Reisebericht: Zugreise Schweiz – die schönsten Panorama–Strecken

19.06. – 25.06.2011, 7 Tage Rundreise Schweiz mit Sarnen – Gotthard Panorama Express – Lugano – Centovallibahn – Brig–Naters – GoldenPass Panoramic – Interlaken


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Mit Bus, Bahn und Boot durch die Schweiz. Auf einem Raddampfer befahren wir den Vierwaldstätte See und lernen von Panoramzüge aus wunderschöne Landschaften kennen - Berge und Seen.
Ein Reisebericht von
Peter Großer

Reisebericht

Sonntag, 19.06.2011
"Die Schweiz ist von Natur aus ein sehr armes Land" sagte mir einmal ein Schweizer. "Wir haben weder Erdöl und Kohle noch Eisen oder andere Bodenschätze. Wir haben nur Luft, Wasser und Berge, aber die verkaufen wir sehr gut!" Sonst wären auch der Schweiz im dicken Eberhardtkatalog nicht fast genau so viele Seiten gewidmet worden wie dem 16 mal größerem Frankreich, immerhin dem Reiseland Nr. 1 der Welt. Natürlich ist es nicht nur der Tourismus, der die Schweiz zu einem wohlhabenden Land gemacht hat. Der weltgrößte Lebensmittelkonzern sitzt in Vevey, die führende europäische Pharmaindustrie in Basel, die Banken - denen das Geld zur Zeit geradzu zuströmt, die "Schoggi"-Industrie uvm.


Das Land hat viele Besonderheiten. Die Durchschnittshöhe der Schweiz beträgt 1350 m, schon das allein zeigt die gewaltige Rolle der Berge, die doch nie die Menschen trennen konnten. Aus 300 Übergängen für Fußgänger und Maultiere wurden in den Alpen 8 große moderne Passagen für Auto und Eisenbahn.
Und diese neuen Wege sind es, die die Besonderheit der Reisen in der Schweiz ausmachen, das Genießen des wunderschönen Panoramas vom Reisebus oder besonderen Zügen aus.
Vorbei sind die Reisehindernisse, die ein Goethe, Mark Twain oder eine Königin Viktoria noch erlebten. Damit ist die Schweiz vor allem auch ein Reiseland für ältere Menschen geworden, die nicht auf das Erlebnis dieser großartigen Berglandschaften verzichten müssen.
Und die Schweiz ist auch nicht so weit von uns entfernt. Schon bei der Anfahrt gibt es wunderbare Panoramen zu sehen: die Berge Liechtensteins, die Churfirsten, die Berge des Glanerlandes, Walensee und Zürichsee und am Ende der Fahrt Pilatus und Rigi und den Vierwaldstätte See. Noch vor 18 Uhr sind wir in Luzern und beziehen unsere Zimmer in einem sehr modernen Hotel, ganz zentral gelegen.
Montag, 20.06.2011
Wir bereisen mit dem Raddampfer den Vierwaldstätter See. Aus der ältesten und größten Raddampfer-flotte der Welt ist inzwischen die älteste und größte auf einem Binnensee geworden. Das stellte das Verkehrshaus der Schweiz fest, nachdem auch in der Schweiz nach der Wende die Weiße Flotte bekannter wurde und vergab den Titel "größte und älteste der Welt" an Dresden. Das Verkehrshaus ist die nächste Anlegestelle nach Luzern und viele Kinder steigen hier aus, um eines der schönsten technischen Museen Europas zu besuchen. Wir aber lassen die wunderschönen Landschaften an uns vorbeiziehen - Rigi, die "Königin der Berge" und den Pilatus, dem "Wettermacher". Im Urnersee rücken die B


erge näher heran, werden größer. Hier ist die Heimat Wilhelm Tells, des Schweizer Nationalhelden. Hier grüßte er den Hut nicht, wurde in Flüelen gefangen, auf das Boot gebracht, rettete das Schiff vor dem Untergang und sprang an der Tellplatte in die Freiheit. Nehmen wir einmal an, es hätte ihn so gegeben, wie es Schiller beschreibt, dem die dankbaren Eidgenossen in der Nähe der Rütliwiese ein Denkmal setzten. Historisch belegt sind dafür die Zusammenkünfte der Abgesandten der Urkantone auf dieser Wiese 1291 und 1308. Aus dem Bund ging die Schweizer Konföderation hervor. Mich beeindruckt besonders, dass ein Land mit 4 verschiedenen Sprachen und Kulturkreisen als "einig Volk von Brüdern" seit über 700 Jahren zusammenhält, während in den letzten 100 Jahren alle "multinationalen" Staaten Europas zerfallen sind (Österreich-Ungarn, die Sowjetunion, die Tschechoslowakei, Jugoslawien - ich wage nicht an Belgien zu denken).
 


Nach einem vorzüglichen Mittagessen auf unserem Schiff steigen wir in Flüelen in den "Wilhelm-Tell-Express". Im Reusstal sehen wir die Baustellen des neuen Gotthard-Basistunnels, der 2017 mit 56 km als längster Eisenbahntunnel der Welt in Betrieb gehen soll. Heute ist die Fahrt allerdings noch viel interessanter: in Kehrtunneln schraubt sich die Bahnlinie nach oben, die Kirche von Wassen sieht man jetzt noch dreimal nach den Tunnelpassagen, ab 2017 nimmermehr.
Das Tessin empfängt uns mit seinem schönen Levantina-Tal, seinen kleinen Dörfern - meist mit romanischen Kirchen -, den 3 übereinander angeordneten Burgen Bellinzonas und schließlich mit der Mittelmeerflora in Locarno am Lago Maggiore. Die Maggia hat ihr Geröll in den See hineingeschoben. Auf diesem Delta liegen die Städte Locarno und Ascona, nur durch den Fluss getrennt. Nach einem Bummel durch Locarno erreichen wir mit dem Bus unser Hotel in Ascona mit einer sehr ansprechenden Atmosphäre, einem Hallenbad und einer günstige Lage. Denn in 5 Minuten zu Fuß erreicht man den Lungolago, die Strandpromenade von Ascona, der sich auf das Jazzfestival vorbereitet.
 
Dienstag, 21.06.2011
Das Tessin lernt man erst besser kennen, wenn man in die Täler des Hinterlandes fährt.
Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Von der Ponte Brolla blicken wir in die Tiefe. Die Maggia hat sich tief in den Fels eingeschliffen, ihre Strudel haben Höhlungen herausgefräst. Mit Cevio lernen wir das erste Dorf kennen. Am Haus der Vögte haben Generationen ihre Wappen hinterlassen. Kennzeichnend sind aber die Granithäuser, Rusticos genannt, meist in Trockenbauweise errichtet, mit Granitplatten gedeckt, die 180 bis 420 kg schwer sind. So ein Steinhaus reißt auch eine wild gewordene Maggia nicht weg. Von anderen Gefahren im Tal künden die Balois, riesige Felsbrocken, Zeugen gewaltiger Bergstürze. Einige typische Restaurants, Grottos genannt, stehen an der Straße. Hier bekommt man das zu essen, was Mama an diesem Tag gerade kocht.
Im abzweigenden Bavonatal wird es noch romantischer. Die 12 Weiler bestehen fast nur noch aus


Granithäusern, sie sind meist nur im Sommer bewohnt. Es gibt in fast allen Häusern keinen Strom, obwohl in der Nähe aus Wasserkraft genügend gewonnen wird. Vieles ist verboten: Parabolspiegel, Grillplätze, Holzzäune. Das Valle Bavona ist das bestgeschützte Tal der Schweiz.
In Foroglio bietet sich ein großes Naturschauspiel: ein großer Wasserfall. 80 m Höhe nennen die Reiseführer, 110 m ergaben sich beim Nachmessen, höher als der Niagarafall, nur nicht ganz so mächtig sondern eher schmächtig.
Im letzten Weiler, den man mit dem Bus erreichen kann, Faedo, erkunden wir noch einmal zwischen den Steinhäusern schöne Motive für den Fotoapparat.
Nach einer Mittagspause an der Maggia geht es wieder nach Locarno zurück. Da wir den Ort schon am Vortag besichtigt haben, bleibt genügend Zeit noch ein weiteres Hochtal zu besuchen, das Tal des Verzasco. Der Bus fährt bis Lavertazzo, dort schwingt sich eine Römerbrücke mit 2 Bögen über den Fluss. Aber die Hauptattraktion ist eine mehr als 10 m hohe Klippe an der Brücke, von der sich Jugendliche - meist sind es die Mädchen - in das grasgrüne Wasser stürzen. Für noch Mutigere steht die 220 m hohe Staumauer des Vorgono-Stausees zur Verfügung, eine Herausforderung für Bungee-Springer. James Bond hat das hier gemeistert.
Anschließend bleibt noch Freizeit für Ascona. Jeder geht seinen Neigungen nach und ich entdecke den wunderbaren Kreuzgang des Collegio Pontificio Papio mit seiner an Kunstschätzen reichen Kirche.
 
Mittwoch, 22.06.2011
Wieder geht es mit dem Zug weiter. Die Centovallibahn verbindet Locarno mit dem italienischen Domodossola, dem Zugang zum Wallis über den Simplonpass. Centovalli - das sind 100 Täler, eigentlich sind es 150. Immerhin 1100 m muss der etwas altertümlich anmutende Zug auf der Schmalspurtrasse hochsteigen. Er schafft es ohne Zahnstange durch die geschickte Verkehrsführung und mit teilweise


äußerst engen Kurven. Dank der 1923 eröffneten Linie ist dieser Teil auf beiden Seiten dichter besiedelt. Neben Nussbäumen zeigen sich viele Edelkastanien, die früher unentbehrlich für die Ernährung der Bevölkerung waren.
In Domodossola steht schon unser Bus wieder bereit. Wir überqueren erneut die Alpen auf einer Straße, die Napoleon so ausbauen ließ, damit auch seine Kanonen befördert werden konnten. Der Weg über den Großen Bernhard war doch zu mühselig. Nachdem 1880 bereits der 15 km lange Gotthard-Eisenbahntunnel erfolgreich die Wege Mitteleuropas nach dem Süden verkürzte, kam 1905 der 19,8 km lange Simplon-Eisenbahntunnel dazu. Die eigentlichen Helden des Tunnelbaues sind die italienischen Bauleute, von denen mancher den Bau nicht überlebte oder an den Spätfolgen der schweren und gesundheitsschädlichen Arbeit starb.



Wir überqueren das Gebirge über den 2005 m hohen Pass, der ganzjährig geöffnet ist. Die Sicht ist nicht sehr gut, naja, dann das nächste Mal - so ist es eben in den Bergen.
Schon vor Napoleon hatte ein Mann aus Brig, Kaspar Jodek Stockalper, den Weg über den Simplon ausbauen lassen und ungeheuer davon profitiert: vom Salzmonopol, vom Wegezoll, vom Warenhandel, vom Bergbau. 16.000 Seiten umfassen seine kaufmännischen Aufzeichnungen und sein Schloss, das wir besuchen, zeigt den gewaltigen Reichtum und den Geschmack des Bauherren. Im Ort gibt es manches zu entdecken, auch ein kleines Denkmal für den Flieger aus Peru, der zum ersten Male die Alpen überquerte.
Dann geht es weiter im breiten Rhonetal, durch das Wallis mit seinen Weinbergen in das Waadtland, auch wieder mit bedeutendem Obst- und Weinanbau.
Die Schweiz ist ein bedeutendes Weinland. Fragt man einen Schweizer, warum die Weine im Ausland kaum bekannt sind, antwortet er: "Weil wir sie lieber selbst trinken!" Morgen werden wir das kennenlernen.
Der Genfer See ist erreicht, pardon, die Waadtländler hören das nicht gern: es ist der Lac Léman (die Genfer haben nur ein kleines Stückchen am See). In Montreux nimmt uns ein modernes Hochhaus-Hotel auf, das so konstruiert ist, dass man von jedem Zimmer aus etwas vom See und etwas von den Bergen sehen kann.
 
Donnerstag, 23.06.2011
Mit einer Zahnradbahn geht es zum Rocher de Naye, dem Hausberg von Montreux. Etwas ist immer, meint Tucholsky. Diesmal war es die sehr geringe Sicht im oberen Bereich. Die Murmeltiere waren aber noch zu sehen und die farbenfroh eingerichteten mongolischen Jurten, in denen man übernachten kann.
Montreux, die Perle am Lac Léman, hat auch so etwas wie eine Altstadt am Berg. Die Stadt ist aus vielen kleinen Bauerndörfern zusammengewachsen und hat ihr endgültiges Aussehen durch die Hotelpaläste der Belle Epoque bekommen. Die Uferpromenade zieht sich am ganzen See entlang, hier ist sie wohl am prächtigsten. Auch der Reichste kann sein Grundstück nicht bis zum See ausdehnen. Das Gemeinwohl geht hier vor! Zwischen den Palästen mit ihren Parks und dem Ufer muss Platz für einen öffentlichen Promenadenweg freigehalten werden.
Das alte Montreux scheint in Jahrhunderten unverändert. Aus dem Mittelalter ist die axhöne gotische Kirche St.- Victor erhalten. Von seinem Vorhof ist ein weiter Blick über den See möglich, bis zu den Savoyer Alpen des nahen Frankreich.



Den Nachmittag verbringen wir im Chexbres, in den Weinbergen des Lavaux. Diese sind übrigens seit einigen Jahren Welt-Erbe der UNESCO. Das sind schon edle Weine, die uns der Winzer auf einer hellen verglasten Terrasse über dem See anbietet. Und die Stimmung ist natürlich sehr gelöst. Die Sonne ist zurückgekommen. Zurück geht es über Vevey, Sitz des Nestle-Konzerns, Geburtsort des großen Architekten Le Courbusier und letzter Aufenthaltsort des aus den USA vertriebenen Charly Chaplin.
 
Freitag, 24.06.2011
Eine neue Bahnreise steht uns bevor. Der Golden-Pass-Express der MOB - der Montreux-Oberlandbahn - bringt uns von Montreux in Schleifen auf die Höhe, in das Pays d'Enhaut, das Oberland. Urprünglich beherrschten die Grafen von Gruyère das Land, später die Freiburger und die Berner. Die Produkte der Land- und Forstwirtschaft mussten mühsam in das Unterland geschafft werden. Die Alpkäse aus dem Gebiet sind heute noch Spitzenklasse.


Und an den langen Abenden pflegte man die uralte chinesische Kunst des Scherenschnittes.
Fast unmerklich geht das Pays d'Enhaut in das Saanenland über, die Sprache wechselt von Französisch zu Schweizerdeutsch. Geschrieben entspricht das Schweizerdeutsch der deutschen Schrift (allerdings fehlt glücklicherweise das "ß", denn kein Schweizer begreift den Unterschied zwischen Ruß und Rußland). Aber gesprochen oder als lautmalende Schriftsprache ist es wohl als Fremdsprache mit unendlich vielen Varianten einzuordnen. Ich habe einmal lange gebraucht, um herauszubekommen, dass im "Chnuschperhüsli" die Hexe wohnt und "Mistgrätzerli" eigentlich Broiler heißen müssen.
Am Thuner See entlang geht es nach Interlaken - inter lacis - der Stadt zwischen den 2 Seen, die die Aare durchfließt. Ist Luzern schon ein Muss für die Japaner (und Absatzmarkt für Souvenirs aus der Schweiz in Form erzgebirgischer Räuchermänner), so ist es Interlaken vielleicht noch mehr. Das Dreigestirn Eiger-Mönch-Jungfrau zieht ganze Scharen hierher in die Ausgangbasis zu den Eisriesen und - siehe oben - man verkauft Luft, Wasser und Berge sehr gut.
Der zweite Teil der Reise führt am Brienzer See entlang und auf die Höhe des Brünig-Passes. Dann geht es herab, vorbei an Seen, unter denen der von Lungern durch seine intensiv grüne Farbe hervorsticht. Nun hat uns der Pilatus wieder und Luzern.
Zum Abschluss der Reise führt uns Christina durch die Altstadt von Luzern. Wir gehen über die geraniengeschmückte Kapellbrücke, die leider einen großen Teil ihrer mittelalterliche Gemälde durch einen Brand verloren hat. Das ist eine Stadt zum Bummeln, viele alte Häuser der Zünfte sind sehr gut erhalten. Da ist auch noch eine zweite gedeckte Brücke, die Spreuerbrücke. Viel Mittelalter, aber am Himmel dröhnen die Maschinen der Patrouille Suisse mit ihren waghalsigen Manövern, die für das Seefest am kommenden Tag üben.
 
Sonnabend, 25.06.2011
Heute geht es wieder zurück in die Heimat. Die Fahrt im nagelneuen Fünf-Sternebus ist angenehm und
jeder ist pünktlich an der Ausstiegsstelle, wo schon die Transferfahrzeuge warten. Die wunderschöne Panormafahrt mit Bus, Bahn und Boot ist Vergangenheit, die Freude an den vielen gelungenen Aufnahmen und die Fülle der schönen Erinnerungen bleiben.
 



Nachtrag:
Ich habe bei der Fahrt durch das Pays- d'Enhaut die Scherenschnitttechnik erwähnt, die hier
zu hoher künstlerischen Meisterschaft gelangte. Viele Motive aus dem Alltagsleben wurden so im schwarzen Papier konserviert, nachdem die Zeit der Porträt-Silhouetten vor der Geburt des Fotoapparates vergangen war.



Bei dieser Reise lernte ich eine nette ältere Dame kennen, die diese Kunst auch heute noch ausführt, um anderen Menschen ein kleines liebevolles Geschenk machen zu können. Ich darf ihren Namen nennen: Doris Engelmann aus Jena. Und es wäre schade, wenn diese Miniaturen nur bei mir zu Hause blieben. Deshalb habe ich einige diesem Bericht zugefügt.

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