Reisebericht: Rundreise Armenien

11.09. – 18.09.2019, 8 Tage Rundreise Jerewan – Berg Ararat – Norawank – Seidenstraße – Sevansee – Dilijan – Goshavank – Lermontowo – Haghpat – Gjumri – Saghmosavank


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Armenien - eine historische und architektonische Spurensuche im ältesten christlichen Land der Erde, noch immer im Schatten von Genozid und Bergkarabach-Konflikt
Ein Reisebericht von
Dr. Jürgen Schmeißer

1. Tag (11.09.2019) Flug über Moskau nach Yerevan

Nach drei zehntägigen Rundreisen durch Armenien, die Eberhardt-Travel zwischen 2011 und 2013 durchführte, einer mit Georgien kombinierten Reise im Jahre 2014 harre Eberhardt Travel 2018 Armenien wieder mit einer Reise über acht Tage als Reiseland aktiviert. 2018 hatte es gerade politische Veränderungen gegeben („Vor zwei Wochen hatte die Revolution gesiegt") - nun wollten wir sehen, was daraus geworden ist.
Die Reisegruppe von insgesamt sechzehn Gästen, via Berlin und München kommend bzw. bereits in Moskau weilend, traf sich in Moskau Scheremetjewo, wo ein komplikationsloser Transit möglich ist. Nach dann nochmals knapp drei Stunden Flug landeten wir mit einem A 321 der Aeroflot in Yerevan. Bei guter Sicht hatten wir den Kaukasus in der Nähe des Elbrus überflogen; später strahlte der Ararat unter dem Fast-Vollmond. Etwas zögerliches Kofferband, aber dann ging es mit gutem Busstandard zum Hotel. Zu später Stunde von 22 Uhr noch ein kleines Abendessen im Hotel National und dann waren wohl doch alle zu müde als den ersten armenischen Wein oder einen Brandy zu genießen ...

2. Tag 12.09.2019) Jerevan, Etschmiadsin, Zvartnots

Nach dem Frühstück starteten wir unsere kleine Stadtrundfahrt zunächst als Spaziergang vom Platz der Republik zur Oper und weiter zur Kaskade. Die bauliche Substanz und Ornamentik nimmt Bezug zu den armenischen Traditionen und den im Land vorhandenen Gesteinen, insbesondere den rötlichen Nuancen von Tuffstein, den einst die Vulkane hier als Deckschicht verbreiteten. So entstanden farbliche Fassaden in den Tönen der Gesteine ohne Verputzung von Ockertönen, über rotbraunes Gestein bis zu fast schwarzen Farben. Die Kaskade ist ein in Armenien viel gerühmter öffentlicher Platz am Hang, den ein reicher Auslandsarmenier „seinem Volk widmete" und sich ein Denkmal so setzte. Ein Denkmal aus Sowjetzeiten ist die „Mutter Armeniens", einst zur Erinnerung an die Opfer des Großen Vaterländischen Krieges errichtet, nunmehr auch Erinnerungsort für den Krieg in Bergkarabach 1988 - 1994 - ein Platz für eine eher nationalistische Heldenverehrung. Seit 1964 existiert auf einem kleinen Hügel im Westen von Jerevan die Gedenkstätte für die Opfer des Völkermords an der armenischen Bevölkerung. 2015 wurde das erweiterte Museum eröffnet, das nunmehr einen zusammenhängenderen Einblick in die Geschichte der Verbrechen zwischen 1876 und 1922 bietet. Etwas befremdlich wirken nunmehr Grabstätten für Armenier, die „als unsere Helden" in Bergkarabach gefallen sind.
Nach dem schmackhaften Mittagessen in einer Kunstschule in Etschmiadsin besichtigten wir das dortige Zentrum der armenischen, apostolischen Kirche und Sitz des Katholikos. Die Grundmauern der Kathedrale von Etchmiadzin gehen auf das Jahr 303 zurück. Mittlerweile wurden - aus Spendengeldern der Auslandsdiaspora - eine neue Taufkirche, ein Eingangstor mit open-air-Altar und ein riesiges Bibliotheksgebäude erbaut. Da die Hauptkathedrale noch bis 2020 restauriert wird, besichtigten wir das Museum der Kirchenschätze am Sitz des Katholikos.
Auf der Rückfahrt nach Yerevan stoppten wir an der Kirche der Heiligen Hripsime und besichtigten die Ruinen des Tempels Zvartnots, der zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Hinter den Säulen des Tempels erhob sich aus den Wolken der Gipfel des Großen Ararat. Zum Abendessen fanden wir uns in einer ehemaligen Druckerei ein, deren räumliche Großzügigkeit keine Platzangst trotz mehrerer Gäste aufkommen lässt. Das Abendessen wieder bestens; verschiedene Vorspeisen und als Hauptgericht gefüllte Auberginen und Paprika. Mancher probierte auch ein Glas Rotwein aus Areni.

3. Tag (13.09.2019) Chor Virap, Noravank, Selim – Pass, Sevansee

Ein langer Tag mit abwechslungsreichen Höhepunkten stand auf dem Programm und es sollte ein Tag mit guter Sicht auf den Ararat werden. Zunächst fuhren wir im größeren Abstand an den verlassenen einstigen Industriegebieten Jerevans vorbei, die noch immer als Ruinen von den Wiedersprüchen der armenischen Entwicklung zeugen. Unser Ziel war Chor Virap, jener Ort, fast direkt an der heutigen Grenze zur Türkei, wo der Heilige Gregor um das Jahr 300 dreizehn Jahre eingesperrt worden sei. Heute steht an jenem Ort ein Kloster. Der mächtige Berg Ararat dahinter war recht fotogen zu sehen. Weiter ging unsere Fahrt zum Kloster Noravank inmitten rötlich schimmernder Felsen am oberen Ende eines Canyons. Der erste Teil der Fahrstrecke führte uns in Nähe der Grenze zum aserbaidshanischen Nachitschewan vorbei. Hohe Erdwälle entlang der Straße, gesicherte Militärstellungen auf der Bergkette künden von Krieg und Waffenstillstand, nicht vom Frieden. Geschichte hat immer viele Betrachtungsweisen! Noravank gehört wohl zu den schönsten Klöstern in Armenien, insbesondere durch seine Lage inmitten der Felsen. Mittagessen in diesem Jahr direkt neben dem Kloster: frische Vorspeisen, Lavash und gegrilltes Hühnerfleisch aus dem Tonir, dem Steinofen. In zügiger Fahrt erreichten wir am Nachmittag den Selim Pass und die größte erhaltene armenische Karawanserei aus der Seldschukenzeit. Ein Wodka mit Aprikosenaroma krönt diesen Moment. In schneller Talfahrt ging es dann hinab zum Sevan-See, dessen Wasserspiegel wieder steigt. Nach Regierungsvorhaben soll der Wasseranstieg in zehn Jahren zwei Meter betragen - dann hat man aber die Sommerresidenz des Präsidenten zu nahe am See gebaut.... (Widersprüche, siehe oben). Aus sichererer Entfernung zur Präsidentenresidenz schipperten wir mit unserer Bootsfahrt auf einem kleinen Teil des Sees in fast zweitausend Meter Höhe vorbei. Zum Tagesausklang erreichten wir Dilijan im bewaldeten Teil der armenischen Schweiz und unser recht großes und etwas halliges Resort Hotel.

4. Tag (14.09.2019) Dilijan, Klöster Haghartsin und Goschavank, Molokanendorf

Ein kleines Programm ermöglichte uns einen späten Tagesbeginn. Das wiederaufgebaute alte Stadtzentrum erweist sich als eine Häuserzeile in traditioneller Architektur, in der verschiedene Handwerker agieren. In diesem Jahr besichtigten wir eine Töpferei und blickten in eine Holzschnitzerei. Noch im Vorjahr besuchte textile Handwerksbetriebe und Silberschmieden fanden wir nicht mehr vor. Alle fanden wenigstens einen Fotoblick über den Ort hinweg zu dreitausend Meter hohen Bergen und einige erstanden ein handwerkliches Souvenir. Zügig fuhren wir anschließend zum Kloster Haghartsin in den bewaldeten Bergen im Umland von Dilijan. Mehrere Kirchen aus der Bauzeit zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert machen das stets unbewehrte Kloster - und deshalb von Seldschucken und Persern mehrfach zerstörte - Kloster aus. Besonders beeindruckend die Größe und Konstruktion des Refraktoriums, aber da war mancher schon etwas müde.
Während das Kloster Haghartsin eher einer Einsiedelei - trotzdem mit Gästen - gleicht, stehen auf dem kleinen Parkplatz im Ortszentrum von Gosh beim Kloster (Vank) mehrere Busse. Dennoch hatten wir Raum für Betrachtung und Erklärung der Kirchen, einer ehemaligen Bibliothek und der Fragmente eines Kranken- und Totengebäuden mit Sezierraum (?). Immer wieder beeindruckend hier die erhaltenen Kreuzsteine (z.T. wohl aus dem 12. Jahrhundert), die nicht zur Totenbeweinung sondern als Sinnbild des Aufstiegs von Jesus Christus errichtet wurden.
Für den Nachmittag hatten wir uns bei den Molokanen in Filatovo angesagt. Die Molokanen sind nicht-orthodoxe christliche Russen, deren Vorfahren im 19. Jahrhindert in den kaukasischen Gebieten angesiedelt wurden. In der Fastenzeit trinken Sie nur Milch, prinzipiell keinen Alkohol, leben in der eigenen Gemeinschaft und betreiben Landwirtschaft (klassisch russisch: Kohl und Kartoffeln). Wir ließen uns die Funktionsweise eines Samowars mit Kohlebefeuerung erklären und naschten Blynis und Piroschkis. Der touristenorienterte Grenzgang zwischen Authentizität und Business führte zu einem kleinen Wohlstand der Gastgeber. Abendessen dann im Restaurant Tava in Dilijan.

5. Tag (15.09.2019) Gjumri und Kloster Marmaschen

Eigentlich wollten wir an diesem Tag das Kloster Hagpath, UNESCO-Welterbe, besichtigen. Aber die Informationen über Felsabbrüche, Straßenbau, Unfälle etc. ließen uns bereits im Vorfeld eine Alternative planen, die wir vor Ort auch umsetzten.
Mit dem Bus fuhren wir aus der Region Tavush in die Region Lori, Hier befinden sich mit Fioletovo und Lermontova die letzten zwei Dörfer der Molokanen, die wir am Vortag bereits besucht hatten. Weiter fuhren wir über Vanadzor und Spitak Richtung Gjumri. Die Region Lori wurde 1988 stark von einem Erdbeben zerstört; seitdem oder wohl insbesondere seit der Unabhängigkeit stehen die riesigen einstigen Industrieanlagen, insbesondere in Vanadzor, still und verrotten. Wohnhäuser wurden nicht fertig gebaut, als der internationale Geldstrom versiegte.
Die Busfahrt nach Gjumri von kaum zwei Stunden verging doch recht schnell: im September eine vertrocknete, hügelige bis bergige Landschaft, später zur Linken auch die Hänge des Aragat, des höchsten Berges Armeniens. Noch vor Mittag bummelten wir einige Meter durch Gjumri, die zweitgrößte Stadt Armeniens, die vom Erdbeben 1988 stark in Mittleidenschaft gezogen wurde. Die Kirchen und das Rathaus sowie viele Wohnbauten stehen wieder; an mancher Ecke findet man aber noch nach dreißig Jahren deutliche Spuren des mit dem Erdbeben eingeleiteten Zerfalls. Das Stadtmuseum in einem Haus aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermittelt einen Eindruck vom Handwerksleben in der Stadt und den Wohnverhältnissen der Reichen in der russischen Zarenzeit.
Nach individuellem Mittagessen fuhren wir zum Kloster Marmaschen, einer Klosteranlage mit mehreren Kirchen, die um das Jahr Eintausend errichtet worden war. Die Lage der Klosterreste auf einem kleinen Plateau oberhalb eines angestauten Flusses erinnert an die einstige armenische Hauptstadt Ani, die sich in ähnlicher Lage auf der türkischen Seite befindet.
Abendessen dann in einem Fischrestaurant direkt an der kleinen Festung („malaja krepostj") seit 1828 und noch immer Basis der russischen Streitkräfte: als Hauptgang gegrillter Stör - eine leckere Rarität. Vor lauter Üppigkeit blieben sogar Kaviar und Stör fast übrig ...

6.Tag (16.09.2019) Saghmoshavank, Ohanavan, Jerevan

Unser Rückweg nach Jerevan sollte laut Programm das Kloster Saghmassavank beinhalten. Aus Erfahrung, sollte man aber auch das „Zwillingskloster" Ohanavank anfahren. Auf dem Weg dahin stoppten wir zunächst eigentlich zum Toi-Zweck an einer Bäckerei - das konnte man gut sehen wie Brot im - heute gasbeheizten - Tonir gebacken und Lavash in einer Art Mangel gefertigt wird. Dann schauten wir uns zunächst das Kloster Saghmashavank und - auf Sichtweite entfernt - das Kloster Ohanavank an. Beide Klöster liegen an der Abbruchkante zur Schlucht des Ashtarakflusses und sind von Legenden verlorengegangener Geheimgänge geschmückt. Mancher bezeichnete gar das Kloster Ohanavank als beeindruckendstes Kloster auf der Reise.
Wir hatten unser geplantes, kollektives Abendessen in einem Restaurant auf den Mittag vorgezogen, um am Abend mehr zusammenhängende Freizeit zu besitzen. Wie üblich bestens, erwarteten uns diesmal Schweinefleischwürfel vom Schaschlikspieß. Anschließend fuhren wir zum Markt, wo an unzähligen Ständen nicht nur Obst und Gemüse, sondern auch süße Leckereien, Gewürze, Fleisch und Käse angeboten werden.
Für alle Postkarten versendenden Reisenden ist der Besuch der Zentralpost am Platz der Republik erforderlich - das muss werktags bis 17 Uhr erfolgen - also schnell noch vor dem Einchecken im Hotel zur Post (Briefmarken kaufen - Kleben - Abgeben - Abstempeln!). Nach einem kurzen Hotelaufenthalt dann noch Busfahrt zum Markt mit regionalen Souvenirs - Trödelmarkt kann man dazu schlecht sagen - dem Markt „Vernissage" . OK, auch einige von uns steigern das BIP Armeniens.
Am „freien Abend" fanden jene, die es wollten in unmittelbarer Nähe zum Hotel ausreichend Gastronomie.

7. Tag (17.09.2019) Kloster Geghard, Garni, Matendaran

Bei etwas trüben, aber sehr warmen Wetter fuhren wir mit etwas Ararat-Sicht nach dem Kloster Geghard. Am „Ararat-Bogen", einem Denkmal mit Blick zum Ararat stoppten wir und genossen einen „Ararat" im Anblick des Berges. Das Kloster Geghard steht bunter UNESCO-Welterbeschutz; mehrere Kirchenschiffe sind wie aus einem riesigen Felskoloss herausgeschnitten. Bezaubernd darin die Akustik des Chorgesangs. Für viele wohl nun doch fast das beeindruckendste Kloster dieser Reise. Nur eine halbe Stunde entfernt befindet sich ein heidnischer - also römischer - Tempel: Garni ist eine völlig ungewohnte Architektur nach unserer Armenienrundreise. Im gleichen Ort essen wir zu Mittag in einer "Bauernwirtschaft" gegrillte Forelle und man zeigt uns, wie Lavash, dünne Brotfladen, im Tonir, einem „Bodenfass-Ofen", gebacken wird. Zu nachmittäglicher Stunde besichtigten wir die Matendaran, größte wissenschaftliche Fundgrube und Museum für altarmenische Schriften; berechtigtes Unesco-Welterbe. Abendessen im Restaurant Kav mit Blick zum leicht grauen Ararat. Mit dem letzten Wort meiner Reisezusammenfassung setzte ein kleines Feuerwerk ein - „das ist eine perfekte Inszenierung" auch als Dank an unsere örtliche Reiseleiterin Lilit.

8. Tag (18.09.2019) mit Aeroflot von Jerevan über Moskau nach Deutschland

Nach dem Frühstück verließen wir das Hotel; hatten auch noch ausreichend Zeit am Jerewaner Flughafen. Der Doppelgipfel des Ararat begrüßte uns mit blasser Farbe im Vormittagslicht als wir mit dem Flugzeug starteten. Der A 320 brachte uns über Georgien, Südrussland - mancher sah den Elbrus - auf die südwestliche Einflugschneise nach Moskau - Scheremetjewo. Hier verabschiedeten wir uns von unseren Mitreisenden aus Freiburg und Bozen. Auch Berlin erreichten wir superpünktlich. Acht Reisetage gingen zu Ende: christliches Armenien im 21. Jahrhundert immer noch ein Land im Umbruch mit gastfreundlichen Menschen, viel patriotisches Denken und dem Hoffen auf das Geld der Auslandsarmenier.
Ihr Dr. Jürgen Schmeißer
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