Brügge – kulturhistorisches Kleinod in Westflandern
Von Dr. Michael Krause, 05.03.2025
Kaum ein Ort in Europa ist so durchdrungen vom „Atem der Geschichte“ und gewährt bei einem Bummel durch seine Altstadtgassen eine so echte „Zeitreise“ wie das flämische Brügge, das gleich dreimal auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes steht und von Historikern als einer der besterhaltenen mittelalterlichen Orte des Kontinents gewürdigt wird.
Aufstieg und Abstieg als Handelsstadt
An Beinamen wie „Venedig des Nordens“ oder „schlafende Stadt der Minne“ fehlt es Brügge, der einzigartigen Stadt im Nordwesten Belgiens, nicht. Als eine der „Kunststädte“ in Flandern zählt sie zu den meistbesuchten Touristenzielen in Westeuropa. Vor allem die Zeugnisse ihrer bewegten und reichen mittelalterlichen Vergangenheit sorgen regelmäßig für Besucherrekorde.
Im Hochmittelalter, zur Zeit des Aufstieges der Hanse, die in der flämischen Handelsmetropole ein Kontor betrieb, gehörte die Stadt zu den wirtschaftlich und kulturell reichsten Orten Europas. Als Zentrum von Textilherstellung und -veredlung trug Brügge stolz seinen unglaublichen Reichtum zur Schau, finanzierte Fürsten und Handelshäuser und war auch eine bedeutende politische und militärische Macht im reichen Flandern – spätestens nach dem Sieg 1302 über ein französisches Ritterheer bei Kortrijk, an dem die Stadt maßgeblich beteiligt war. Doch fast über Nacht verlor der Handelsplatz seine Bedeutung, als die Verbindung zum Meer, die Brügge zur Seehandelsstadt machte, verlandete.

Während Antwerpen rasch die Bedeutung des bis dahin dominierenden Nachbarn übernahm, verschwand Brügge in der Versenkung und dämmerte in einem „Dornröschenschlaf“ auch noch während der rasanten Industrialisierung des 1831 gegründeten Staates Belgien dahin. Erst gegen Ende des 19. Jh., mit aufkommendem Tourismus und romantischer Rückbesinnung – an der die Literatur durch das seit 1892 als Fortsetzungsroman mit historischen Fotos erschienene Werk „Das tote Brügge“ (1903 auf Deutsch) des Romanciers und Symbolisten Georges Rodenbach einen hohen Anteil hatte – wurde Brügge wiederentdeckt. Die herrlichen Gebäude der Stadt – gewaltige Kirchen, gotische Prachtbauten, imposante Stadttore und elegante Gilde- und Patrizierhäuser – wurden zuerst zum Geheimtipp und schließlich zum Ziel zahlreicher Geschichts-Schwärmer.
Und schwärmen kann man von dieser Stadt tatsächlich – entlang den zahlreichen Grachten, die hier „Reien“ genannt werden, ziehen sich Kleinodien der Baukunst aus Romanik, Gotik und Frührenaissance.

Historische Architektur
Das gotische Rathaus sieht aus wie ein geschnitztes Schatzkästchen, der vom großen Markt aus die Umgebung beherrschende Belfried – in Flandern Zeichen städtischer Freiheit – gleicht mit seinem 83 m hohen Turm, der in die wehrhaft wirkenden einstigen Tuchhallen integriert ist, eher einer Trutzburg. Die Kirchen – allen voran die Liebfrauenkirche in vollendeter Backsteingotik, enthalten bedeutende Kunstwerke, zu denen wertvolle Gemälde, erhabene Grabmale und - besonders sehenswert – die „Brügger Madonna“ gehören, ein herrliches Frühwerk von Michelangelo in weißem Marmor.
Neben den genannten Bauten wie Rathaus, Belfried aus derselben Epoche, dem Haus des spanischen Vizekönigs oder den wuchtigen burgartigen Stadttoren, häufen sich in Brügge aber auch seltene und dadurch besonders sehenswerte Stätten – wie ein Hospital mit eigenem Hafen, ein steinerner alter Fischmarkt oder der „Minnewater“ genannte Umlade-Hafen zwischen einstigen See- und Binnengewässern mit seinem historischen, heute fast unbeachteten Gebäude einer alten „Zollschleuse“.

Daneben liegt ein großzügig angelegter Beginenhof, eine von nur noch 26 erhaltenen Anlagen, der für sich allein bereits zum UNESCO-Welterbe gehört – unabhängig von der Altstadt und dem ebenfalls einzeln zählenden Belfried. Vom Beginenhof aus erstrecken sich malerische Wasserläufe durch die alte Stadt, gesäumt von Kirchen und malerischen Häusern.
Fast könnte bei der traumhaften Kulisse alter Bürgerhäuser, Adelspaläste und historischer Gebäude das historische Sint Jans-Hospital unscheinbar wirken, wären in ihm nicht heute das Memlingmuseum – das den bedeutenden Maler des 15. Jh. würdigt – und eine alte Apotheke untergebracht. Außerdem gibt es da noch den malerischen Blick von der Brücke über’s Wasser auf das alte Hospiz. Der verrät erst beim genaueren Hinsehen eine Besonderheit: Brügges ehemaliges Hospital hat einen eigenen kleinen Hafen bzw. einen speziellen Anleger, der früher die Versorgung des Gebäudekomplexes von der Reie aus sicherte. Ähnliches gibt es sonst nur in den von Kanälen durchzogenen ehemaligen Seerepubliken am Mittelmeer, wie Venedig, Genua oder Ragusa.

Sint Jans-Hospital
Die ältesten Strukturen des Sint Jans-Hospitals stammen noch aus dem späten 12. Jh. und das heutige Gebäude zeigt Stilelemente von der Romanik bis zur Renaissance. Bemerkenswerterweise gehört es nicht nur zu den ältesten Krankenhäusern Europas, sondern wurde sogar noch bis 1978 zur Krankenpflege genutzt. Mit seiner ungebrochenen Tradition kann es heute noch mit Details aufwarten wie einer original eingerichteten Apotheke des 17./18. Jh. oder eben den außen noch erkennbaren Hafenresten. Gegenüber der Stelle, an der heute Boote für eine Rundfahrt anlegen, organisierte man früher – vor allem zu Zeiten ansteckender Krankheiten – über den alten Anleger die Ver- und Entsorgung des Hospitals. Während die Tore des Hospitals zur Stadt hin verschlossen blieben, um möglichst wenige Kontakte mit der – beispielsweise durch die Pest gefährdeten – Außenwelt zuzulassen, fuhr ein Versorgungsboot an den Anleger, das die nötigsten Sachen „abwarf“ und mitunter kam nachts die „Schwarze Barke“, von der aus spezielle Helfer mit „Sicherheitskleidung“ alles mitnahmen, was das Krankenhaus verlassen musste und nicht mit dem täglichen Leben in Berührung kommen durfte.
Nur selten findet man in Europa noch so viele authentische Zeugnisse des Alltagslebens aus dem Mittelalter und das in solcher Vielfalt wie hier in Brügge. Aber die einzigartige Atmosphäre, das Flair des Mittelalters und die reichhaltigen Eindrücke von Geschichte und alter Zeit erlebt nur der, der selbst hierher kommt!