Reisebericht: Exklusive Städtereise Athen in kleiner Reisegruppe

08.10. – 12.10.2018, 5 Tage Flugreise nach Athen mit Übernachtung im 5–Sterne–Hotel Electra direkt am Syntagma–Platz – Akropolis – Agora – Insel Aegina


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Athen, für uns Europäer nicht irgendein exotisches Ziel, es ist eine Selbsterfahrung. Denn hier wurden die Grundlagen für unsere Kultur gelegt, für die Demokratie freier Menschen. Das vor allem wollte ich als Reiseleiter meinen Gästen vermitteln.
Athen vom 08.-12.10.2018
Ein Reisebericht von
Dr. h.c. (UTh) Guy Féaux de la Croix

Erster Tag: Montag, 8. Oktober 2018: Reise nach Athen / Spaziergang rund um und durch den Nationalgarten

Für uns alle beginnt die Reise im Dunkel der sächsischen Nacht. Was für ein Glück dann für die an den Flugzeugfenstern Sitzenden , als die Wolkendecke über Nordgriechenland aufreißt, den Blick links freigibt auf Thessaloniki, dann die dreifingrige Halbinsel Chalkidiki, rechts auf den Olymp, dann das Pilion-Gebirge, die Stadt Volos, die Insel Skiathos. Der Flieger kurvt über Athen, klitzeklein dort unten die Akropolis. Dann wendet die Maschine über dem Saronischen Golf, um auf den Flughafen in der ostattischen Ebene herab zu schweben.
Schon auf der Busfahrt in die Stadt erläutert der Reiseleiter die bergige Topographie des Athener Umlands, Attika genannt. Mit wenig landwirtschaftlich nutzbaren Flächen konnte das antike Athen bei wachsender Bevölkerung gar nicht anders überleben, als Weizen von weit her zu importieren und die Schiffstransporte durch eine Seemacht zu sichern.
Das Electra Palace Hotel liegt mit seinem ganzen Luxus, seiner neoklassizistischen Pracht, mitten in den engen Gassen der dörflichen Altstadt. Von Dachterrasse und Swimming Pool hoch über den Dächern geht ein grandioser Blick hinüber zur Akropolis. Für Athen-Kenner das schönste Haus am Platze.
Nur dass es noch zwei andere Hotels der Electra-Gruppe in Athen gibt: Einen später einge-flogenen Reisegefährten hat der Taxifahrer am alten Electra-Hotel abgegeben. Dort holen wir ihn ab, zu unserem Stadtspaziergang.Entlang der „Panepistimiou-Strasse" (Universitätsboule-vard) finden wir die drei neo-klassizistischen Bauten der Athener Trilogie. Universität, Akademie der Wissenschaften und Nationalbibliothek, um 1880-90 vom dänischen Architekten Theophil Hansen entworfen und vom Radebeuler Ernst Ziller gebaut, vermitteln einen Eindruck davon, wie Stadtpaläste im klassischen Athen ausgesehen haben werden.
Auch das heutige Parlamentsschloss über dem Syntagma-Platz (Verfassungsplatz) verdanken die Griechen Otto, von 1832-62 König von Griechenland. Der junge Monarch brauchte einen Prachtbau, der mit bayerischen Staatsanleihen finanziert wurde. Als die Schulden fällig wur-den, kostete das griechische Abenteuer den Papa, Ludwig I. von Bayern, den Thron und einen großen Teil seiner Wittelsbacher Krongüter. Die Tütü-Uniformen der Evzonen entwarf die Otto-Gattin Königin Amalie, damals noch für die königliche Leibgarde. In der Hellenischen Republik, so der offizielle Name des Staates, seit 1974 also, paradieren die Hünen in den Ballettröckchen nunmehr als Wache des Präsi-denten.Hinter dem Schloss wandern wir am Palastgarten entlang, ein von bayerischen Gartenkünst-lern unter Otto gestalteten Stadtpark.
Auch vor der Villa Maximos, dem Amtssitz des griechischen Ministerpräsidenten und daran anschließend dem Palast des Staatspräsidenten heben die hünenhaften Gardesoldaten hoch das Bein und mit Zeitlupenbewegungen, die an chinesische Tai Chi Übungen erinnern.Genial wie die alten Athener ihr riesiges Panathinäisches Stadion für 50.000 Zuschauer nicht „aufgebaut", sondern in ein kleines Tal zwischen zwei Waldhügeln eingebettet haben.Zurück zum Hotel geht es durch den Park am Zappeion-Kulturpalast vorbei. Von einem in Russland reich gewordenen Pelzhändler gestiftet ist das grandiose neo-klassizistische Gebäude noch heute ein Ort für Ausstellungen und großen internationalen Konferenzen.
Auf Einladung von Eberhardt-Travel wird den Reisegefährten im Restaurant Akropol ein Will-kommensdinner serviert. Zum Ausmarsch der zahlreichen fernöstlichen Touristen spielt die Kapelle japanische Weisen, die asiatischen Gäste singen mit. Für einen Moment werden Buzuki und Suzuki eins. Als die Japaner weg sind, lässt sich der Wirt zu einem Solotänzchen bewegen, nur für uns.

Zweiter Tag: , Dienstag, 9. Oktober 2018 / Akropolis–Tag


Nichts verkörpert mehr den kulturellen und den demokratischen Geist des klassischen Athen als die Akropolis, auf Deutsch: die Oberstadt. Im Neuen Akropolismuseum lernen wir zu-nächst die Grundzüge der Akropolis-Baugeschichte kennen. Das vom Schweizer Architekten Bernhard Tschumi gestaltete Museum ist selbst ein Wunderwerk. Auf Dutzenden von Pfeilern schwebt der große Bau über einem antiken Stadtviertel. Wir überqueren die antiken Gemäuer auf gläsernen Fußböden.
Eine Rampe, wie einst eine Rampe in klassischer Zeit zur Akropolis hinauf führte, wird links und rechts von Fund-stücken aus dem Alltagsleben der alten Athener gesäumt. In den Vitrinen zeugen Tausende Exponate beispielsweise vom Glauben der jungen Bräute an die Liebeskräfte der Aphrodite, von der Heilkunst des Arztgottes Asklepios.Schließlich steht man am oberen Ende der Rampe vor dem Giebel des alten Tempels aus dem 6. Jahrhundert v.Chr.: Zwei mächtige Löwen machen gerade einen Stier nieder. Der Reiseleiter interpretiert das skulpturale Geschehen als Sieg des Löwenvolkes über das Volk der Viehzüchter. Das Rind und insbesondere der Stier war das Wahrzeichen des alten minoischen Reiches, einer landwirtschaftlichen Zivilisation, in der die Frauen in der agrarischen Produktivität den Männern kaum nachstanden. Womöglich war die vor-hellenische Gesellschaft sogar eine matriarchalische.Aber dann drängten Jägervölker aus den weiten Steppen Russlands und der Ukraine von Norden her ins Land, so um die Jahrtausendwende (1.000 v.Chr. plusminius 200 Jahre). Es waren Jägervölker, deren mächtigste Beute eben der Löwe war. Die Gelehrten sprechen von der Dorischen Invasion, obwohl die Dorer nur eines von vier indogermanischen Einwanderervölkern waren, neben Achaiern, Ioniern und Aioliern. Nach dem frühen thessalischen Stammvater Hellen nennen sich die Griechen selbst „Hellenen". Der Fremdbegriff „Griechen" stammt von den Römern, die das Wort zunächst für die griechischstämmige Bevölkerung Süditaliens verwendeten.
Was sich damals zwischen Invasoren und Alteingesessenen abspielte, sehen wir im Akropolis-Museum am Giebel des Alten Tempels. Da macht die treueste Tochter des Zeus, Athene, den Titanen, den Göttern des alten Volkes, den Garaus. Dabei war Athene selbst ein Halbblut, von Zeus mit der alteingesessenen Halbgöttin Mestis gezeugt. Um von der verfrüht heimkehrenden Gattin Hera nicht in Flagranti erwischt zu werden, verschluckte Zeus die bereits geschwängerte Gespielin samt Baby im Bauch. Hephaistos, der hinkende Schmiedegott hatte ihm dann den Schädel zu spalten, damit das Töchterlein herauskommen und Stadtgöttin von Athen werden konnte, Athene, eine Kopfgeburt!
Ein spannendes Geschehen also erzählen die Skulpturen der Akropolis.Im großen Skulpturensaal des Museums können wir die Entwicklung der klassischen Skulptur vom 6. bis zum 2. Jahrhundert v.Chr. nachvollziehen. Vom noch relativ statischen Kouros der archaischen Zeit geraten die Körper in Bewegung, werden sie immer menschlicher und dra-matischer, auch die Tiere.
Die kleinen, freundlichen Debatten zwischen Reiseleiter und griechischer Reiseführerin ma-chen den Rundgang nur noch lebhafter. Gerne aber beugt sich der Reiseleiter dem Urteil der Dame, immerhin eine diplomierte Archäologin. Aber so ist das eben in der Wissenschaft, das es zu allem Wichtigen und auch Unwichtigen mindestens zwei Deutungen gibt. So sagte es schon der alte Protagoras. Dies gilt beispielsweise zur Frage, ob die Dachpfannen des Parthenon aus naxischem oder pentelischem Marmor waren, in der klassischen Zeit, ob die Göttin Athen der Stadt den Namen gab oder ob es umgekehrt war. Und wie ist es zu der Bezeichnung „Karyatiden" gekommen, fragt der Reiseleiter und hat dazu seine eigene Meinung.
Karyatiden, aus noch ungeklärtem Grunde also werden so die sechs Säulen in Form stattlicher Jungfrauen bezeichnet, die das Dach über dem Grab des sagenhaften Königs Kekrops tragen, dem König von Athen, als Athen noch Kekropia hieß. Eine Säulenjungfrau hat der britische Botschafter Lord Elgin mitgehen lassen, der in den Jahren 1801 bis 1812 einen großen Teil der Akropolis-Skulpturen brutaliter abriss und nach London transportieren ließ. Ein aus Sicht der Griechen schändlicher Raubzug und Missbrauch einer fadenscheinigen Erlaubnis eines türkischen Paschas. Weswegen aus griechischer Sicht die Briten die heute im British Museum aufbewahrten „Elgin Marbles" wieder heraus rücken müssten.
Als idealistisches Glanzstück der Akropolis gilt noch immer der Parthenon-Fries, ein 160 Meter langes Marmorband, das hoch oben in zwölf Meter Höhe die vier Wände der inneren Zelle des Athene-Tempels umlief. Zu sehen ist eine Prozession von 374 Bürgern, Dutzenden von edlen Rössern, Opfertieren, die zum panathinäischen Fest den zwölf olympischen Göttern (auf der Ostseite) entgegenziehen. Schöne junge Männer, Gleiche in ihrer ganzen Nacktheit. Aber ist dies wirklich ein Denkmal der Bürgerpolis der Gleichen, das Perikles mit Hilfe seines Bildhauers der Athenischen Demokratie gesetzt hat? So sieht es die gängige archäologische Interpretation. Aber wie denn, wo wir doch nur Reiter sehen und fürstliche Patrizier mit ihren Schlachtwagen? Unser Reiseleiter hat seinen Zweifel, konnten sich doch nur die wenigsten Athener ein Ross leisten, geschweige denn einen Kampfwagen. Ist der Festzug da oben auf dem Parthenon-Fries nicht eher eine Hommage an die Aristokratie, an das patrizische Rittertum?
Das Wunderwerk des zeitgenössischen Architekten Tschumi, es erreicht einen Höhepunkt auf der obersten Etage: Wenn der Besucher durch den Glasboden hinabblickt, dann durch sechs Stockwerke hindurch bis in die hadrianische Vorstadt, über der das Museum errichtet worden ist. Er durchschaut also, der Besucher, eine 4.000jährige Geschichte und dann sieht er sich selbst, ganz unten im Glasboden des Erdgeschosses widergespiegelt, durch die Spiegelung doppelt so weit entfernt wirkend. Er sieht sich selbst durch die Jahrhunderte, Jahrtausende hindurch, kann verstehen, wie diese ganze Geschichte Teil seiner selbst ist, er selbst Teil dieser Jahrtausende.
Glücklicherweise waren wir zuerst ins Museum gegangen, dann erst am Nachmittag zum Akropolis-Original empor gestiegen. Ohne, wie vormittags üblich, stundenlang zur Kasse und dann weiter stundenlang bis hinauf zu den Propyläen anstehen zu müssen. Da wo die Rampe für das Festschiff der Athene früher war, drängen sich auf schmalem und rutschigem Felspfad täglich Tausende Touristen zu den Propyläen empor. Ein Wunder ist es, dass die Leute nicht scharenweise herunter fallen und vor allem die nicht, die für nichts anderes als ihre Selfies Augen zu haben scheinen.
Oben auf dem Plateau stehen wir dann endlich vor dem Westgiebel der Akropolis, dessen Skulpturen noch bis ins 19. Jahrhundert hinein die Legende von der Stadtpatronin Athene erzählten, wie sie den Wettbewerb um die Schirmherrschaft gegen Meeresgott Poseidon gewonnen hatte, der den Athenern nichts als nutzloses Salzwasser zu bieten hatte, Athene aber ein Olivenbäumchen. Einer neueren etymologischen Theorie zu Folge, hat die Stadt Athen der Göttin den Namen gegeben und nicht die Göttin den ihren der Stadt.
Unsere Akropolis-Führerin hört es aber nicht so gerne, nichts, was die Gäste verwirren könnte. Als wäre nicht gerade jenes zu vermitteln, das Verständnis dafür, wie verwirrend die Geschichte doch sein kann und das eben dieses ihren Reiz ausmacht, mit der ewigen Aufgabe, der Wahrheit im wissenschaftlichen Diskurs nachzuspüren. Den Parthenon-Fries hatten wir ja schon im Museum kennen gelernt. Hier oben sehen wir nun, wie er einst von den Metopen ergänzt wurde, die oberhalb der Säulen von den vier Gründerschlachten des Griechentums erzählten, der Hellenen gegen die Kentauren, gegen die Titanen, gegen die Amazonen und schließlich gegen die Trojaner.
Das eben macht den Dreiklang der Parthenon-Skulpturen aus, des sakralen Mythos (Athenes Sieg über Poseidon), der hellenischen Urzeit (Gründerschlachten) und schließlich der klassischen Jetztzeit mit der panathinäischen und das bürgerschaftliche Engagement verherrlichenden Prozession.
Wenn wir dann der letzteren folgend vor dem Ostgiebel stehen, dann stehen wir unter der großen Lücke, die der Schuss des Lüneburger Schützen von 1685 in den Parthenon gerissen hatte: Die Akropolis war damals eine türkische Festung, seit Wochen schon von den Venezi-aniern unter dem Feldherrn Morosini belagert. Vom Filopappos-Hügel aus schoss schließlich ein in venezianischen Söldnerdiensten stehender Kanonier aus Lüneburg seine Kanonenkugel in den Parthenon, gerade dahin, wo die Ottomanen ihr Munitionslager untergebracht hatten. So flog der halbe Parthenon in die Luft und kennen wir den Ostgiebel nur von den Zeichnungen des französischen Künstlers Carré, der einige Jahre zuvor als Griechenlandreisender die Parthenon-Skulpturen minuziös abgezeichnet hatte.So wissen wir denn wenigstens von den Carré-Skizzen, was wir ohne den Lüneburger Kanonenschuss da oben am Ostgiebel sehen könnten, nämlich die Geburt der Athene, aus dem Kopf des Zeus heraus, worüber wir schon sprachen.
Die Kunst des Bildhauers Phidias war es, diese Geschichte in dem flachen Giebeldreieck unterzubringen, in der Mitte eben Zeus und Athene stehend, halblinks und halbrechts knieende Göttergestalten, im Winkel rechts die Pferde des Apollon mit der untergehenden Sonne, links die Pferde des Sonnenwagens, nunmehr eines neuen Tages. Und hier schließt sich dann der mythologische Kreis mit jenem der damals zeitgenössischen panathinäischen Prozession, in dem auch die letztere für eine neue Ära steht, die Neuzeit der demokratischen Polis. Recht diskret, aber dann eben doch, lässt sich hier der Staatsmann Perikles als Gründervater einer neuen Gesellschaft feiern, wie einst die Geburt der Athener eine neue Zeit verhieß.
Hinüber zum viel kleineren Erechteion, dem nach dem Gründerkönig Athens benannten Tempel, nach Erich sozusagen. Wenn wir den Parthenon als unübertreffliche Leistung einer hochmathematisch fundierten Rationalität erlebten, dann finden wir im verwinkelten, kom-plexen und vielschichtigen Erechteion eine Hommage an eine höchst irrationale Mystik. Unter einer Veranda nach Süden hin soll sich das Grab des Kekrops befunden haben, des vor-athenischen Königs, als Athen noch Kekropia geheißen haben soll. Das Dach darüber wurde von den sechs Säulenjungfern getragen, die man später als Karyatiden bezeichnen sollte. Auch davon sprachen wir. Und hier nun finden wir einen weiteren Beleg für unsere These, indem nämlich die Jungfern in die gleiche Tracht gekleidet sind, mit der wir die edlen Damen der panathinäischen Prozession bekleidet gefunden haben.
Es gibt also nicht nur einen starken Kontrast zwischen der Rationalität des Parthenon und dem Mystizismus des Erechtheion, sondern auch eine Wechselbezüglichkeit, einen Dialog zwischen den beiden. Einen Schlüssel zum Verständnis dürfen wir darin suchen, dass der große Tempel der demokratischen Staatsform in Friedenszeiten konzipiert und gebaut wurde, das Erechteion erst in den Wirren des peloponnesischen Krieges.
Auf der Südwestecke des Akropolis-Plateaus ist, nach vielen Jahren der Restaurierungsarbei-ten, nun wieder das kleine Niketempelchen zu bewundern. Hier sollte nun die geflügelte Siegesgöttin Nike verehrt werden. Nur dass das Tempelchen gerade dann fertig wurde, als die Athener ihren Sieg über die Spartaner soeben vergeigt hatten. So kann eben auch die schönste Demokratie zu Grunde gehen, wenn sie sich von populistischen Demagogen zum Übermut und zur Unvernunft verführen lässt, zu Kriegszügen an fernen Küsten zum Beispiel.
Nach kurzer Erfrischungspause im Hotel holt uns der Kleinbus zur Fahrt auf den Lycavettus ab. Mitten im athenischen Häusermeer erhebt sich die steile Bergpyramide 280 Meter über Ebene und Meer. In Serpentinen schraubt sich die Straße durch einen Pinienwald auf einen Sattel empor. Dann sind es noch 500 Meter zum Gipfel, über steile Pfade und Treppen, aber es sind alle gut zu Fuß. Sonst wären wir mit der Standseilbahn zur Spitze hinauf gefahren.Ganz oben ein Kapellchen mit blauer Kuppel, wie überhaupt so viele dem Lichtgott Apollon geweihte Tempel auf den griechischen Bergen durch kleine Kirchen ersetzt wurden.
Wir kommen gerade rechtzeitig zum Fahnenappell, bei dem jeden Abend vor Sonnenuntergang die blauweiße Streifenflagge mit dem Kreuz in der Ecke in einer militärischen Zeremonie eingeholt wird.Der Blick geht tief hinunter ins Stadtzentrum und jenseits auf die Akropolis da unten. Die westattische Ebene wird auf drei Seiten eingerahmt von Bergzügen, im Osten vom Immittos mit seiner Höhe von 1.000 Metern über dem Meer, im Norden vom Pentelikon, auf dessen 1.100 Meter hohen Kegel heute noch die Marmorbrüche der Antike weiß glänzen, im Wes-ten von der Parnitha, einem 1.400 Meter hohen Waldgebirge, dem Wandergebirge der Athener. Nur dass die Hälfte davon im Sommer 2007 abgebrannt ist und die einst so pflanzen- und tierreiche Natur einfach nicht mehr nachwachsen will.
Nach Süden gleitet die Ebene sanft zum Meer hinunter. Die Straßen folgen heute noch deut-lich sichtbar den Mauern, die im 5. Jahrhundert die Hauptstadt mit ihrem Hafen verbanden. Sie schützten eine für die alten Athener lebenswichtige Verbindung, hingen sie doch mit ihren relativ kleinen und kargen Ackerflächen ganz und gar von Weizenimporten ab, von Schiffen die dafür Jahr für Jahr bis ins Schwarze Meer segelten. Oder, wenn kein Wind wehte, ruderten.
Bei einem Ouzo, dem Anis-Apéritif der Griechen, erzählt uns der Reiseleiter von alledem und von den jahrtausendealten Seefahrerlegenden, die sich darum ranken. Wie zum Beispiel Jason mir seinen Kameraden bis hinauf ins heutige Georgien schipperte, um sich des goldenen Vlieses zu bemächtigen.
Unten in der Altstadt setzt uns der Bus beim Trödelmarkt ab, in dessen Mitte wir nun in ei-nem besonders schönen Restaurant, dem Café Avissinia einkehren. Allein das Intérieur wäre einen Besuch wert, mit seiner hundertjährigen Kaffeehausmöblierung, mit Gemälden bis an die Decke und einer grandios schönen Terrasse. Nun geht der Blick wieder herauf zur festlich erleuchteten Akropolis. Wie ein goldenes Schiff schwebt sie über der Stadt. Viel näher liegt in der Agora das Thission, der Tempel des Hephaistos.Unser Reiseleiter hat einige seiner griechischen Freunde zum Abendessen eingeladen. Köstlichkeiten werden aufgetischt. Es bestätigt sich noch einmal, dass griechische Küche eben viel mehr zu bieten hat, als touristisches Tavernenessen.
Wir freuen uns über die Gelegenheit, uns mit den griechischen Gästen auszutauschen, mit dem früheren hellenischen Botschafter in China, seiner reizenden deutschen Gattin. Eine Dame von der niederländischen Botschaft ist hinzugekommen und eine Literaturdozenten von der Athener Universität. Über die Rezeption der Sophokles-Tragödien in Deutschland hat sie promoviert.
Still geworden ist die Altstadt, als wir spät am Abend durch die Gassen zu unserem Hotel zurück schlendern. Was für ein Tag!

Dritter Tag: Mittwoch, 10. Oktober 2018 Altstadt / Kerameikos / Thission / Agora


Nach den ersten Eindrücken vom hochkulturellen Erbe der Antike ist das heute ein Tag der Vertiefung in das Alltagsleben der alten Athener. Wie wandern zum Kerameikos-Grabungsgelände am Westende der Plaka (Altstadt). Gleich jenseits der Stadttoren führten in der alten Zeit eine Straße von hier aus nach Süden, zum Hafen in Piräus, eine andere nach Westen in Richtung der heiligen Stadt Elefsina (Eleusis), wo sie seinerzeit die geheimnisvollen Mysterien feierten, die Heilige Straße.
Auf schweren Ochsenkarren rollten hier die Importe in die Stadt, von Piräus her, die Exporte hinunter zum Hafen, mit denen die Athener ihre Einfuhren zu finanzieren hatten. Dazu zähl-ten nicht zuletzt die Töpfereien, die hier hergestellt wurden, Alltagsgeschirr ebenso wie kunstvoll bemalte Festgefäße, Amphoren, sakrale Trinkbecher. Die ganze damals bekannte Welt, im Westen bis hin ins griechische Marsilia (Marseille) schätzte die Keramiken aus Athen, die dann dieser Vorstadt auch den Namen Kerameikos gegeben haben.
Zwischen Stadt und Hafen war das hier freilich auch das Viertel der Flötenmädchen, Dirnen und Freudenhäuser. Auch davon zeugen etliche Keramiken, sehr explizite noch dazu.Das weite Kerameikos-Gelände ist seit Ende des 19. Jahrhunderts ein Grabungsfeld des Deutschen Archäologischen Instituts. Mit den unzähligen Fundorten des Altertums wären die Griechen allein völlig überfordert gewesen. Deswegen gewährten die Regierungen des neuen Griechenland ausländischen Archäologen und den offiziellen Forschungseinrichtungen der Partnerländer langfristige Konzessionen, genau bestimmte Stätten der Antike auszugraben, stets unter griechischer Oberaufsicht. Die deutschen Archäologen machten sich zuerest um die Akropolis verdient, noch unter König Otto, bis die Griechen sich die Akropolis als Glanzstück selbst vorbehielten. Seither sind die großen Orte der deutschen Archäologie in Griechenland die antiken Stätten in Olympia und eben der Kerameikos.
Nach dem Trubel auf der Akropolis am Vortag tut es gut, hier in Ruhe das weitläufige Gelän-de zu durchwandern. In diese grüne Oase inmitten der Stadt verlaufen sich nur wenige Tou-risten, dann und wann nur und gelegentlich eine Gruppe von Studenten oder Schülern. Am Dipylon, dem Doppeltor, finden wir auch das Pompeion. Die Halle diente in der alten Zeit dazu, den panathinäischen Festwagen zu schmücken. Von hier wurde auf einem rollenden Schiff der Göttin Athene einmal im Jahr ein neuer Peplos gebracht, eine golddurchwirkte, von den vornehmsten Jungfrauen der Stadt gewebte Stola, um die modebewusste Schirmherrin dort oben bei guter und gnädiger Laune zu halten. In einer langen S-Kurve schoben und zogen die Athener den Wagen hinauf zur Akropolis, dann noch mit Flaschenzügen eine steile Rampe hinauf zu den Propyläen, weiter zur Ostseite des Parthenon. Eben jene Prozession, die wir auf dem Fries des Athene-Tempels verewigt gesehen hatten.
Was hat das mit der Demokratie zu tun? Nun ja, so um 514 v.Chr. wurde eine junge Dame davon ausgeschlossen, den Peplos weben zu dürfen. Weil an ihrer Jungfräulichkeit Zweifel bestanden, sagen die einen. Weil sie den Bruder Hipparchos des Tyrannen Hippias mit seinen Avancen zurück gewiesen hatte, die anderen. Oder war es der junge Schönling Harmodius, der dem Hipparchos einen Korb gegeben hatte? Jedenfalls rächte sich ihr Bruder Harmodius für die der Familie zugefügte Blamage, indem er den Tyrannen-Bruder erstach, zusammen mit seinem väterlichen Liebhaber Aristogeiton. Später wurde die Tat wohl politisch umgedeutet zu einem Tyrannenmord, der ganz entscheidend zum Durchbruch des demokratischen Gedankens beigetragen habe. Die Bildhauer Kritios und Neisotes setzten dem etwas zweifelhaften Gründerpärchen der Demokratie, Harmodius und Aristogeiton, für ewig ein Denkmal. Die Doppelskulptur ist heute zu Tage im Nationalmuseum zu bewundern.
Die Straße nach Piräus wie auch die Heilige Straße nach Eleusis, sie waren gesäumt von den Grabmälern der vornehmen athenischen Familien. Mit prachtvollen Denkmälern konnten sie hier nicht nur die verstorbenen Ahnen ehren, sondern für alle Passanten sichtbar ihre vor-nehme und altreiche Abkunft feiern. Viele Marmortafeln zeigen den Verblichenen sitzend, wie er dort von den Liebsten Abschied nimmt, mit einem Handshake und wie die Liebsten ihm noch das eine oder andere Souvenir mit auf die Fahrt über den Hades geben. War der Sohn im Krieg fürs Vaterland gefallen, wurde sein heldenhafter Opfertod entsprechend plastische dargestellt. Und einem besonderes dynamischen Kämpfer setzten seine Hinterbliebenen einen gewaltigen Marmorstier auf's Grab. Das Original finden wir im kleinen Kerameikos-Museum. Nur dass, wenn man sich in die archäologische Literatur dazu einliest, frühere Archäologen ihm, dem Stier, ein verlorenes Marmorbein ganz falsch herum ersetzt haben.
Als die Athener dann den peloponnesischen Krieg gegen die Spartaner und ihre Alliierten verloren hatten, im Jahre 404 v.Chr., da setzte die Spartaner einen Statthalter ein, der den Totenpomp sogleich verbot. Für einige Jahre unter spartanischer Oberherrschaft waren den Athenern nur noch sehr einfache Einheitsgrabsteine gestattet. Hunderte davon säumen den Weg zum Museums-WC, Pollern ähnlich, an denen man am Kai die großen Schiffe festmacht. Aber die Zeit des egalitären Spartanismus war bald wieder vorbei. Und so konnte der Beerdigungspomp wieder aufleben, wie überhaupt die persönliche Selbstverherrlichung der Reichen immer fröhlichere Urständ trieb. Größtes Beispiel ist wohl der Pergamon-Altar, der in Wahrheit das Mausoleum des Mausolos ist, des Königs des Attaliden-Reiches im heutigen Anatolien und der ganzen Attaliden-Dynastie. Heute das gigantische Glanzstück der Berliner Museumsinsel.
Tausende von Keramiken sind im Museum zu finden. Das ist gewissermaßen unser Glück, dass wenn Töpfe und Weihgefäße erst einmal zu Bruche gegangen waren, sie nicht wieder zusammengefügt werden konnten und auf den Schutt kamen. Mühsamst klauben die Archä-ologen von heute die Scherben aus dem Boden, um sie wie Mosaikteilchen wieder zu einem Ganzen zusammen zu fügen. Äußerst lehrreich sind diese Keramiken für die damaligen reli-giösen Riten ebenso wie für das tägliche Leben.Dazu gehörte auch die Darstellung des Liebeslebens, mit all seinen Varianten und in größter Unbefangenheit. Nur ein Einzelstück erinnert in den Kerameikos-Vitrinen an das Lustleben der alten Griechen. A tergo. Man sagt, dass das Gros der erotischen Teller und Pötte in den Tresoren der Museumsdirektoren unter Verschluss gehalten werden. Oder längst zu Höchstpreisen an Interessenten in Los Angeles oder Dubai verkauft worden sind, neuerdings auch Shanghai. Den Eberhardt-Gästen das zu zeigen und zu erzählen, ist aber viel zu peinlich.
Nach der Mittagspause rund um die lebhafte U-Bahn-Station Thissio wenden wir uns wieder der ernsthafteren Archäologie zu, diesmal der Agora. Wieder eine weitläufige, grüne Oase, zwischen lärmender Altstadt und den Mauern der Akropolis, auch dem Felsen des Aeropag und den grünen Hängen des Pnyx-Hügels. Agora, dass bedeutete ursprünglich Marktplatz, wo die Nahrungsmittel und anderen Güter des täglichen Bedarfs gehandelt wurden. In der demokratischen Republik Athen war die Agora schon früh zum Ort der Stadtregierung ge-worden, der Kultur und der Philosophie. Denn das hatten die Alten schnell heraus gefunden, dass eine Demokratie ohne ein gemeinsames Mindestmaß an Bildung und aufrichtiges Be-mühen um die Wahrheit im respektvollen Diskurs nicht funktionieren kann.
So wurden die langen überdachten Säulengänge eben beides, Markthallen, in denen sich ein Verkaufsstand an den anderen reihte, Wandelhallen, in denen die Athener philosophierend auf und ab schlenderten. Na ja, vielleicht nicht alle-. Denn auch das wussten sie, dass ange-nehme körperliche Bewegung zu gutem Denken anregt.So eine lange, zweistöckige Halle mit Hunderten von Säulen hat dann auch Attalos, ein König von Pergamon, anfangs des zweiten christlichen Jahrhunderts den Athenern spendiert, also der Herrscher jenes kleinasiatischen Königreiches, von dem wir schon den König Mausolos kennen gelernt haben. In Athen ausgebildet, wollte er damit die Athener seinem Reich günstig stimmen, eine diplomatische PR-Maßnahme wie in Berlin (West) die Kongresshalle in Form einer schwangeren Auster (ein Geschenk der Amerikaner) oder in Berlin (Ost) der Sputnik-Fernsehturm (mit goldenem Kreuz bei Sonnenuntergang) an das sowjetische Brudervolk erinnert.
Die Amerikaner haben die Stoa Anfang der fünfziger Jahre wieder aufgebaut, mit Geldern von Rockefeller & Co. Und vermittelt uns der Bau heute, nebst der darin untergebrachten Sammlung von klassischen Antiquitäten, einen Eindruck davon, wie großartig das Leben in solchen Architekturen doch gewesen sein muss. Wieviel großartiger als in den Malls unserer eigenen Zeit. Stoa, der Ausdruck kommt sicherlich von den Standsäulen und wurde auf die Philosophen übertragen, die man Stoiker nannte, obwohl sie doch wandelten. Heute noch bezeichnen wir Menschen, die kraft ihrer Weisheit ihr Leben in entspannter Gelassenheit leben, als stoisch.
Draußen inmitten der Agora finden wir die Ruinen des Odeon, des Indoor-Theaters, in dem sich die Alten von Tragödien und Komödien unterhalten ließen, wenn es Winters für Auffüh-rungen in den riesigen Outdoor-Arenen zu kalt wurde. In der bildungsbürgerlichen Neuzeit wurde sodann manches Lichtspielhaus auf den Namen „Odeon" getauft, während die neuen Kinos unserer Tage Multiplex, StarMax oder ähnlich amerikanisch genannt werden.
Die oben am Pnyx-Hügel tagende Volksversammlung konnte alles entscheiden. Die Vorstel-lung einer durch Verfassung und Grundrechte eingeengten Kompetenz des Parlaments wäre den klassischen Athenern sehr fremd gewesen. Aber ohne gründliche Vorbereitung wären Beschlussfassungen durch bis zu 6.000 Teilnehmer nicht praktikabel gewesen. Dafür hatten sie eine Komitee von 500 Ratsherren eingesetzt und dann noch einmal, für die dringlichsten Entscheidungen, einen „Ältestenrat" von 50 Mitgliedern. Wir sehen heute noch den Ver-sammlungsraum dieser 50 Ältesten, ein kreisrunder Bau, rund wie ein Zirkuszelt oder eine mongolische Jurte. Siebzehn Ratsherren mussten rund um die Uhr anwesend sein, als Bereit-schaftsdienst, für Notfälle.Gesetze galten erst dann, wenn sie veröffentlicht waren, wozu sie damals freilich kein Amts-blatt hatten. Als Staatsanzeiger funktionierten vielmehr Steinstelen, die draußen vor dem Rathaus in Vertiefungen eingelassen wurden und die wir heute noch dort sehen können.
Ein kleiner Bergpfad und Treppen führen zum Theseion hinauf, dem besterhaltenen Tempel klassischer Zeit. Noch immer tragen die Säulen ein Satteldach. Die Erhaltung des Baus ist der Tatsache zu verdanken, dass er sich nach der Christianisierung des Landes über die Jahrhun-derte trefflich als Kirche nutzen ließ. In byzantinischer Zeit wurde der Tempel fälschlich This-sion genannt, weil die Leute glaubten, hier sei der athenische Gründerkönig Theseus begra-ben. Welch ein Irrtum, dass die Alten einem Sterblichen einen Tempel gewidmet hätten.Nein, wir stehen hier vor dem Tempel des Hephaistos, einer Missgeburt der Zeus-Gattin Hera, die es darauf angelegt hatte, ein Kind ohne Mitwirkung ihres Göttergatten zu zeugen.
Entsprechend mangelhaft war das Ergebnis und verfügten die Olympier, dass der hinkende Sohn, Bruder, Vetter künftig als Schmied malochen müsse. So wurde Hephaistos zum Schutzpatron der Handwerker und haben auch die Eisenreste rings um das „Thission" den modernen Archäologen geholfen, den Tempel zu identifizieren. Man verheiratete den Häss-lichen mit der allerschönsten Göttin der Schönheit und der Liebe, Aphrodite. Was die ihm dann für Geschichten gemacht hat, dem armen Kerl! Mit seiner Halbschwester Athene wollte er sich trösten, hat er aber auch mit ihr nur Pech gehabt. Aber davon müsste uns der Reiseleiter ein anderes Mal erzählen.
Zu dritt wollten wir abends in das Herodes Atticus Theater, jener Arena, die eben ein Athener jenes Namens und Freund des römischen Kaisers Hadrian (also Anfang des 2. Jahrhunderts nach Christus) den Athenern gestiftet und sich zugleich als Namensgeber verewigt hatte. Von den 6.000 Sitzplätzen der offenen Arena gleich unter dem Nike-Tempelchen der Akropolis, würden nach dem Rat der Örtlichen bestimmt noch drei Plätze für uns an der Abendkasse zu haben sein. Aber nichts da, von 6.000 Karten für die Spartakus-Aufführung des Bolschoi-Balletts aus Moskau war keine einzige für uns übrig geblieben, weswegen wir recht betrübt zum Hotel zurück kehrten, was Kartenbestellungen angeht, klüger geworden.

Vierter Tag: Donnerstag, 11. Oktober 2018 /  Ausflug auf die Insel Aegina

Es soll früh losgehen, um acht, mit dem Bus zum Fährhafen in Piräus. Aber der Bus ist nicht da, wo ihn unsere so sorgfältige griechische Reiseführerin hinbestellt hatte. Und er ist auch nicht schwarz, wie angekündigt. Nach halbstündiger Nervenprobe entdecken wir ihn, den Minibus dann, direkt vor dem Hotel und hellgrau.Gut, dass wir eine Zeitreserve bis zur Abfahrt der Fähre eingebaut hatten. So erreichen wir das Schiff doch noch rechtzeitig, finden wir gleich einen schönen Platz an Oberdeck, um die anderthalbstündige Fahrt zur Insel Ägina voll genießen zu können.
Winzig wirkt unsere fünfstöckige Autofähre unter den gewaltigen Kolossen der Kreuzfahrtschiffe, die in Piräus festgemacht haben, schwimmende Babeltürme, ganze Kleinstädte, die ihre menschliche Fracht Tag für Tag in eine andere Destination hinein ergießen, wie Sintfluten, um nicht von Heuschrecken zu sprechen.Wir aber fahren nun hinaus in den weiten Saronischen Meeresgolf, der an fast allen Horizonten von hohen Gebirgen gesäumt ist, nur im Südosten nicht, wo die Insel vom Heiligen Georg den Weg in die offene Ägäis weist. Unsere Fähre aber fährt mit Kurs Südwest an der Küste der Insel Salamis vorbei.
Unser Reiseleiter erzählt, wie dort drüben in der Meerenge, wo heute die Kräne des großen Container-Hafens und die Schlote der Raffinerien zu sehen sind, im Spätsommer des Jahres 480 v.Chr. die große Seeschlacht stattfand. Denn die Perser hatten sich mit ihrer Niederlage bei Marathon 10 Jahre zuvor nicht abfinden können. Sie kamen nun mit einem noch viel größeren Heer und einer Riesenflotte wieder, um den griechischen Herausforderern den Garaus zu machen. Die Stadt Athen hatten sie schon eingenommen und die Akropolis als Hort des polytheistischen Aberglaubens, der für die monotheistischen Orientalen verabscheuungswürdigen Vielgötterei, in Schutt und Asche gelegt.
Aber der kluge athenische Staatsmann Themistokles hatte die 10 Jahre seit Marathon genutzt, eine Flotte von wendigen Kampfschiffen aufgebaut. Das Orakel von Delphi hatte die Athener gemahnt, sich hinter hölzernen Mauer zu verschanzen, was Themistokles richtig verstand, nämlich nicht (wie die Hohen Priester) als Palisaden rund um die Akropolis, sondern im Sinne hölzerner Schiffe. Die Reichen der Stadt wurden angehalten, Kriegsschiffe zu bauen, alle Bürger und auch die Sklaven bemannten als Ruderer und Kämpfer die dreistöckigen „Trieren". Mit einem eisernen Rammbug konnten diese wendigen Schiffe den schweren persischen Kriegsschiffen in die Flanken fahren.Von einem Thron am Festland konnte der persische Kaiser Xerxes nicht, wie er erwartet hatte, den Sieg seiner Flotte verfolgen. sondern wurde er Zeuge seiner vernichtenden Niederlage. Für die Athener aber wurde es ein weiterer und entscheidender Sieg der noch jungen Demokratie, auch weil nicht nur eine patrizische Elite, sondern die ganze Bürgerschaft mit Kämpfern aus allen Schichten die Schlacht gewonnen hatte.
An Steuerbord ankern große Tanker. Letztes Jahr ist einer von diesen alten Kästen auseinan-der gebrochen. Das in seinen Tanks illegal, zu spekulativen Zwecken, gebunkerte Schweröl ergoss sich in die Bucht und verteerte die Ufer soweit das Auge reicht.Eine einzige hohe Säule aus antiken Zeiten weist den Weg in den Hafen von Ägina. Sie erinnert an die Stadt Colonna und die goldenen Zeiten der Insel. Lange Zeit war die Insel eine Athen ebenbürtige Rivalin um die Macht am saronischen Golf, mit einer langen Reihe von lokalen Kriegen, bis Athen die Oberhand gewann.Im Hafen von Ägina herrscht reges Leben. Vor der langen Reihe von klassizistischen Geschäftshäusern liegen Dutzende von Jachten und sitzen Feriensegler aus aller Herren Länder in den Cockpits.
Unser Kleinbus kämpft sich durch den dichten Verkehr in die Außenbezirke. Die Häuser weichen Obstgärten, die Obstgärten Olivenhainen, dann geht es die Berge hinauf. Auf dem Passsattel thront, riesig, die Kirche des Heiligen Nektarios, des jüngsten Heiligen der griechisch-orthodoxen Kirche. Wir dagegen fahren nun auf holpriger Bergpiste in die grünen Hügel. Alsbald erreichen wir eine von Bergkuppe gesäumte Ebene und an ihrem anderen Ende das kleine weiße Kloster Chryssoleodissa, einem Marienkloster aus dem 16. Jahrhundert.
Still wäre es hier, hübe nicht die Gänseschar im Garten ein großes Geschrei an, halb Protest, halb freudige Begrüßung der Besucher. Wer weiß. In der uralten Kirche voller Kunstschätze unterbindet eine gestrenge Nonne das Fotografieren, was durch die heitere und liebenswür-dige Art ihrer Mitschwester im kleinen Devotionalienshop ausgeglichen wird. In unverkennbar frankfurterischem Idiom freut sie sich über die deutschen Gäste, erklärt sie, ihre Kindheit als Tochter griechischer Gastarbeiter in der Stadt am Main verbracht zu haben. Wieviele Nonnen es noch seien, hier oben im Marienkloster? Sie antwortet nur, dass das ein großes Geheimnis sei. Aber jedes Mal, wenn eine Schwester entschlafe, schicke die Gottesmutter eine neue.Es sind wohl noch drei.
Die dritte Nonne ruft uns vom Dach herunter, worauf wir mangels Absperrung gestiegen sind und wo vor einer himmelblauen Kuppel frisch gewaschene Teppiche bunt im heftigen Winde wehen. Eine hübsche junge Frau ist die Novizin. Dass sie so gesehen gewiss Nonne nicht hätte werden müssen, wollen wir als etwas frivolen Gedanken erst gar nicht denken.
Auf und ab geht es weiter, bis der Bus in einem Pinienhain und hoch auf einem Bergsattel vor dem Aphaia-Tempel anhält. Was sind wir froh, dass das Personal, anders als die Hüter anderer archäologischer Stätten es angekündigt haben, heute nicht streiken. Der gut erhaltene Tempel ist gewissermaßen das Pendant des Parthenon-Tempels, den wir drüben, etwa 50 Kilometer drüben auf der anderen Seite des Saronischen Golfes, gerade noch mit bloßem Auge ausmachen können.Die hier verehrte Göttin Aphaia sei eigentlich eine andere Version der Athene, mit ähnlicher Legende und gleicher Bedeutung, erklärt unsere kenntnisreiche griechische Reiseführerin.
Wir können uns dazu denken, dass für die Inselgöttin den Namen der Athene zu übernehmen, der Patronin der „Erbfeinde", den Ägineten sehr schwer gefallen wäre.Als Ägineten kennen wir aber vor allem jene Giebelskulpturen, die heute in der Münchner Glyptothek aufbewahrt werden. Der bayerische Altertumsforscher Haller von Hallerstein und der britische Archäologe Cockerell hatten die Skulpturen am Anfang des 19. Jahrhunderts hier abmontieren und wegschaffen lassen. Nach Überzeugung der Münchner besitzen sie die Ägineten dennoch zu Recht, weil König Ludwig I. von Bayern die Stücke im Jahre 1812 in ei-ner neapolitanischen Auktion, also legal, erworben habe.
Unsere griechische Reiseführerin will das nicht gelten lassen.„Bunte Götter" sind sie gewesen, die Ägineten. Denn keineswegs waren die Skulpturen so edel schneeweiß, wie es sich der idealistische Gründervater der neuzeitlichen Archäologie, Johann Joachim Winckelmann, im 18. Jahrhundert hat vorstellen wollen, Götter „in edler Einfalt und stiller Größe". Denn schon früh fand man an den griechischen Marmorplastiken Farbreste und entspann sich ein Gelehrtenstreit um die Monochromie (weiße Einfarbigkeit) beziehungsweise Polychromie (Vielfarbigkeit) der antiken Skulpturenwelt. In den letzten Jahren hat nun die Münchner Glyptothek die Vielfarbigkeit der Ägineten rekonstruiert und die „Bunten Götter" in einer vielbeachteten Ausstellung rund um die Welt geschickt.Dabei sind gerade die Ägineten, im Vergleich zum Beispiel zu der eleganten, dezenten Fär-bung der Akropolis-Skulpturen, von einer nachgerade gaudihaften Farbigkeit. Seither darf man sich über die edle Schlichtheit der antiken Götterbilder keine falschen Vorstellungen machen.
Die Mehrheit, muss man wiederum einwenden, der griechischen Skulpturen war ohne hin einfarbig, grün, grünspänig, weil sie nämlich aus Bronze waren. Nur sind uns nur wenige dieser Skulpturen erhalten geblieben, wurden sie doch in späteren Jahrhunderten fast allesamt geraubt, ihr Metall eingeschmolzen und für Alltagsdinge und Schwerter verwendet, später auch Kanonenkugeln. Die wenigen erhaltenen bronzenen Standbilder, sie stammen fast ausnahmslos aus den Wracks untergegangener Schiffe und sind uns erst durch die moderne Unterwasserarchäologie bekannt geworden.
Erholung vom Besichtigungsstress in Agia Marina, einem hübschen kleinen Badedorf am Fuße des Aphaia-Berges. Die (hier vorwiegend athenischen) Sommerurlauber sind nun schon wieder nach Hause, viele Tavernen und Läden schon geschlossen. Der Ort rüstet sich für den Winterschlaf. Nur in der Taverne der Familie Kyriakakis herrscht noch reges Treiben, dank einer großen Gruppe von Seniorenausflüglern. Zum herrlichen Blick auf Bucht und ferne Inseln wird sehr schmackhafte Hausmannskost serviert. Andere Eberhardt-Gäste nutzen die Fahrpause zu einem Bad, was bei Meerestemperaturen um 24 Grad und wärmer noch an den flachen Stränden jetzt zu Anfang Oktober ohne weiteres und angenehmst möglich ist.
Auch für die Rückfahrt haben wir die schnellen, aber engen und lauten Tragflügelboote ver-mieden, die bis Piräus kaum länger als 30 Minuten brauchen. Vom Oberdeck unseres klassi-schen Fährschiffs ist die anderthalbstündige Passage jetzt am späten Nachmittag ein wahrer Traum. Die zum westlichen Horizont hinunter gleitende Sonne lässt nun aus dem leichten Mittagsdunst die Silhouetten der Inseln und Gebirge klar umrissen in Erscheinung treten.
Der Reiseleiter weist in Richtung von Korinth, wo sie einst die aus Westen kommenden Schiffe auf Rollen über die Landenge trugen, über den Isthmos. Die Stadt kontrollierte also den West-Ost-Handel der Antike, wurde entsprechend reich und weihte ihren Stadttempel der Patronin der Seefahrer, der Aphrodite. Den alten Griechen galt Korinth als Stadt der Liebe, na ja, jedenfalls der Liebesfreuden.

Fünfter Tag: Freitag, 12. Oktober 2018 Ex–Bummel in Athen und Rückreise


Zum Abschied bietet der Reiseleiter am Vormittag einem Ex-Bummel an, eine kleine Rund-wanderung. Der Weg geht noch einmal am Dyonnisos-Theater und am Theater des Herodes Atticus vorbei, dann sanft hinauf durch ein kleines Wäldchen und auf verwunschenen Pfaden zum Filopappos-Berg.
Auf dem Gipfel-Plateau stehen wir vor dem Filopappos-Denkmal oder was die Jahrhunderte davon übrig gelassen haben.Der Namensgeber Filopappos (der „Freund des Großvaters") war ein reicher Römer, ein Fürst syrischer Abkunft, Freund des Kaisers Trajan und Statthalter in Athen. Das Monument sollen ihm die Athener zum Dank für seine Wohltaten erbaut haben. Aus klassischer Sicht ein schlimmer Frevel, wie bald später das Theater des Herodes Atticus oder in unseren Tagen das prachtvolle Niarchos-Kulturzentrum, das die Reeder-Familie generös dem griechischen Staat geschenkt haben.Mäzene statt Musen also. Denn in älterer Zeit war das hier das Museion, der Musenhügel. So geht das, wenn die Reichen dem Staat angemessene Abgaben vorenthalten, darauf noch mehr Reichtum gründen und schließlich einen Bruchteil davon der Gemeinschaft mit Kulturstiftungen zurück geben, huldvoll und zu ewig dankbarer Erinnerung. Nichts könnte vom Geist der klassischen athenischen Demokratie weiter entfernt sein, als eben solches.
Der Rundblick aber vom Musenhügel ist grandios, auf das Meer, auf die Berge ringsum, auf die Akropolis. Nicht ohne Genugtuung sehen wir, wie jetzt am Vormittag dort drüben die Touristen in geschlossener Reihe wie die Ameisen zum Parthenon empor krabbeln. Auf unserem Weg zurück zum Hotel sehen wir, dass sich vor dem Eingang zur Akropolis eine lange Warteschlange gebildet hat, von anderthalbstündiger Länge und wer weiß wie lange dann noch bis oben. Mit unserer Nachmittagsbesichtigung drei Tage zuvor haben wir also alles richtig gemacht, als die Kreuzfahrtermassen schon wieder weg waren.
Zurück zum Hotel muss unser Leipziger Reisegefährter als erster los zum Flughafen, mit ei-nem Sondertaxi. Wir nutzen die Nachmittagsstunden für letzte Andenkenkäufe. Nebst Touri-Läden, übrigens oft mit ganz netten und sinnvollen Erinnerungsstücken, gibt es auch in der Altstadt gute Designer-Shops mit interessanten Kreationen.Abends geht unser Flieger zurück nach Dresden und verabschieden wir uns am dortigen Flughafen voneinander, nach einer auch von den Reisegefährten her angenehmen Exkursion nach Athen.

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