Reisebericht: Wanderreise Tessin – Erlebnisse in der Süd–Schweiz

10.09. – 15.09.2020, 6 Tage Rundreise mit 4 Wanderungen im Tessin: Lugano – Monte Brè – San Salvatore – Morcote – Monte Boglia – Valle Verzasca – Locarno – Centovalli–Bahn – Monte Comino (34 Wanderkilometer)


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Zu Fuß unterwegs in der Sonnenstube der Schweiz, im wunderschönen Tessin, der italienischen Schweiz, bestaunen wir famose Aus- und Rundblicke, wandern zu entlegenen Bergbauernhöfen, erleben verschiedene Bergtäler und entdecken Tessiner Besonderheiten.
Ein Reisebericht von
Jana Wessendorf
Jana Wessendorf

Tag 1 – Anreise nach Lugano


Am Abend erreichen wir Lugano, die grösste Stadt im Tessin, die traumhaft schön eingebettet zwischen den Bergen am Luganer See liegt. Beim gemeinsamen Abendessen treffen wir unsere Wanderreiseleiterin Jana, die uns im Hotel begrüsst. 

Tag 2 – Vom Zuckerhut der Schweiz zum schönsten Dorf der Schweiz


Nach dem Frühstück fahren wir entlang des Sees zur Talstation der Standseilbahn des Monte San Salvatore. In wenigen Minuten bringt uns diese willkommende Steighilfe über die Dächer von Lugano. Der San Salvatore, dessen Namen an den heiligen Salvatore angelehnt ist, ist einer der beiden Hausberge Luganos - und ein Berg mit vielen Gesichtern.
Bereits im 12. Jahrhundert wurde auf dem weithin sichtbaren Gipfel, dessen schöne Form an den Zuckerhut in Rio de Janeiro erinnert, eine kleine Kapelle errichtet. Die "Erzbruderschaft des Guten Todes und des Gebets" nutzte diese Kapelle früher für ihre humanitäre Mission. Noch heute ist der San Salvatore ein wichtiges Symbol der Glaubensgemeinschaft Luganos. Weniger bekannt ist, dass auf diesem Berg von 1943 bis 1982 eine Blitzforschungsstation betrieben wurde. Über beides, den religiösen wie auch den wissenschaftlichen Teil des Berges berichtet das Museum, das ebenfalls auf dem Gipfel zu finden ist. 
Und dann, dann bewundern wir das famose 360 Grad Panorama, das sich vom Dach der Kapelle vor uns ausbreitet - über den Luganer See, die Stadt und den Alpenreigen. Der Landschaftsphilosoph C.C. Lorenz Hirschfeld sagte einst über genau diesen Ausblick: ""Man muss selbst hier oben gestanden haben, um sich ein Bild von seiner ganzen Grösse und Pracht zu machen, und dann wird man diesen Augenblick zu den schönsten und unvergesslichsten des Lebens zählen."
Derartig beschwingt starten wir unsere Wanderung, die uns vom Gipfelaufbau hinunter ins Dorf Ciona, weiter nach Carona und zum Parco San Grato, einem botanischen Garten bringt. Hier nehmen wir uns Zeit für eine Mittagspause. Der Parco San Grato, Ende der 1950er Jahre von Luigi Guissani, einem Tessiner Industriellen, gegründet, beherbergt die reichhaltigste Sammlung von Azaleen, Rhododendren und Nadelhölzern im Tessin. Auf den vielen Bänken im Park bieten sich Blicke zurück zum San Salvatore, der schon ein ganzes Stück entfernt scheint, und hinunter zum langgezogenen Luganer See. 
Wir wandern weiter durch Mischwald und erreichen etwas später die idyllisch gelegene Alpe Vicania, die inmitten der Natur mit einer vielgepriesenen Gourmetküche überrascht. Wir laben uns an Kaffee und Kuchen und sammeln so nochmals Energie für das letzte Wegstück nach Morcote. 
Den See immer im Blick steigen wir die 1001 nicht enden wollenden Stufen hinab nach Morcote, das 2016 zum schönsten Dorf der Schweiz gewählt wurde. Schon der spektakuläre Einmarsch vorbei an der Wallfahrtskirche Santa Maria del Sasso entschädigt für die Mühen und bietet einen unbezahlbaren Panoramablick.
Ein leckeres Eis weckt die müden Wanderer wieder auf, und dann schiffen wir auch schon ein, um auf dem Wasserweg zurück nach Lugano zu schippern. Dabei schweift der Blick nach oben auf den bewaldeten Bergrücken, auf dem wir den ganzen Tag unterwegs gewesen sind. Zufrieden, aber auch ein bißchen geschafft, lassen wir die Wanderung Revue passieren. 
Im Hotel angekommen gehen die Unermüdlichen gleich noch im warmen Luganer See schwimmen, andere ruhen sich aus und zusammen lassen wir den Tag bei leckeren Gnocchi ausklingen. 

Tag 3 – Unterwegs im Centovalli, dem Tal der hundert Täler


Unser Reisebus bringt uns nach Locarno, der beschaulich mondänen Kleinstadt am Lago Maggiore, die weltberühmt für ihr Filmfestival "Pardo" ist. Anfang August sitzen rund 7000 Filmbegeisterte auf der Piazza Grande, die vielen Tessinkennern als der schönste Platz im gesamten Kanton gilt. 
Dann wartet die Centovalli-Bahn auf uns, die uns auf einer spektakulär angelegten Bahnstrecke tief ins Centovalli hinein führt. 1923 wurde die Bahn eröffnet, die über 79 Brücken und durch 24 Tunnel das italienische Domodossola mit Locarno verbindet. Diese Verbindung geht schon auf ganz frühe Zeiten zurück, als die Menschen auf der Via del Mercato zu den Märkten in Domodossola und Locarno liefen. 
Wir steigen in Verdasio aus und wechseln das Verkehrsmittel. Eine kleine und knuffige Luftseilbahn bringt uns hinauf auf rund 1200 Meter Höhe zur weiten Hochfläche des Monte Comino. Keine fünf Minuten entfernt befindet sich die Alla Capanna, eine liebevoll geführtes Grotto. Ganz typisch an Granittischen unter Weinreben sitzend trinken wir noch einen Kaffee und probieren Büscium, eine typische Tessiner Frischkäsespezialität. 
Dann schultern wir unsere Rucksäcke und ziehen die Schnürsenkel fest. Vorbei an der kleinen Kapelle Madonna della Segna spuren wir auf einen Höhenweg ein. Dieser lässt uns klar erahnen, woher das Centovalli seinen Namen hat: Das Tal der hundert Täler, wie es übersetzt heisst, beeindruckt durch seine vielen steil abfallenden Seitentäler und Schluchten. Ob es nun genau einhundert sind, spielt dabei keine Rolle. Die Wildheit der Landschaft zieht uns in ihren Bann. Wir schauen auch hinüber in das kleine Dorf Rasa auf der anderen Talseite, das nur zu Fuß und per Seilbahn erreichbar ist, aber auch noch heute teilweise ganzjährig bewohnt ist. 
Die heutige Wanderung vereint alles Typische des Tessins: ein uriges Grotto, Steinwege, Felstreppen, Kastanienhaine, ungezählte kleine Bildstöcke und Rustico-Dörfer. In Calascio machen wir unsere Mittagspause. Vom dortigen Aussichtspunkt schauen wir hinüber ins wildromantische Valle Onsernone - und sind fast ein bißchen verleitet von einem Tal ins andere zu hüpfen. Tälerhüpfen im Tessin - klingt verlockend, vielleicht ein anderes Mal. Wir wandern weiter durch Cremaso, als wir einem überraschenden Bewohner des Tessins begegnen. Eine Ringelnatter hat sich in einem Brunnen verirrt. Mit vereinten Kräften helfen wir dem Tier heraus und folgen den vielen Steinen weiter nach Pila bis hinunter nach Intragna. Unsere Schuhsohlen brennen ob der vielen Steine, über die wir heute gelaufen sind. 
Mit vielen Eindrücken fahren wir mit der Centovallibahn zurück nach Locarno, wo unser Reisebus auf uns wartet und wir zurück nach Lugano fahren. Ein wieder sehr leckeres Abendessen beschließt diesen zweiten Wandertag. Wer noch Lust hat, spaziert zum See und taucht in das Nachtleben in Luganos Altstadt ein. Nach soviel frischer Luft, toller Natur und aktiver Erholung fallen wir später alle müde ins Bett. 

Tag 4 – Auf den Spuren des Wildheuens im Valle Verzasca


Nach dem Frühstück fahren wir über den Ceneri-Pass, der das Sottoceneri um Lugano vom Sopraceneri, dem Norden des Tessins, trennt. Der Blick über die Magadino-Ebene vom Lago Maggiore bis hin zu den Gotthard-Alpen ist jedes Mal wieder wunderschön. Danach schraubt sich unser Bus in den steilen Kehren ins Verzasca-Tal hinauf. Wir passieren die Staumauer des Vogorno-Stausees, an dem heute Bungee-Jumper einen Adrenalin-Kick suchen und einst James Bonds "Goldeneye" gedreht wurde. Kurze Zeit später steigen wir im Dorf Vogorno, direkt am Stausee gelegen, aus. 
Während wir unsere Rucksäcke rüsten, entdecken wir am fernen Ufer das kleine Dorf Corippo, welches sich an den steilen Berghang schmiegt. Corippo ist die kleinste politische Gemeinde der Schweiz, mit gerade einmal noch sechs ständigen Einwohnern. Das pittoreske Dorf mit seinen engen Gassen und typischen Steinhäusern steht unter Denkmalschutz.
Wir folgen der kleinen Dorfstrasse durch Vogorno hindurch und spuren dann auf einen schönen Wanderweg ein. Unser Ziel heute ist der Bergbauernhof Odro. Odro ist eine Ansammlung von Rustici, typischen Tessiner Steinhäusern, an der gewaltigen Flanke des mächtigen Pizzo Vogorno gelegen. Mitte der 1980er Jahre hat ein Ehepaar Odro erworben und hat den gesammten Weiler restauriert und zu einem traditionellen Bergbauernhof umgebaut. Eine Herde Nera Verzasca Ziegen weidet von Mai bis Oktober auf den Bergwiesen um Odro und am Pizzo Vogorno. Diese traditionelle Form der Alpbewirtschaftung geht immer weiter zurück. Im Tessin gibt es keine 100 Bergbauernhöfe mehr. Diese Kleinode können oft nur zu Fuß entdeckt werden. 
Uns erwartet ein Aufstieg von rund zwei Stunden. Die erste Wanderstunde führt uns durch einen mächtigen alten Kastanienhain aus den Zeiten, als Kastanien noch das Hauptnahrungsmittel im Tessin waren. Auf dem Plateau Stavéll machen wir kurz Rast. Dort findet sich noch eine Reminiszenz an vergangene Zeiten des Wildheuens. Der schmale Talboden im Verzasca-Tal war nicht breit genug für die Dörfer und die Tierweiden, so dass die Bauern hoch oben in die Berge ausgewichen sind. Um die saftigen Wiesen zu erreichen, mussten Bergpfade angelegt werden, die sich oftmals recht spektakulär über Steintreppen und -stufen an den Felsen hinauf schlängeln. Das Heu musste für den Winter von den Bergweiden ins Tal gebracht werden. Dafür legten die Bauern Heuseile von Odro ins Tal. In Stavéll findet sich noch ein solcher Ankerpunkt. 
Die zweite Hälfte des Anstiegs führt unser Weg in langen Serpentinen durch ein lichtes Birkenwäldchen, bevor wir Odro am Ende eines Grashangs entdecken. Das letzte Stück Weg mit dem Ziel vor Augen fordert uns noch einmal, und dann schon sitzen wir beim jetzigen Bauern Tobias auf der Aussichtsterrasse. Als Belohnung für den Aufstieg gibt es nicht nur einen fantastischen Blick über den Vogorno-Stausee und den Lago Maggiore, bis weit nach Italien hinein, sondern auch eine leckere selbstgemachte Käseplatte mit Ziegen-Frischkäse, Ziegen-Halbhartkäse und Kuh-Hartkäse, gereicht mit einem leckeren Kürbischutney. Gefrässige Stille setzt ein, als wir uns an den frischen und selbstgemachten Köstlichkeiten laben. 
Wir steigen noch kurz ein Stück weiter den Berg hinauf, um das original-belassene Wohnhaus des letzten Wildheuers, Luigi Berri, zu besuchen. Das dunkle, enge und rußgeschwärzte kleine Haus macht uns schlagartig klar, wie fordernd und wohl auch einsam das Leben hier oben war. Luigi Berri hat seinen Beruf 1965 aus Altersgründen aufgegeben, und das Interieur seines Hauses für die Nachwelt bewusst so belassen. Das Odro-Team pflegt das kleine Museum für vorbeikommende Wanderer. 
Der Abstieg geht uns leichter von den Füßen als ursprünglich gedacht und schon stehen wir wieder in Vogorno. Da noch Zeit ist, besuchen wir noch die berühmte romanische Doppelbogenbrücke in Lavertezzo, das Wahrzeichen des Valle Verzasca. Es ist ein sehr warmer Spätsommertag, und die Einheimischen baden im Fluß unter der Brücke. Ganz Mutige springen auch von der rund zehn Meter hohen Brücke in die kalte Verzasca. Flußbaden, eines der offenen Geheimnisse des Tessins, beliebt auch bei Wanderern. 
Dann steigen wir in den Bus, der uns zurück nach Lugano bringt. Auch der Luganer See ruft zum Schwimmen. Wir lassen den Abend wieder beim gemeinsamen Dinner ausklingen, und erinnern uns an die Erlebnisse des Tages. 

Tag 5 – Gipfelsturm auf den Monte Boglia


Nach schon drei schönen Wandertagen sind wir richtig eingelaufen und bestens vorbereitet für unsere letzte Wanderung. Mit dem Bus fahren wir hinauf nach Brè, ein kleines Dorf am gleichnamigen Monte Brè. Über Brè throhnt eindrücklich der Monte Boglia, ein einfacher Wandergipfel mit einer fantastischen Aussicht. Durch herrlich schönen und intakten Buchenwald ziehen wir unsere Spuren hinauf zum offenen Gipfelplateau. Das letzte Stück geht kurz und knackig hinauf. Und dann haben unsere Kameras Hochkonjunktur: Gipfelfoto mit Gipfelkreuz, 1516m hoch, weit unten der Luganer See, in der Ferne die Walliser 4000er Alpen und im Hintergrund, im Dunst, die Berge Italiens am Comer See. Welch' eine Belohnung für den geschafften Aufstieg. Stolz sind wir alle ein bißchen schon!
Auf der anderen Seite des Monte Boglia steigen wir ab, vorbei an wunderbar rot blühenden Vogelbeerbäumen, und erreichen kurze Zeit später die Alpe Bolla. Diese kommt uns gerade recht und wir stärken uns mit leckerer Minestrone und hausgemachten Salametti. Zur Feier des Tages stoßen wir mit einem kleinen Glas Nocino, dem typischen Tessiner Nusslikör, auf den Gipfelsturm und unsere Wandertage an. Ein schönes Finale unserer Urlaubstage!
Das letzte Stück der Wanderung ist ein Höhenweg durch unseren schönen Buchenwald, bevor uns das Dorf Brè wieder aufnimmt. Ein letzter Blick hinunter nach Lugano und hinüber zum San Salvatore, wo vier Tage früher unsere schönen Tessiner Wandertage begonnen haben. Der Kreis schließt sich. 

Tag 6 – Heimreise: Arrividerci, Ticino!


Nach einem letzten gemeinsamen Frühstück steigen wir in den Bus und müssen das schöne Tessin zurücklassen. In den vier Tagen haben wir die unterschiedlichen Landschaftsformen des Kantons kennen- und die herrliche Seen-Berg-Landschaft lieben gelernt. Wir sind durch Täler gewandert, auf Gipfel gesteigen, immer begleitet von herrlichen Panoramen, leckeren Köstlichkeiten, und vielen, sehr vielen Steinstufen. Das Tessin, es ist auch ein Land der Steine. Nach soviel aktiver Erholung kommt der Ruhetag gerade recht, auch wenn es Abschied nehmen heißt. Gerne wären wir noch einen Tag länger geblieben. Es waren schöne und erlebnisreiche Tage! Grazie mille und arrividerci, Ticino!

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Kommentare zum Reisebericht

Ach vom Monte Boglia aus erfolgt der "Einmarsch in Morcote" , also entweder war der Heli von Vicania wieder da oder man kann noch nichtmal die Bilder richtig sortieren...:)

Peter Schnelle
15.05.2023