teile der alten arabischen Burg von Madschrit (so hieß das arabische Madrid) umfasste. In de Nacht von Heiligabend auf Weihnachten 1734 brannte der Alcázar bis auf die Grundmauern nieder, was dem in Versailles aufgewachsenen Bourbonen Philipp V. wohl entgegen gekommen sein soll. Deshalb kamen natürlich Gerüchte auf, dass der Brand nicht ganz zufällig ausbrach, als alle in der Kirche waren. Dagegen spricht allerdings, dass neben der Reliquiensammlung des Habsburgers Philipp II. auch wertvolle Kunstschätze europäischer und indigener amerikanischer Künstler verloren gingen. Einige Kunstwerke wurden auch gerettet und sind so der Nachwelt erhalten worden.

Jetzt betreten wir aber den Palast. Die Sorolla-Ausstellung, die hier gerade stattfindet, ist in einem Teil, den wir nicht besichtigen werden. Wir sehen die Staatsgemächer. U.a. den Saal, in dem der EU- und der NATO-Beitritt Spaniens unterzeichnet wurden, der Tisch, mit den Edelsteineinlegearbeiten auf vier Sphinxen, ganz nach dem Geschmack des 19. Jhdts., auf dem die Verträge unterzeichnet wurden, steht in einem anderen Raum, aber wir sehen ihn auch. Auch die ausladende spanische Krone sehen wir, aber sie wird von keinem König mehr getragen (ist sowieso viel zu überdimensioniert für einen Kopf); anders, als der englische König wird der spanische König nicht gekrönt, sondern ernannt. Die Krone kommt nur als Sargschmuck als Requisit in den Einsatz. Der daneben liegende Zepter ist auch viel mehr wert, als das vergoldete, überdimensionierte Blechkrönchen. Über einen Koh-i-Noor verfügt Spanien auch nicht.

Die Räume des Palastes haben je nach Geschmack der Zeit eine andere Umgestaltung erfahren, von der Raumgestaltung des 18. Jhdts. ist nicht mehr so viel übrig, das meiste im Palast stammt von Isabel II. (Regierung 1830 - 1868), die von ihrer Mutter vernachlässigt wurde und daher wenig Erziehung genoss, wegen ihres volksnahen Humors aber lange beliebt war und ihrem Sohn und Enkel Alfonso XII. (mater semper certa est) und Alfonso XIII. Letzterer ließ sich ein Privatkino einrichten und unterhielt eine Filmproduktionsfirma für schlüpfrige Filmchen.

Nach der Besichtigung des Stadtschlosses entlässt uns Thomas in die wohlverdiente Freizeit, die wir individuell gestalten.

Abends treffen wir uns zu fünft, um an einer Flamenco-Show teilzunehmen.

Und warum heißt nun die Plaza de Oriente „de Oriente“? Vermutlich schlicht deswegen, weil sie östlich des Königspalastes liegt. Vielleicht aber auch, weil Joseph Bonaparte, von seinem Bruder zum König Spaniens eingesetzt, der diesen Platz herrichten ließ, Mitglied in der Freimaurerloge Grand Orient de France war.


Donnerstag, 11. Mai – Abenteuer in der spanischen Steppe

Am Morgen treffen wir uns für einen Tagesausflug aus Madrid heraus, unsere Ziele sind Toledo und das Königsschloss Aranjuez. Wir treffen wieder auf Chema, der uns nach Salamanca und von dort nach Madrid gebracht hat und uns heute nach Toledo und Aranjuez bringen soll.

Zunächst fahren wir also nach Toledo, der alten Hauptstadt des Westgotenreiches, wo der westgotische Adel zusammenkam, um die Könige zu bestimmen und Sitz des Primas über die katholische Kirche Spaniens.
Mit mehreren Rolltreppen lassen wir uns auf den Berg bringen und erreichen schließlich die Plaza de Zocodover, die auch aus dem Don Quijote bekannt ist. Zocodover kommt von Suq ad-Dawwab, ‚Lasttiermarkt‘. Von hier aus führt uns unser Weg an Kunsthandwerkerläden mit Lederwaren, Schmiedeerzeugnissen, Damasquino-Arbeiten (mit Gold- oder Silberfäden damaszierte Schalen, Tellerchen etc.) und Marzipan vorbei zur Kathedrale. Zuvor machen wir noch Halt beim Hauptquartier der Santa Hermandad, der Heiligen Bruderschaft. Diese paramilitärische Polizeitruppe sorgte im ausgehenden Mittelalter und der Frühen Neuzeit zunächst auf Befehl der Katholischen Könige, später der Städte für Sicherheit auf dem Land und kommt auch im Don Quijote vor.

Die Kathedrale von Toledo ist nicht die größte, vom Selbstverständnis her aber die wichtigste Spaniens bzw. der iberischen Halbinsel. Der Bischof Toledos war der Primas der Kirche Spaniens, wenn auch nicht immer unangefochten. Diego Gelmírez, der Bischof Santiagos im frühen 12. Jhdt., war durchaus der Auffassung, dass das (angebliche) Apostelgrab in Santiago weitaus größere Rechte hatte, als die alte Westgotenhauptstadt, die erst vor kurzem (1085) wieder in christliche Hände gekommen war.

In der Kathedrale sahen wir den Chor, Zeitzeugnis des Eroberungskrieges von Granada. Das Chorgestühl zeigt nicht, wie üblich biblische Szenen (meist neues und altes Testament), sondern die Eroberung von Burgen, Dörfern und Städten des Königreichs Granada.

Als Primatskirche Spaniens waren die Erzbischöfe Toledos auch immer heiße Anwärter auf‘s Kardinalsamt, weswegen in der Kathedrale viele Kardinalshüte hängen - jeweils über den Gräbern ihrer Besitzer.

Vorbei am Transparente, einer Lichtöffnung, die im Barockzeitalter in die gotische Kathedrale eingefügt wurde, gelangen wir zur Sakristei und zum Kathedralmuseum. Wir sehen die Porträts aller Bischöfe Toledos, von den legendären bis hin zu zum aktuellen, wichtiger aber noch sind die Bilder von El Greco und Goya. Von Greco sehen wir die Apostel in der Sakristei und die Entkleidung Christi, mit Jesus Christus in einem leuchtend roten Gewand. Daneben dasselbe Motiv von Goya. Thomas macht uns auf die unterschiedliche Auffassung desselben Motivs bei Greco und Goya 200 Jahre später aufmerksam.

Wir verlassen die Kathedrale, nicht ohne eben über den mozarabiscben Ritus zu sprechen. Dieser Ritus war von der katholischen Kirche ad Acta gelegt worden, überlebte aber bei den Katholiken im muslimisch beherrschten al-Andalus. Nach der Eroberung Toledos durften die toledanischen Gemeinden diesen Ritus nach einigen Konflikten beibehalten und in einer Seitenkapelle der Kathedrale wird er bis heute einmal im Monat gefeiert.

Vorbei an der Synagoge von der Entschlafung Mariens (Sinagoga del Tránsito), die - man hört es am Namen - als Synagoge gebaut, jahrhundertelang als Kirche diente und der Kirche von San Tomé kamen wir schließlich zur Sinagoga de Santa María la Blanca - auch hier hört man es am Namen, dass sie lange als Kirche diente - sie gehörte als solche einem Kreuzfahrerorden - diese besichtigen wir auch von innen.

Nach einem Mittagessen verließen wir die Stadt über die Brücke Puente de San Martín, wo Chema schon stand, um uns nach Aranjuez zu fahren.

Von Toledo nach Aranjuez ist es nicht sehr weit, nur ein wenig den Tajo flussaufwärts, und so würden wir bald, nach etwa 45 Minuten Fahrt, unser Ziel erreichen.

Auf ein leises Klacken, welches wir in den ersten zwei Reihen alle hörten, folgte ein merkliches Nachlassen der Zugkraft des Busses, Chema hält und untersuchte den Motorraum, findet aber nichts. Wir fahren weiter, aber es wird nicht besser. Im Gegenteil: von hinten kommt der Ruf: „Hier riecht‘s nach Benzin.“

Eine Viertelstunde von unserem Etappenziel entfernt halten wir am Eingang eines Möbellagers, mitten in der Steppe an der Grenze der Mancha und der Comunidad de Madrid. Einen halben Kilometer entfernt liegt ein großes Gefängnis, Chema schildert seiner Firma das Problem, eine ad hoc-Reparatur ist nicht möglich. Thomas organisiert uns Taxis. Wir benötigen vier, bekommen aber nur drei, einige müssen also mit Chema in der Steppe warten. Außerdem nimmt Thomas Kontakt mit dem Palast von Aranjuez auf, denn wir haben einen Time Slot, der zwar nicht minutengenau wie in der Alhambra genommen wird, aber trotzdem im Zweifel durchgesetzt wird. Thomas gelingt es - es ist aber auch heute in Aranjuez nicht viel los - unsere Notlage zu schildern und wir können später erscheinen. Mittlerweile kommt eines der Taxis zurück und holt auch die letzten von uns ab, wir lassen Chema und seinen Bus allein, der uns einen seiner Kollegen nach Aranjuez ruft. Am Folgetag erfahren wir, dass es der Turbo des Busses war.
In einer Hotelbar erholen wir uns von unserem kleinen Abenteuer und besuchen nun das Schloss, Thomas scherzt mit den Securities, dass er heute den Laden abschließe.

Wir durchschreiten den Innenhof und steigen die große Treppe hinauf, sehen wieder viele Räume, die - wie ja auch im Residenzschloss in Madrid - aufgrund der unterschiedlichen Bedürfnisse ihrer blaublütigen Bewohner verschiedene Entwicklungsphasen durchgemacht haben.

Hier in Aranjuez legt Thomas besonders Wert auf die Geschichte von Isabel II., der Urururgroßmutter (> Alfonso XII. > Alfonso XIII. > Juan de Borbón > Juan Carlos I. > Felipe VI.) des jetzigen Königs. Diese von ihrer Mutter vernachlässigte Frau musste sich der kriegerisch zum Ausdruck gebrachten Thronansprüche ihres absolutistisch orientierten Onkels Carlos erwehren (Primera Guerra Carlista), war beim Volk lange aufgrund ihres einfach gestrickten Humors beliebt, verlor diese Zuneigung aber aufgrund innenpolitischer Probleme. Ihre Herschaft endete in der kurzlebigen Ersten Spanischen Republik.

Nachdem wir das Schloss verlassen haben, besuchen wir noch die Gärten auf einer künstlichen Insel zwischen dem Tajo und einem vom Tajo abgeleiteten Kanal, hier erklärt Thomas uns eine Reihe von Brunnen.
Dann treffen wir unseren neuen Busfahrer, der uns den kurzen Weg nach Madrid zurückbringt.

Einige wollen dringend ins Hotel, andere kommen mit zum Debod-Tempel, einem kleinen ägyptischen Tempel, der Spanien von Ägypten als Dank für die Hilfe bei der Rettung des Tempels von Abu Simbel geschenkt wurde.


Freitag, 12. Mai – San Lorenzo del Escorial

Marta holt uns am Busbahnhof ab. Sie führt uns durch das Dorf San Lorenzo. Ihr Dorf. Wie auch in Madrid ist Granit hier das vorherrschende Baumaterial. In Madrid allerdings findet man häufiger den Jarama-Backstein, hier, am Fuß der Sierra de Guadarrama fast ausschließlich Granit.

Wir sehen die Gebäude rund um den Escorial die als Unterkünfte zunächst für die Arbeiter, später für den Hofstaat errichtet wurden. Diese Gebäude und der Escorial selbst sind mit Schiefer gedeckt. Schieferbedachung gilt in Spanien als Symbol für die Habsburger-Dynastie, los Austrias hätten die Schieferbedachung aus Flandern mitgebracht. (Allerdings finden wir Schieferbedachung u.a. auch beim älteren Alcázar de Segovia). Schiefer war leichter als Blei und bot einen guten Schutz vor Regen und Schnee, im Sommer soll er sich nicht so aufgeheizt haben.

Während wir vor dem Escorial auf Marta warten, die unsere Eintrittskarten besorgt, beobachten wir Kinder einer Schule, die hier auf dem Vorplatz spielen. Marta erklärt uns, dass im Escorial eine Schule untergebracht ist. Die Schule wird vom Augustinerorden (span. Agustinos) betrieben, legt sehr viel Wert auf musikalische Ausbildung, insbesondere Gesang, arbeitet eng mit einem Konservatorium zusammen. Gesangsunterricht steht hier täglich mit auf dem Stundenplan.

Marta erklärt uns auf dem Klostervorplatz ein wenig die Statue des Heiligen Lorenzo mit seinem Grillrost. Die Legende überliefert, dass er zu den römischen Soldaten, die ihn auf dem Grillrost zu Tode marterten, sagte, dass er auf der einen Seite schon gut „durch“ sei, ob sie ihn nicht wenden könnten. Dann betreten wir den Palast.

Moment! Was denn nun, Kloster oder Palast? Sowohl als auch! Zentrum des Palastes ist eine Basilika, auf Höhe des Altars, nördlich und südlich davon die Schlafzimmer König Philipps II. und seiner Frau, mit Fenstern, die einen direkten Blick auf den Altar erlauben. Aber das sehen wir erst später, zum Ende des Rundgangs. Zunächst erzählt Marta etwas zur Symbolik des Baus, was wir alleine nicht sehen würden, unter ihrer Anleitung zum Teil sehen können, zum anderen aber auch einfach glauben müssen. Z.B. ließ Philipp den Palast nach den biblisch überlieferten Maßen des salomonischen Tempels errichten. Zwei Dreiecke, die einen Kreis umfassen, die dem Kreis zugewandten Seiten parallel zum Kreis gerundet, sollen auf Gott verweisen (der Kreis bzw. die Kugel als die perfekte geometrische Figur, die Dreiecke als Symbol der Dreifaltigkeit Gottes).

Dann besichtigen wir die Bibliothek, sehen arabische, aramäische, griechische und lateinische Schriften, aber auch das Schachzabelbuch Alfons des Weisen (+ 1284), diverse Geräte und natürlich verschiedene Fresken an der Decke der Bibliothek, welche die Sieben Freien Künste darstellen, dazwischen Anleihen an die römische Malerei, die in der Renaissance gerade „in“ waren. Wir hatten ähnliches auch schon in den Bourbonenpalästen gesehen, dort mit stilistischen Abweichungen, denn der Auftraggeber war Karl III. von Spanien, der zunächst König Neapels gewesen war und unter dessen Herrschaft die ersten Ausgrabungen in Pompei stattfanden, also 200 Jahre später. Die Malereien in Escorial orientieren sich an römischen Fresken aus Rom, die in den Bourbonenpalästen an Malereien aus dem 79 verschütteten Pompei. Den Unterschied erkennen vor allem die Spezialisten.

Die Basilika dürfen wir betreten, denn es findet gerade kein Gottesdienst statt. Aber einige Kinder üben gerade für eine anstehende Erstkommunionsfeier. Wir sehen eine Reihe von Fresken auch hier (fotografieren verboten), unter anderem eines, auf dem Carlos V. (Quinto de Alemania, primero de España - der fünfte von Deutschland, der erste von Spanien) und sein Sohn Philipp auf einer Wolke der Erhöhung des Kreuzes beiwohnen.

Es geht weiter durch den Palast, wir sehen ein Fresko, welches der geistig zurückgebliebene Carlos II. in Auftrag gab. An seiner Seite seine Frau und seine Mutter. Das müssen wir aber erst lernen, denn ohne die sachkundige Erklärung Martas würden wir sie für eine Nonne halten, aber nein, diese Kleidung markiert die Königsmutter als Witwe. Mit Carlos II. endete die Dynastie der spanischen Habsburger und nach dreizehn Jahren Erbfolgekrieg zwischen den französischen Bourbonen und den österreichischen Habsburgern und ihren jeweiligen Parteigängern (auf österreichischer Seite die Engländer, die damals Gibraltar eroberten und seitdem nicht wieder abgaben) kamen die Bourbonen in Spanien an die Macht.

Der Escorial ist auch das Mausoleum der spanischen Könige und Infanten seit dem 16. Jhdt. Relativ neu sind die Gräber der Eltern des letzten Königs, die nie in der Königswürde waren und dennoch in der Königsgruft und nicht etwa in einer der Anverwandtengrüfte bestattet sind. Allerdings sind ihre Namenszüge auf ihren Urnen nicht schwarz ausgeführt, wie auf den Königsgräbern, sondern ausgegraut. In der Königsgruft selbst sind immer nur der regierende König und die Mutter des Thronfolgers (bzw. im Falle Isabels II. des „Vaters“ ihres Thronfolgers).

Viele Grabstellen, die im 19. Jhdt. angelegt wurden, sind noch leer und warten - irgendwie eine gruselige Vorstellung - auf noch zu verbleichende ungekrönte Anverwandte der derzeitigen und zukünftigen Königinnen und Könige. Die Königsgruft selbst ist mittlerweile bis zum letzten Platz gefüllt und alle warten gespannt darauf, wo der derzeitige und der vorige König wie auch ihre Gemahlinnen wohl einen Platz finden werden.

Wir durchschreiten noch die Wohnräume der Königsfamilie und sehen das Schlafzimmer des gichtgeplagten Philipp, mit Fenster zum Hauptaltar, der von hier aus sein Weltreich, das bis zu den nach ihm benannten Philippinen reichte, zu verwalten suchte. Man muss sich das vorstellen: die Kommunikation mit seinem Statthalter verlief über México oder Panama und mit den technischen Mitteln der Zeit, also per Brief und Siegel sowie Segel! Wenn der Statthalter auf den Philippinen eine Frage an Philipp hatte, konnte er sich darauf einstellen, dass er auf die Antwort bis zu zwei Jahren warten musste, selbst wenn Philipp ihr höchste Priorität gewährte, da die Schiffe in jahreszeitlichen Turni führen.

Wir sehen auch eine Sänfte, die gleichzeitig auch ein früher Rollstuhl ist, hierin wurde Phillip kurz vor seinem Tod aus Madrid in den Escorial gebracht.

Zurück nach Madrid brauchen wir nur knapp 45 Minuten, nicht so wie der Hofstaat Philipps auf dessen letzter Reise, der Rücksicht auf den zerschundenen Körper des Königs nehmen musste, eine Woche. Den Nachmittag verbringen wir hier individuell.
Der Verfasser dieser Zeilen besuchte zwei Damen, die beide in der ersten Etage eines Gebäudes ihre Besucher empfangen: die Dama de Baza und die Dama de Elche im Museo Arqueológico Nacional.


Samstag, 13. Mai 2023 – Adiós España, adiós Madrid

Die ersten mussten gestern schon abreisen, den Rest der Gruppe trifft es heute. Der erste Transferfahrer kommt auf die Minute genau ins Hotel (der gestern war ca. 15 Minuten „zu früh“). Um 12:30 Uhr warten unsere Münchener auf ihren Transfer. Um 12:40 spricht mich der Portier an: ein Telefonanruf für mich. „¿Dígame?” - der Transfer verspäte sich ein wenig „en 10 minutillos“, in zehn Minütchen käme er. Um 12:50 also. Um 13:10 parkt eine schwarze Limousine vor dem Hotel. Wir dorthin, ich spreche mit dem Fahrer, ob er unsere Transfer sei, zwei Gäste? Er sagt ja, ich frage vorsichtshalber nach den Namen der Gäste, er, das müsse er erst nachgucken, da kommt aus dem Hotel eine Argentinierin angeschossen wie eine Furie, das sei IHR Transfer, SIE habe den bezahlt und bestellt, schimpft sie. Ich sage ihr, auch wir würden auf einen Transfer warten, den auch wir bereits bezahlt und bestellt haben, es würde sich sicher alles klären, aber sie hört nicht und beharrt in unfreundlichen Ton, der Portier schämt sich sichtlich fremd und ihr peinlich berührter Ehemann versucht sie zu beruhigen: „tranquila, tranquila.“

Endlich hat der Transferfahrer seine Papiere gefunden und bestätigt, dass er der Transferfahrer der Argentinier sei. Schade, ich hätte zu gerne das Gesicht der Dame gesehen, wenn sich herausgestellt hätte, dass es unser lang erwarteter Transfer war.
Um 13:20 kommt dann endlich der für 12:30 bestellte Transfer. Der Fahrer entschuldigt sich, er habe erst eben einen Anruf bekommen, da er an der Plaza de España war, sei er in der Nähe gewesen, sein Kollege, der für 12:30 bestellt war, hätte Probleme. Zum Glück lassen sich unsere bayrischen Mitfahrer nicht so leicht aus der Ruhe bringen und es ist ja auch Zeit genug.
Der letzte Transfer kommt dann aber pünktlich um 13:30 Uhr, wir haben viel Zeit am Flughafen in Barajas. Dann geht es nach Hause und auch bei den Bayern hat alles gut geklappt.


Schlusswort

Reisen birgt manchmal Überraschungen und wir haben ein kleines Abenteuer erlebt, auf das die meisten von wohl gerne verzichtet hätten (und der arme Chema erst, den wir mit seinem Bus allein in der „Wüste“ zurücklassen mussten). Aber am Ende ist das doch gerade die Geschichte, die uns von dieser Reise in Erinnerung bleiben wird. Von antiken Aquädukten über moriskische Städte und mittelalterlichenWalt Disney-Schlösser bis hin zu den neuzeitlichen Königspalästen haben wir gut 2000 Jahre Architektur und Kunstgeschichte gesehen. Wir haben die Universität durch- und diverse zentralspanische Städte erlaufen. Vielleicht hat das ja Lust auf mehr Spanien gemacht. Also.... bis zum nächsten Mal. In Andalusien? Oder auf dem Jakobsweg?

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