Reisebericht: Silvester in Görlitz

29.12. – 02.01.2015, 5 Tage in Görlitz im 3,5–Sterne–Hotel Marschall Duroc


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Bericht unserer Silvesterreise nach Görlitz zum Jahreswechsel 2014/2015
Ein Reisebericht von
Andreas Böcker
Andreas Böcker

29.12.2014 – Gefangen hinter dem Schneefahrzeug


Am Montagmorgen ging es mit nur zwei Zustiegen in Karlsruhe und Pforzheim los auf dem Weg in Richtung der deutsch-polnischen Grenzstadt Görlitz-Zgorzelice, die wir trotz Schnee und den Verkehr verlangsamenden Räumfahrzeugen auf der Autobahn relativ pünktlich erreichten.
Unser Hotel war schnell bezogen und so gingen einige der Mitreisenden in der nahegelegenen Altstadt etwas essen, andere, vielleicht nach einem kurzen Spaziergang durch den Schnee, trafen sich zu demselben Zweck im Hotelrestaurant.

30.12.2014 – Wo Protestanten zur Beichte gehen: Görlitz


Der zweite Tag unserer Reise stand ganz im Zeichen des Kennenlernens der Stadt, in der wir unsere Nächte verbrachten. Zunächst holte uns die Stadtführerin ab, erzählte vom zittauisch-görlitz'schen Bierkrieg, in dem sich Görlitz gegen Zittau durchsetzen konnte und zeigte uns die alten Bürger- und Handelshäuser an der Via Regia und am Untermarkt, erzählte von der Vermessenheit des Görlitzer Bürgergerichts in der Renaissancezeit, welches sich sinnbildlich darin äußerte, dass die Justizia an der Freitreppe des Rathauses zwar über Gerichtsschwert und Waage verfügte, aber keine Augenbinde trug.
Am Flüsterbogen flüsterten wir und in der Jugendherberge wurden wir mit Verfall und Sanierung der Görlitzer Altstadt, die beinahe den Neubauplänen der DDR-Regierung zum Opfer gefallen wäre - erste Abrisse hatte es schon gegeben -, vertraut gemacht. Anschließend besuchten wir die St. Peter- und Pauls-Kirche, gewissermaßen das Wahrzeichen der Stadt.
In dieser bis zur Reformation katholischen, dann aber schnell protestantisch gewordenen, sehr hellen Kirche befinden sich, ungewöhnlich für eine Kirche lutheranischen Bekenntnisses, Beichtstühle, eine Besonderheit der Region. Anders als bei der katholischen Beichte, bei der die Illusion der Anonymität von Beichtenden und Beichtvater durch Vergitterungen und Vorhänge zumindest angedeutet wird, kniete hier der Beichtende im Angesicht des Beichtvaters vor dessen Thron. Eine kleine katholische Häresie im Protestantismus. Im nahen Zittau würden wir zwei Tage später eine weitere katholische Häresie im Protestantismus erleben.
Im Anschluss an den Kirchbesuch ging jeder seiner Wege, um Görlitz und seine Leckereien zu genießen.

30.12.2014 – New Yorlitz, New Yorlitz


Am Abend sollten wir dann ein Stück New York erleben. New York in Görlitz? Ja, das New York des 19. Jahrhunderts in der Landskron Brauerei-Manufaktur. Hollywood hat Görlitz, welches von den Einheimischen auch liebevoll als "Görliwood" bezeichnet wird, als Drehort entdeckt, Chance und Problem zugleich: Saniert die Stadt zu gut, werden die Straßen als Kulisse uninteressant...
Die Gebäude der Landskronbrauerei wurden von Hollywoods Kulissenbauern und Computergraphikern (die waren für die Wasserflächen verantwortlich) als Kulisse für den Hafen von New York im 19. Jahrhundert gebraucht. Aber uns ehemalige Kulissen anzusehen war nicht unser eigentliches Ziel in der Landskronbrauerei. Es ging darum, eine aufstrebende Brau-Manufaktur mit knapp 150jähriger Tradition kennenzulernen. Zu diesem Zweck besichtigten wir das Mälz- und Maischehaus und die Lagerkeller sowie die Gärbottiche (73 Stufen unter der Erde).
Zu Beginn leitete die Brauerei das Wasser der Neiße in eine Art Tanks, in denen das Wasser nach einiger Zeit dann die Sauberkeit erreichte, die zu seinem Konsum geeignet war. Später nutzte man dann, bis zum großen Neißehochwasser 2010, Brunnen aus denen das Brauwasser bezogen wurde. Da aber durch das Neißehochwasser diese Quellwasserbrunnen mit Heizöl, Fäkalien und anderen unappetitlichen Dingen verseucht wurden, musste die Brauerei eine neue Quelle für ihr Wasser finden. Diese fand sie in den Stadtwerken: Hier ergab sich nun ein Problem: Aufbereitetes Wasser ist, wenn dies auch im besten Falle nicht zu schmecken ist, mit Chlor versetzt. Chlor und Hefe mögen sich aber nicht. Sprich: Aufbereitetes Wasser eignet sich nicht zum Bierbrauen! Die Landskron-Brauerei löste dieses Problem, indem sie die alten Tanks, in denen schon früher das Flusswasser gereinigt wurde, wieder reaktivierte. Das Wasser der Stadtwerke wird in diese geleitet und dann benutzt, wenn die Chlorrückstände nicht mehr nachzuweisen sind.
Im Anschluss an die Führung kam es dann zum wohl meisterwarteten Teil des Abends: Der Degustation. Zunächst bekamen alle Besucher entweder das gängige Landskron Pils oder Pupenschultzes Schwarzes aus dem Zapfhahn. Im Anschluss gab es dann auch andere Erzeugnisse der Brauerei, von der Fassbrause bis zum Weizen, auch Export und Pils extra für den norddeutschen Geschmack befand sich Angebot. Dazu wurden, Brezeln, eingelegte Gürkchen und luftgetrocknete Mettwurst gereicht.
Für eine Mitreisende war aber wohl nicht die Degustation der Höhepunkt des Abends sondern die Gelegenheit ein wenig Ahnenforschung zu treiben, wusste sie doch, dass aus ihrer Verwandtschaft um 1900 mehrere Personen in der Landskron-Brau-Manufaktur geschafft hatten. Diese fand sie auf Fototafeln, die in der ehemaligen Villa des Hausherren für den Besuchervekehr ausgestellt waren auch tatsächlich wieder.
Weil wir alle so brav waren, durften wir am Ende des Abends auch ein Glas mit nach Hause nehmen.

31.12.2014 – Romeo und Julia in der Sorbenhochburg


Bautzen, bzw. sorbisch Budyšin liegt mit seiner Ortenburg (die keine! Ordensburg ist) auf einen Granitfelsen über der Spree und so ist die Stadt im doppelten Sinne eine Hochburg. Hier haben die Sorben ihre Versammlung und im Stadtbild ist das Sorbische noch immer erhalten, wenn auch leider stark durch das Deutsche verdrängt. Viele Schilder sind zweisprachig, wo sie einsprachig sind, sind sie auf deutsch gehalten. Auch im öffentlich-rechtlichen Regionalprogramm ist das sorbische mit wenigen Stunden in der Woche vertreten.
Unsere Stadtführung führte uns vom Wendischen Graben am Reichenturm vorbei über die Reichenstraße zum Marktplatz. Hier ist die längste zusammenhängende Häuserzeile im Dresdener Barock zu bewundern, der durch die in die Fassadenmuscheln, -bänder und -ketten eingeschmuggelten Gesichter gekennzeichnet ist.
Vom Marktplatz mit dem Rathaus liefen wir, an der Alten Wasserkunst vorbei, die das Wasser der Spree seit dem 15. Jahrhundert bis auf den höchsten Punkt der Stadt beförderte und erst im frühen 20. Jahrhundert außer Betrieb genommen wurde, zur Ortenburg, wo wir am zweisprachig geführten Theater Halt machen und schließlich die Sage von Romeo und Julia in Bautzen und ihren wohl tatsächlichen historischen Hintergrund vernahmen.
Der Sage zufolge waren zwei junge Menschen aus zwei verfeindeten Bautzener Familien ineinander verliebt. Um ein Näherkommen der beiden zu verhindern, steckten ihre Familien sie in Klöster, doch das Schicksal nahm seinen Lauf, dass beide einander bei eine Gelegenheit begegneten, ohne dass ein Anstands-Wau-Wau zugegen war. Man nahm also gleich das Schlimmste an, dass die beiden, dem Zölibat verpflichteten jungen Menschen selbigen nicht eingehalten hatten.
Zur Strafe sollen sie in die Mauer der Ortenburg eingemauert worden sein, nur ihre Köpfe, die noch heute aus der Fassade herausschauen habe man rausgelassen.
Vor einigen Jahren fanden Archäologen dann bei Grabungen im Zuge der Vorbereitung einer Sanierung auf dem Gelände eines ehemaligen Klosters eine einzelne, eingemauerte Person, den Kopf auf einem Halsring liegend die Knochen darunter. Der Eingemauerte musste ursprünglich wohl gestanden haben. Historischen Quellen zufolge musste es sich um einen jungen Mönch gehandelt haben, der wohl mehrfach dabei erwischt worden war, wie er, aus der Klosterklausur ausgebüxt, in den Schlafkammern Bautzener Bürgertöchter verkehrte. Zur Strafe für sein wiederholtes Tun wurde er stehend und mit einem Halsring versehen eingemauert. Lange wird er das nicht überlebt haben. Im Lauf der Zeit entwickelte sich daraus, wohl unter Einfluss der bildlich vor aller Augen stehenden Köpfe in der Fassade der Ortenburg, die Sage von der Bautz'ner Julia und dem Bautz'ner Romeo.
Der Petri-Dom zu Bautzen ist seit 1524 Simultankirche und die erste Simultankirche Deutschlands. D.h. die Kirche wird zugleich von zwei Konfessionen, nämlich der protestantisch-lutheranischen und der römisch-katholischen genutzt. Laut unserem Stadt-Ver-Führer Heinz Henke handelt es sich wohl um die einzige Kirche, in der evangelische Glocken zur katholischen Messe rufen.
Bautzen, so erfuhren wir, ist auch seit der Reformation und der Vertreibung des Bischofs aus Meißen Sitz des Bischofs von Meißen, was in DDR-Zeiten in Anlehnung an das Gefängnis der Staatssicherheit in Bautzen zu der Flüsterparole „Der Bischof von Meißen sitzt in Bautzen" führte.

31.12.2014 – Die Silvesternacht


Die Silvesternacht wurde kurzweilig gestaltet durch viel und gutes Essen, Musik und „Illusion-Comedy"; so nannte der eigens hierfür engagierte Zauberkünstler Christian de la Motte sein Programm. Sollte einer seiner Tricks klappen, sei es Illusion, funktioniere er nicht, eben Comedy, verkündete er. Für seine Tricks holte er verschiedene Gäste auf die Bühne, u.a. auch aus unserer Eberhardt-Gruppe.
Das Buffet bot als Vorspeise Kaviar, Austern und Serrano-Schinken, eine italienische Vorspeisenplatte und Salate. Mir schmeckten das Kalksrücken-Roastbeef auf Rucola mit Papaya und Sesamdressing besonders gut.
Als Suppe gab es ein Hummmercremesüppchen mit Vanille und Einlage und ein Spanferkel dominierte das Angebot der Hauptgerichte. Außerdem gab es Rinderbraten, Seehecht, Zanderfilet. Das Dessert war mit zwei Sorten Schokoladenküchlein und schokolierten Früchten sehr kakaodominiert, aber auch der Käsefan wurde bedient (und konnte dazu Feigensenf genießen) und es gab eine sehr leckere Vanille-Kaffeecreme mit Ananasragout (und einem Blättchen Minze zur Verzierung).
Nach dem Anstoß auf das neue Jahr um 0:00 Uhr zündeten die Feuerwerker des Hotels das etwa zwanzigminütige Feuerwerk. Danach ging es mit Tanz und Musik weiter. Nur der Reisebegleiter stahl sich gegen zwanzig nach eins ins Bett...


1.1.2015 - Zittau und Zittauer Gebirge


Der folgende Tag begann mit einem Brunch. Doch wer mit uns nach Zittau und ins Zittauer Gebirge fuhr, beschränkte sich auf ein einfaches Frühstück, denn bereits um 11:00 Uhr ging es los.
Zunächst fuhren wir am Berzdorfer See vorbei, einem ehemaligen Tagebaubaggerloch, welches allmählich geflutet werden sollte, dann aber beim Neißehochwasser 2010 weitaus schneller als geplant volllief.
In Zittau führte uns eine Stadtführung an Rathaus, Markt, dem ältesten Wirtshaus der Stadt und dem Lateingymnasium vorbei. Selbst Schinkel hatte hier gewirkt und zwei Häuser errichtet, einer seiner Schüler ein weiteres. Vorbei an der Franziskanerkirche kehrten wir zu unserem Ausgangspunkt zurück, zur Zittauer Kreuzkirche, in der das Zittauer Fastentuch von 1472 ausgestellt ist. Zuletzt war es dort nach seiner Wiederentdeckung 1933 ausgestellt worden, dann in den Magazinen des Stadtmuseums verschwunden. Im Krieg nach Oybin ausgelagert, um es vor Bombenangriffen zu schützen, gelangte es in die Hände sowjetischer Soldaten, die es in vier Teile teilten, um daraus im Wald eine Schwitzhütte zu errichten. Von einem Holzsammler entdeckt wurde es gerettet und zurück nach Zittau gebracht, wo es abermals in Vergessenheit geriet, dann bereits zu DDR-Zeiten in die Restaurierungswerkstatt kam. Die Restaurierung wurde aber wegen der Verrentung und Übersiedlung der Restauratorin in die Bundesrepublik unterbrochen und erst nach der Wende durch ein Schweizer Unternehmen fortgeführt. Heute hängt es in der Kirche vom Heiligen Kreuz, wo man es 1933 zuletzt ausgestellt hatte. Die baufällige Einstützenkirche böhmischer Bauart war 1999 von Zittauer Bergsteigern in ehrenamtlicher Feierabendarbeit wiederhergerrichtet worden.
Das kleine Zittauer Fastentuch, welches die Marterinstrumente der Passion Christi zeigt ("Arma Christi"), sahen wir uns im Stadtmuseum an. Seine Besonderheit ist, dass es sich um das einzige von einer protestantischen Gemeinde in Auftrag gegebene Fastentuch handelt.
Südlich von Zittau häuften sich dann die Umgebindehäuser, jener Kompromiss aus Massiv-, Block- und Fachwerkbauweise, der für das Zittauer Gebirge typisch ist und so erreichten wir scließlich Jonsdorf, wo wir auf Kasslerbraten und Zigeunerschnitzel in das Hotel Gondelfahrt einkehrten. Anschließend ging es über Oybin mit seinem Burg- und Klosterberg und Lückendorf, die Rennstrecke des Lückendorfer Bergrennens in umgekehrter Richtung fahrend, an Zittau und am Zisterzienserinnenkloster Marienthal vorbei zurück nach Görlitz.


2.1.2015 - Auf dem Weg nach Hause Senf dazugegeben


Der Tag der Abreise war nun gekommen und so fuhren wir denn los, um zunächst noch einmal in Bautzen Halt zu machen. Dort hatte das Senfmuseum extra für uns seine Pforten eine Stunde als früher geöffnet. Nach einer kurzen Führung, in der wir über die botanische Zugehörigkeit des Senf, seine äußerliche Ähnlichkeit zum Raps und seinen Nutzen in Landwirtschaft, Küche und Medizin sowie seine Verarbeitung informiert wurden, nutzten wir die Gelegenheit, den Senf auch zu probieren. Ganz subjektiv schmeckte mir der Bärlauchsenf, aber auch der Pfeffer- oder der Knoblauchsenf ganz gut. Andere Senfsorten dagegen - etwa Schwarze Johannesbeere oder Sauerkirsche - empfand ich persönlich als nicht so gelungen. Auch der Biersenf, von dem ich gedacht hatte, dass man hier zwei zueinander passende Geschmacksrichtungen gefunden habe, konnte mich nicht überzeugen. Aber zum Glück sind Geschmäcker ja verschieden.
Im Anschluss an die Senfdegustation ging es dann eilenden Rades in die heimatlichen Gefilde, nach Baden-Württemberg.

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