Kunst & Kultur

Rosslyn Chapel: Mysterium in Stein

Von Dr. Michael Krause, 20.11.2017
Rosslyn-Kapelle Panorama, Roslin, Edinburgh, Schottland, Großbritannien – © Antony McAulay - stock.adobe.com
Spätestens seit Dan Browns weltweit überaus erfolgreichem Thriller "Sakrileg" und der Verfilmung mit Tom Hanks in der Hauptrolle ist die nahe Edinburgh gelegene Kapelle von Rosslyn weithin bekannt und hat sich zu einem der meistbesuchten Touristenziele in Schottland entwickelt. Aber abgesehen von seiner Attraktivität als Schauplatz in Literatur und Film ist der phantastisch gearbeitete Sakralbau a

Als Sir William St. Clair, dritter Prinz von Orkney und elfter Baron von Roslin, im 15. Jahrhundert den Auftrag zum Bau seiner prächtigen gotischen Kapelle, Collegiate Chapel of St. Mathew und bestimmt zur Grablege seiner Familie, gab, konnte er nicht ahnen, welch geheimnisvoller Ruf das Bauwerk Jahrhunderte später umwehen würde. Der Bauherr war Angehöriger des Sinclair-Clans, der Einfluss auf die schottische Geschichte nahm und der vermutlich zum Kern des Anfang des 14. Jahrhunderts wegen angeblicher Ketzerei aufgelösten und verfolgten Ordens der Tempelritter gehört hatte. Wohl deshalb und weil die Templer in Schottland – anders als in Frankreich und Deutschland – nach ihrem Verbot nicht verfolgt wurden und eine neue Bleibe fanden, vermuten manche von denen, die die Templergeschichte mystifizieren, diese Kapelle als Aufbewahrungsort des Templerschatzes oder gar des „Heiligen Grals“. Aber das gehört eher in den Bereich der Legende und der Verschwörungstheorien.

Fakt ist, dass der Baubeginn des heute als „Rosslyn Chapel“ bekannte Bauwerkes in der Mitte des 15. Jahrhundert lag und die reichverzierte gotische Kapelle nach etwa 40 Jahren Bauzeit vollendet wurde. In der Krypta wurden Ritter des Sinclair Clans beerdigt, der erste von ihnen war der Kirchenstifter William.

Sowohl das Tonnengewölbe und auch die Fensterrahmungen sowie das gesamte Innere sind überreich mit Reliefs und Figuren sowie Blumen und geometrischen Mustern verziert. Nicht nur wegen der Templer-Vergangenheit, sondern auch wegen vieler mit dem Bau verbundener Details ranken sich von alters her Sagen, Legenden und mystische Geschichten um die Kapelle. Während in neueren Veröffentlichungen Spekulationen um die Freimaurer-Verbindungen des Kirchenbaues und die hier, vor allem in der Kryptsa, versteckten Schätze – vom heiligen Gral, dem Templerschatz, dem Ordensarchiv der Templer bis hin sogar zur hier in Sicherheit gebrachten Bundeslade der Juden – nicht abreißen, gibt es schon lange Geschichten über Vorfälle und Besonderheiten beim Bau und bei der Gestaltung der gotischen Kirche.

So soll der kreuzförmige Grundriss der als Stiftskirche des heiligen Evangelisten Matthäus dem des Herodes-Tempels in Jerusalem entsprechen und die beiden berühmtesten, unglaublich kunstvoll verzierten Säulen – die Lehrlings- und die Meistersäule – werden mit den beiden „Jachin und Boas“ genannten Säulen am Tor des Eingangs in den Tempel von Jerusalem in Verbindung gebracht.

Eine andere berühmte Geschichte, die die Herkunft der Namen für Lehrlings- und Meistersäule erklärt, berichtet davon, dass der Steinmetzmeister der Kapelle für seine letzte, die Meistersäule, nach Rom reiste, um für diese Arbeit Inspiration zu finden. Während seiner Abwesenheit träumte sein Lehrling von der vollendeten Gestalt der Säule und erhielt vom Bauherrn die Erlaubnis, seine Säule zu gestalten. Nach seiner Rückkehr aus Rom war der Steinmetzmeister so eifersüchtig auf die Pracht der vom Lehrling gestalteten Säule, dass er ihn erschlug. Für diese Tat wurde er zum Tode verurteilt und nach seiner Hinrichtung wurde die Kapelle erneut geweiht. Heute sind die beiden Säulen die Prunkstücke der Rosslyn-Chapel und diese gehört mit ihrem architektonischen Schmuck und durch die Kunstfertigkeit der im Innenraum ausgeführten Arbeiten zu den prächtigsten Kirchen in Großbritannien und in ganz Europa.

Über 200 kleine geheimnisvolle Steinreliefs in der Kassettendecke bzw. der Gewölbe- und Wandgestaltung mit geometrisch scheinenden und aus Schlangenlinien bestehenden Mustern regen seit Jahrhunderten die Phantasier der Besucher an. Noch hat man bisher keine schlüssige Bedeutung nachweisen können, aber in letzter Zeit setzt sich die Überzeugung durch, hier handele es sich um sichtbar gemachte Musiktöne, sogenannte Klangfiguren, die erstmals der sächsische Physiker und Astronom Chladni Ende des 18. Jahrhundert entdeckt hatte. Für diese Deutung des Geheimnisvollen spricht auch die Tatsache, dass am Abschluss der Kassettenwandung auf einer Säule Musiker dargestellt werden.

Auf jeden Fall nimmt jeder Besucher von der Rosslyn Chapel unvergessliche Eindrücke einer meisterhaft gestalteten, mitunter fast überladen wirkenden Kirche mit, der die Vielfalt der Sagen, Legenden und Spekulationen etwas zusätzlich Mystisches verleiht…

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