Reisebericht: Radreise Baltikum – Lettland, Litauen und Estland

21.08. – 02.09.2010, 13 Tage Rundreise mit Fluganreise und geführten Radtouren: Vilnius – Trakai – Kaunas – Klaipeda – Kurische Nehrung – Ostsee – Riga – Pärnu – Insel Saaremaa – Tallinn (375 Radkilometer)


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400 km Radfahren im Baltikum, alte Hansestädte, 800 Jahre Geschichte, Sandstürme auf hohen Dünen, Sagen, tolle Picknicks und eine achtstündige Motorschifffahrt in der Rigaer Bucht - 13 erlebnisreiche Tage in Litauen, Lettland und Estland
Ein Reisebericht von
Dr. Jürgen Schmeißer

Das Baltikum auf einzigartige Weise erleben

Radreise 21.08. – 02.09.2010 Reisebericht von Dr. Jürgen Schmeißer

1. Tag: 21.08.2010 Riga

Nach kurzer Nacht trafen wir uns in Berlin-Tegel, um uns ein wenig von den check in-Modalitäten der Baltic Air überraschen zu lassen. Der wolkenlose Himmel hielt bis Usedom; über der Rigaer Bucht durchstießen wir die Wolken und kreisten über dem wolkenverhangenen Riga ein. Hier wurden wir von unseren litauischen Begleitern Simas und Renatas begrüßt und schon bald in unser bevorstehendes Radreiseprogramm eingewiesen. Unsere lettische Stadtführerin Nora führte uns am Nachmittag aus der Moskauer Vorstadt, wo sich unweit der Markthallen unser Hotel „Hanza" befand, durch Straßen des Jugendstilviertels und der Altstadt. Es war Stadtfest, so erlebten wir eine ganz quirlige Hauptstadt und eine Aeroshow mit Flugzeugen, die sich scheinbar in die Daugava stürzen wollten.

2. Tag: 22.08.2010 Rundale – Vilnius

Der Bus brachte uns an der Burg Bauska vorbei nach Ruhenthal (Rundale) in Lettland. Bei einer Führung lernten wir das Barockschloss, welches oft als Versailles der Ostsee bezeichnet wird, kennen. Einen tollen wow-Effekt erlebten wir, als wir im Park aus den Sichtachsen, flankiert von exakt verschnittenen Bäumen, auf das Schloss schauten. Weiter ging es per Bus über die Grenze nach  Litauen und zum Berg der Kreuze bei Siauliai. Seit der Zarenzeit stellen Pilger hier Kreuze auf, später war es auch Ort des Widerstandes gegen die sowjetische Besetzung und nun allgemeiner Wallfahrtsort. Wir starteten hier unsere erste Radetappe, die uns auf reichlich 20 Kilometern einen Eindruck unterschiedlicher Wegequalitäten im Baltikum, zwischen Hauptstraße und geschotterter Dorfstraße, vermittelte. Der Tag war so intensiv, dass wir erst spät in Vilnius ankamen. Ein schöner Abendspaziergang führte uns durch die sommerlich warme Altstadt von Vilnius und zum Restaurant „Lokys", das uns mit „Cepelinai" überraschte.

3. Tag: 23.08.2010 Vilnius – Trakai – Kaunas

Simas führte uns durch die barocke Altstadt seiner Heimatstadt Vilnius. In der „Unabhängigen Republik"  hätten wir uns so gern ein wenig bei einer Tasse Kaffee von Vilnius verzaubern lassen...
Anschließend fuhren wir mit dem Bus nach Trakai, der einzigen Wasserburg des Baltikums, dem ehemaligen Sitz litauischer Großfürsten. Die Fürsten holten Karäer ins Land als harte und treue Soldaten; diese brachten „Kibinai" mit, die wir uns am Seeufer schmecken ließen, bevor wir die  idyllisch gelegene gotische Inselburg besichtigten. Nun ging es mit dem Rad durch hügeliges Land mit blauen Seen. Im hübschen Ort Semeliske mit seinen farbigen Holzhäusern überzeugten wir uns vom Angebot im Dorfladen. Im Anblick der Schornsteine von Elektrenai stiegen wir nach knapp 30 Radkilometern wieder in den Bus, der uns nach Kaunas brachte. Die Altstadt von Kaunas erlebten wir bei einem Abendbummel und standen am Fluss Nemunas (Memel).

4. Tag: 24.08.2010 Kaunas –  Vente – Klaipeda

Mit dem Bus ging es zunächst entlang der Memel durch eine liebliche Landschaft; rechter Hand erahnten wir alte Grenzfesten auf den Hügelketten. Nach fast dreistündiger Fahrt erreichten wir die Vogelwarte in Vente am Kurischen Haff. Auf der gegenüberliegenden Haffseite sehen wir die Dünen der Nehrung und erahnen Nida. Zunächst lauschten wir jedoch Schilderungen eines lebenserfahrenen Alten, Mitarbeiter der Vogelwarte seit Jahrzehnten und wisperten uns sein Alter mit fragenden Blicken zu. Nach dem Besuch der Vogelwarte stiegen wir auf das Fahrrad und legten recht gemütlich die 30 Kilometer durch kleine Dörfer und Weiler bis nach Priekule zurück. Der Bus brachte uns nach Klaipeda, wo wir durch Industriebrachen und Hafenanlagen unser modernes Hotel erreichten.
Eine Drehbrücken-Zeiteinheit trennte uns am Abend dann vom Zugang zur Altstadt mit Ännchen von Tharau, die dem Balkon des Theaters den Rücken zukehrt.
5. Tag: 25.08.2010 Kurische Nehrung
Mit dem Bus ging es zunächst bis auf die Hohe Düne bei Nida, nur drei Kilometer von der russischen Grenze entfernt: wir blickten auf Haff und Ostsee. Von hier „oben" startete unsere Radtour, die uns über 55 Kilometer bis zum Hotel trug. Auf gut ausgebauten Radwegen ging es durch den Nationalpark Kurische Nehrung, zunächst über Nida, wo wir in der Bernsteingalerie mehr über Beschaffenheit und Bearbeitung des festgewordenen Harzes hörten. Im Sommerhaus von Thomas Mann erfuhren wir auch von der „Bruderliebe" zwischen Thomas und Heinrich. Nach zwanzig Kilometern stiegen wir auf die Tote Düne und fühlten uns bei starken Winden irgendwo in die Sahara versetzt.
Den Hexen und Geistern in Holz bei Juodkrante statteten wir einen Besuch ab und merkten 18 Uhr, dass wir noch ein gutes Stück strampeln müssen. Mit einem guten 15er Schnitt erreichten wir den Fährhafen natürlich nach Abfahrt der Fähre und schauten zu, wie exakt in Litauen der (Fahr-)plan eingehalten wird.

6. Tag: 26.08.2010 Klaipeda – Palanga –Ventspils

Um Kühle und Regen zu entgehen,  entschieden sich einige fürs Strampeln und andere für den trockenen Bus - in Palanga trafen wir uns wieder und besichtigten Park und Schloss mit Bernsteinmuseum. Nach einer schönen, langen Pause mit Räucherfisch ging es entlang der Ostseeküste weiter per Rad nach Sventoji. Atemberaubende Ausblicke auf die aufgewühlte See konnten doch ein wenig verunsichern für die Planung des kommenden Tages.
Nach einem Zwischenstopp in Liepaja erreichten wir Ventspils, um in der ausgestorben wirkenden Stadt einen Bummel zwischen Kohlehafen und Ordensburg zu unternehmen.
Das Hotel im Wohngebiet der 60er Jahre war nicht leicht zu finden; Gerüchte über fehlendes Warmwasser erwiesen sich glücklicherweise als falsch.
Auf das Kassenband des Supermarktes stellten wir 21:59 Uhr zunächst die Dinge mit Alkohol, da rote Rüben auch nach 22 Uhr noch verkauft werden können.

7. Tag: 27.08.2010 über die Rigaer Bucht nach Saaremaa

Unser heutiges Etappenziel war die landschaftlich einmalige Insel Saaremaa, die größte der estnischen Inseln. Im Hafen von Mesrags waren wir froh, dass das Meer ruhiger geworden ist und die Sonne scheint. Aufwendig wurden die Fahrräder verladen und auch wir gingen an Bord. Nach unserem Sahara-Ausflug konnten wir nun noch ein wenig Jachturlaub machen und uns sonnen. Später gab es eine erste Ladung baltischer Delikatessen. Dann bat Simas zum Kochkurs auf See „kalte Rote-Rüben-Suppe". Als diese fertig war, hatte der Seegang indess ein wenig zugenommen ... Aber bald war es wieder freundlich und wir konnten an der lettisch-estnischen Seegrenze Flagge zeigen und eine kleine Äquatortaufe machen. Nach acht Stunden Fahrtzeit erreichten wir die Insel im Hafen Roomassare. Lockere 15 Abendkilometer trennten uns noch vom Hotel in Mändjala - kein Problem.

8. Tag: 28.08.2010 Saaremaas Südwesten

Renatas durfte heute den Bus nicht bewegen, weshalb für uns eine Rundtour das Richtige war. Diese führte uns auf die Halbinsel Salme und an die Ariste Bucht. Vor ca. 10 000 Jahren hinterließ die Eiszeit hier blankgeleckte Steine im Meer. Die 1992 abziehende Sowjetarmee hinterließ alte Geschützstellungen, Befehlsstände und ein Schiff als Ziel für Übungsschießen. Auf einem schönen Feldherrenhügel oberhalb der Bucht machten wir Picknick, wie jene, die hier mal standen: mit Schwarzbrot, Speck, Zwiebeln, Räucherfisch und einem Wässerchen. So reichlich kann das Mahl nicht gewesen sein, denn nach wenigen Kilometern wurden gar saure Äpfelbäume derart geplündert, das die Ressourcen noch Tage reichten. Nach 55 km erreichten wir das Hotel und hatten noch Zeit für eine Strandstunde.

9. Tag: 29.08.2010 Saaremaa querdurch

Bei dieser Tour lernten wir die Wahrzeichen der Insel Saaremaa kennen: hölzerne, auf Steinböcken errichtete Windmühlen, den Kratersee Kaali und die alte Bischofsburg in Kuressare. Mit dem Bus ging es zunächst bis Orisaare. Von hier ging es über die Nordseite der Insel, vorbei am Burgruinenrest Maasi und der Kirche von Karja zu den Windmühlen von Angla.
Vom Wetter des Vortages schon ein wenig angeknabbert, entschieden wir uns nach neuerlichem Regen zur Busfahrt zum Kratersee von Kaarli. So schafften wir es anschliessend die Burg Kuressare mit ihren riesigen Wappen und der Darstellung der Geschichte der Insel auch im 20. Jahrhundert zu besuchen.

10. Tag: 30.08.2010 Saaremaa – Tallinn

Mit dem Bus ging es über den Damm, der Saaremaa mit Muhu verbindet, zum ethnografischen Museum in Koguva und weiter zum Fährhafen in Kuivatu. In 25 Minuten brachte uns die Fähre aufs Festland, so dass wir rechtzeitig am Nachmittag in Tallinn eintrafen. Eduard begleitete uns von der Oberstadt in die Unterstadt von Tallinn, die einst Reval hieß. Eine Stadtmauer begrenzt die Altstadt und teilte einst auch Ober- und Unterstadt. Wir spazierten  durch Gassen mit Handwerkern, die alte Traditionen pflegen. Ein Teil der Gruppe bummelte am Abend nochmals in die Olde Hanse und ließ sich mittelalterliches Kräuterbier und Pfefferschnaps gegen aufkommende Erkältungen verschreiben.

11. Tag: 31.08.2010 Tallinn – Sigulda

Von Tallinn ging es am Morgen per Bus durch das Landesinnere über Pärnu bis Haademeste. Nun führte uns die Radstrecke immer entlang der Ostseeküste bis nach Ainazi, wo wir die Grenzpassage per Fahrrad gekonnt nachstellten. An einem wunderschönen Picknickplatz im Wald, nahe dem Meer, hatte Renatas bereits einen tollen Picknicktisch gezaubert: die Pilze, die wir am Wegrand sahen, lagen bereits mariniert auf dem Tisch.
Wieder - und dies auf unserer Reise zum dritten Male - waren wir in Lettland angekommen. Hier sind Fahrradwege selten, die die Hauptstraßen zügiger befahren als in Estland. Aber die Straßenstrecke bis Staicele schafften wir mit einer kleinen Kraft- und Willensanstrengung, so dass für diesen Tag 55 km zu Buche stehen. Das Landhotel „Ezeri" überraschte uns mit seinen hellen Farbtönen, die konsequent von der Rezeption über die Bar bis in die Bäder der Zimmer umgesetzt wurden.

12. Tag: 01.09.2010 Gauja Nationalpark – Riga

Wer hätte diese Landschaft im flachen Lettland erwartet? - Hügel, Täler mit Bachläufen, Ausblicke zu Burgen auf bewaldeten „Bergen", eine Bobbahn und gar ein Skilift. Per Rad ging es zunächst zum Schloss und zur alten Burg von Sigulda, dann in schneller Fahrt hinab zur Brücke über die Gauja, wo über uns gar eine Seilbahnkabine entlang schaukelte. An der Krimulda-Grotte erwies sich Simas wieder als bester Sagenerzähler. Bald dann hinauf zur Burg und dem Museumskomplex Turaida mit Plastiken und einem Museumsdorf. Von hier begannen dann die letzten zehn Radkilometer, für die wir freien Lauf ließen, dass sich erstmals das Feld recht auseinander zog. Aber das Ziel war mit unserem Bus vor guter Gaststätte so eindeutig, dass wir uns alle bei gutem Essen wiederfanden. Letzte Fahrt nach Riga und gemeinsames Abschiedsabendessen im Restaurant „Salve", gleich neben dem Schwarzhäupterhaus.

13. Tag: Riga

Der Rückflug  fand erst am späten Nachmittag statt, so dass jeder auf eigene Faust durch Riga bummeln konnte und vielleicht noch ein letztes Souvenir erstehen konnte. Jugendstilmuseum, Plattform des Akademiegebäudes (Stalins Torte), Okkupationsmuseum und Dom waren sicher die beliebtesten Ziele, bevor sich mancher vom  Tresen des Lido einige Leckereien auf den Teller legte. Auf dem Rückflug nach Deutschland hatte dann jeder ein wenig Zeit, die Höhepunkte dieser Reise Revue passieren zu lassen und Lust auf mehr Radfahren mit Eberhardt oder das Baltikum bekommen.

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