Wanderreise Bretagne (7.–17.6.2025)
Reisebericht: 07.06. – 17.06.2025
Über 1500 km muss man von Dresden fahren, um in eine doch recht entlegene Gegend zu kommen: die Bretagne. Das ist immer mit einer mühevollen An- und Abreise verbunden, aber wenn man dann vor Ort ist, wird man sehr belohnt: mit einem intensiven Licht, mit maritimer Vegetation, bizarren Küsten und schönen alten Städten. Ideale Voraussetzungen auch zum Wandern. Wenn dann noch das Wetter mitspielt, - und das tat es! - ist die Vorstellung einer idealen Reise nicht mehr fern!
Ein Reisebericht von
Lutz Finkler
7.6.2025 Von Dresden nach Troyes
Morgens, schon vor sechs Uhr, wartete am Flughafen Dresden Beata auf uns, die den Bus erstmal Richtung Westen fuhr. Später übernahm Maik, der den allergrößten Teil der Reise mit uns bestreiten sollte und der mit seiner freundlichen, humorvollen Art sehr zum Gelingen des Unterfangens beitrug. Um 20.30 Uhr saßen wir endlich beim Abendessen im Hotel in Troyes, 950 km westlich von Dresden gelegen.
8.6.2025 Von Troyes nach Vannes
Unser erster Halt war die charmante Stadt Troyes am Oberlauf der Seine. Mit ihren gut erhaltenen Fachwerkhäusern, zahlreichen Kirchen und Stadtpalästen (sogenannten „Hôtels“) gilt sie als eine der schönsten Städte der Champagne. Nach dem Stadtbrand von 1524 wurden viele Gebäude prachtvoll wiederaufgebaut. Besonders sehenswert waren die Kirche Ste. Madeleine mit ihren Fenstern im Flamboyant-Stil, das barocke Rathaus, die spätgotische Basilika St. Urbain, sowie die imposante Kathedrale St. Pierre et Paul. Letztere veranschaulicht das Prinzip gotischer Baukunst: maximale Durchlichtung der Mauern durch Glas, stabilisiert durch außenliegende Strebebögen – besonders eindrucksvoll im „Strebenwald“ am Chor.
Am Nachmittag erreichten wir die Grenze der Bretagne, zu der es eine Einführung gab. Die Region ist etwa 1,5-mal so groß wie Sachsen, besteht aus vier Départements (Côtes-d’Armor, Finistère, Morbihan und Ille-et-Vilaine) und zählt zu den wirtschaftlich wichtigsten Agrar- und Tourismusregionen Frankreichs. Die Küstenlinie von über 1200?km, rund 800 teils unbewohnte Inseln, extreme Tidenunterschiede (bis 14?m) und das milde, sonnige Klima prägen das Bild.
Die Landschaft, geprägt vom Bocage – kleinen Feldern, Hecken, Steinmauern und Einzelbäumen –, war einst dichter bewaldet. Heute ist nur noch etwa 5?% der Fläche von Wald bedeckt. Die Bevölkerung sind Nachfahren keltischer Einwanderer von den britischen Inseln. Die bretonische Sprache, ein keltischer Dialekt, wird wieder gepflegt – vor 25 Jahren sprach sie noch ein Viertel der ländlichen Bevölkerung. Trotz vieler Klischees (z.?B. trinkfeste Raufbolde à la Asterix) gelten die Bretonen als gastfreundlich, katholisch und traditionsbewusst. Viele Fremde kaufen und renovieren alte Häuser, die durch Landflucht verlassen wurden.
Ein zentraler Aspekt bretonischer Identität ist die Megalithkultur mit Dolmen und Menhiren aus der Jungsteinzeit (ca. 4000–2000?v.?Chr.). Diese gewaltigen Steinsetzungen, vermutlich in Verbindung mit religiösen oder astronomischen Kulten, beeindrucken bis heute.
Der Kanal von Nantes nach Brest stärkte ab dem 19. Jahrhundert den Handel, der Tourismus entwickelte sich. Nach schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg setzte in den 1960er Jahren ein wirtschaftlicher Aufschwung ein (u.?a. Citroën-Werk in Rennes, Gezeitenkraftwerk Rance).
In neuerer Zeit machten vor allem zwei Ölpesten (Amoco Cadiz 1978, Erika 1999) Schlagzeilen. Auch Pläne für ein Atomkraftwerk an der heute geschützten Pointe du Raz führten zu Widerstand – die Bretagne blieb eine Region, in der Natur und kulturelle Identität eng miteinander verwoben sind.
9.6.2025 Im Wald von Brocéliande und Stadtrundgang in Vannes
Der Forst von Brocéliande, den wir nach kürzerer Fahrt von Vannes erreichten, ist heute noch 12000 ha groß – ein kläglicher Überrest dessen, was Lancelot und Merlin, sollte es sie denn gegeben haben, gesehen haben könnten. Magische Quellen und grüne Tümpel ziehen viele Menschen, auch Gralssucher, an. Die Artussage, wohl zu keltischer Zeit über den Ärmelkanal getragen, wurde literarisch behandelt im 12. Jh. von Geoffrey of Monmouth und 1803, mitten in der Zeit der Romantik, von Dorothea Schlegel ins Deutsche übertragen.
Der englische König Artus verschafft sich mit Hilfe seines Ziehvaters, des Zauberers Merlin, das Schwert Excalibur. Dieses macht so mächtig, dass Feinde damit geschlagen werden können, z.B. die Sachsen. 12 Jahre geht das gut. Die Ritter der Tafelrunde, 40 an der Zahl, u.a. Iwein und Lancelot, sorgen für Ordnung im Lande. Artus Frau Guinevra hütet den Sitz Camelot. Fehlt zum Glück noch der Gral, das Gefäß, in dem Joseph von Arimathia Christi Blut auffing. Dem forscht Parzival nach.
Liebschaften und Untreue bereiten der Idylle ein Ende. Nach einer Liebelei mit Artus Frau muss Lancelot fliehen. Dazu kommt ein Umsturzversuch von Artus Neffe Mordred, bei dem Mordred getötet wird. Artus aber verliert die letzte Schlacht und begibt sich schwer verwundet nach Avalon, einer Insel im Atlantik, genannt die „Todesinsel“. Die Sage aber behauptet: eines Tages wird er von dort zurückkehren.
Lancelot wird übrigens im See von Comper in einem Kristallschloss aufgezogen, und zwar von der Fee Viviane, mit der wiederum Merlin ein romantisches Verhältnis hatte. Hier im Wald liegt auch Merlins letzte Ruhestätte (ausgeschildert), ferner die Heilige Quelle von Barenton und der „Feenspiegel“-Teich im Val sans Retour.
Ein kurzer Spaziergang durch den Wald führte uns zu der Quelle von Barenton. Ausgangspunkt ist eine kleine Häuseransammlung mit dem Namen „Folle Pensée“ (Verrückter Gedanke). Den Blasen im Wasser der Quelle, die bereits im 12.Jh. erwähnt wird, wird heilende Wirkung zugeschrieben, unter anderem bei Wahnsinn. Feen erscheinen denen, die Prophezeihungen suchen.
Später starteten wir von der „Église du Graal“ in Tréhorenteuc eine Wanderung von 8 km, die uns zunächst an einem Bächlein entlang führte, das das Val sans Retour (Tal ohne Wiederkehr) formt. Hier befindet sich der „Arbre d’Or“ (der goldene Baum), der uns tatsächlich mit Goldfarbe angestrichen entgegen leuchtete, und der See „Feenspiegel“, in dem Morgane, eine aus Cornwall stammende Prinzessin, Halbschwester von Artus und Schülerin Merlins, ihr Unwesen trieb (treibt?). Die von ihr gefangen gehaltenen untreuen Ritter wurden von Lancelot befreit, der dazu ein ganzes Arsenal an Sinnestäuschungen überwinden musste. Später ging es aus dem romantischen Tal heraus und man musste die Zeugnisse großer Waldbrände zur Kenntnis nehmen. Überraschend tauchte das imposante Wasserschloss Trécesson auf.
Durch Vannes, die Hauptstadt des Morbihan (keltisch: Kleines Meer= Golf von Morbihan), geleitete uns die einheimische Führerin Kristin.
Die Altstadt zieht sich vom kleinen Hafen südlich hinauf. Man geht durch die Porte St.Vincent (den man grüßen sollte) bis zum Altstadtplatz des Lices. Im Osten der Altstadt findet sich die ortsbildprägende Stadtmauer mit der Tour du Connétable und den nahen Waschhäusern. Der Park im französischen Stil, mit dem die Stadtmauer inszeniert wird, wurde in seiner heutigen Form erst in jüngerer Zeit angelegt. Man geht hinauf zu den viel fotografierten Holzfiguren "Vannes et sa femme" und zur Place Valencia, benannt nach der Geburtsstadt des Vincent Ferrer, der hier predigte. Großartige Fachwerkhäuser gibt es vor allen um die Kathedrale, die Bauphasen vom 12. bis 19. Jahrhundert vereint.
10.6.2025 Carnac, Locmariaquer und Kerzerho – Zeugnisse der Jungsteinzeit
In Carnac ist alles auf die Eigenschaft als „Hauptstadt der Megalithkultur“ ausgerichtet. 7000 Jahre alte Dolmen und Menhire gaben der ganzen Küste Cote des Megalithes den Namen.
Menhire nennt man die hoch aufragenden Einzelstücke (es gibt in der Bretagne insgesamt 5000), Dolmen sind Ganggräber aus geschichteten Steinen (etwa 1000). Wer sie errichtet hat und was ihre Bedeutung ist, bleibt bis heute rätselhaft. Reliefs von Schlangen, konzentrischen Kreisen, Krummstäben, Dolchen und Beilen sind an einigen festzustellen. Kaum jemanden lassen diese Monumente unbeeindruckt, gerade auch, weil sie zumeist, besonders in Carnac, durch ihre ungeheure Anzahl wirken.
An den Alignements (Steinreihen) de Ménec, am Infozentrum, begann unser Rundgang. 1050 Menhire in 11 Reihen mit O-W-Ausrichtung gibt es hier. Es schließen sich die Steinfelder Kermario (1029 Steine in 10 Reihen) und Kerleskan (555 Steine in 13 Reihen) an, insgesamt auf einer Länge von 4 Kilometern und einer Fläche von 40 Hektar. Wir gingen aber nicht den ganzen Weg, sondern bogen ab zum Tumulus St. Michel, einer jungsteinzeitlichen Grabstätte von der Höhe eines kleinen Berges, von dem man eine hervorragende Aussicht hat. Es handelt sich hier um den wahrscheinlich größten Grabhügel Kontinentaleuropas. Auf ihm steht heute eine kleine Kirche.
Wir fuhren dann nach Locmariaquer, wo man in einem Museumskontext drei der imposantesten Steinsetzungen finden kann: den (rekonstruierten) Dolmen Table des Marchands (Tisch der Kaufleute), den Grand Menhir Brisé, einen in vier Teile zerbrochenen Monolith von 20 m Länge und 280 Tonnen Gewicht, sowie den Grabhügel Tumulus Er Grah. Nirgends kann man besser nachvollziehen, wie steinzeitliche Grabstätten hier aussahen.
Hinter dem kleinen Ort Crocuno stiegen wir später nochmals aus für eine kleine Wanderung entlang gleich mehrerer Dolmen, bis zu den Alignements de Kerzerho, weiteren Steinreihen. Die größten Menhire ragen 6 m auf.
Der Abend sah uns dann im hundert Kilometer entfernten Quimper.
11.6.2025 Wanderung auf der Halbinsel Penmarch und Ausflug nach Concarneau
An der Kapelle Notre Dame de Tronoen, die mit ihrem spitzen Turm noch weithin zu sehen war, begann unsere Wanderung in den Dünen am Strand von Penmarc’h bis zum Leuchtturm von Eckmühl. Spektakulär ist der "Calvaire" neben der Kirche, ein Sockel mit Szenen der Passion Christi, wahrscheinlich schon aus dem 15.Jh. und damit der älteste der Gegend. Teils von der Seeluft schwer zerfressen, zeigen die zahlreichen Figuren u.a. eine gar nicht schamhafte Maria mit entblößter Brust. Die Pointe de la Torche („Fackelspitze“) ragt ins Meer hinein und beherbergt sowohl eine keltische Grablege wie einen deutschen Bunker. Immer weiter kam man an die Bauten der Zivilisation heran, an weiße Häuser, die mit der rauhen Küste wie zusammengewachsen erscheinen, an den Hafen von St. Guénolé mit seinen Sardinenfabriken, an die Kirche Notre-Dame-de-la-Joie, schließlich an den Phare d’Eckmühl, den 65 m hohen Leuchtturm von 1897, den die Marquise von Bloqueville zum Gedenken an ihren Vater, den Fürst von Eckmühl, finanziert hat.
In Concarneau muss man auf die Stadtmauern gehen. Die "Ville Close" mit Ursprung im 15.Jh. ist die beeindruckende kleine Festungsstadt, die Vauban, der Festungsbaumeister Ludwigs XIV, mit einer gigantischen barocken Verteidigungsanlage versehen hat. Am Belfried am Eingang zur Ville Close befindet sich eine sehenswerte Sonnenuhr. Man hat auch einen guten Blick auf die Hafenpromenade, wo sich das L’Amiral, das Lieblingslokal des Fernsehkommissars Dupin befindet.
Am Abend ging es zu Fuß in die kleine Creperie des Arcades, wo wir wie immer freundlich empfangen wurden.
12.6.2025 Küstenwanderung zur Pointe du Raz und Ausflug nach Locronan
Von dem Kirchlein Notre Dame du Bon Voyage nahe Plogoff begannen wir eine der bemerkenswertesten Wanderungen dieser Reise. Rund 13 Kilometer sind es auf einem Weg entlang der Steilküste um die Pointe du Raz herum (raz ist bretonisch und bedeutet „rasen“, Bezug ist die schnelle Meeresströmung). Das französische „land’s end“ ist ein wildes Kap von 72 m Höhe über dem Meer. Hier führen über schroffe Klippen in einem leichten Auf und Ab die Fernwanderwege E5 und GR 34 herum. Durch Heide und Strandnelken, hoch und herunter, kommt man zunächst zum winzigen Port de Feunteun, der sich für eine Rast anbietet. Das nutzten wir für ein Picknick. Am Kap selbst wimmelt es dann wieder von Kurzzeitbesuchern, die vom Besucherzentrum im Sommer mit einem Pendelbus zum Signalturm gelangen können. Seit einiger Zeit ist hier eine „Grand Site National“ mit besonderem Schutz. Dem musste ein Brei von etlichen Boutiquen und Hotels weichen, leider 1996 auch das kleine Hotel d’Iroise der Mme Le Coz von 1950, was einigen Wirbel in der Presse verursachte. Man bedenke, dass in der Nähe einmal ein Atomkraftwerk entstehen sollte!
Locronan ist ein überaus malerischer kleiner Ort aus grauen Granitbauten, der Platz vor der Kirche städtebaulich sehr gelungen. Hier drehte Polanski seinen Film „Tess“ mit Nastassja Kinski in der Hauptrolle.
13.6.2025 Stadtrundgang in Quimper, die Ile Grande und Verkostung in Lannion
Wir begannen den Tag mit einer Führung durch die Altstadt von Quimper, die der kluge und witzige Laurent übernahm. Der Name der 60.000 Einwohner zählenden Stadt leitet sich vom bretonischen „kemper“ ab, was „Zusammenfluss“ bedeutet. Es fließen hier die Steir und der Odet zusammen. Die Cornouaille, grünster Landstrich der Bretagne mit Blumen und Palmen, heißt auf Englisch „Cornwall“ und verdeutlicht auch sprachlich die Übereinstimmungen mit SW-England.
Am Odet entstand die Hafenstadt an einem Ort unter dem Hausberg Mt. Frugy, der schon römisches Militärlager war. Quimper ist eine Bischofs- und Fachwerkstadt, die durch die bleigraue Kathedrale St. Corentin geprägt wird, deren beeindruckende Turmspitzen aus dem 19.Jh. stammen. Der Chor driftet leicht links ab, wohl aus Rücksicht auf den von Hochwasser bedohten Baugrund. Zum Odet gibt es Reste der Stadtmauern. Geprägt wird hier das Bild auch von einem Dutzend Brücken über den Fluss, die reich mit Blumen geschmückt werden. Interessant sind die Viertel um die Rue Kéréon (Fachwerk) und der Place Terre au Duc; die Rue du Sallé, die Rue des Boucheries (Fleischhauer); der Place au Beurre. Auf dem Boulevard Amiral de Kerguelen schließlich finden sich einige bemerkenswerte Gebäude der Klassischen Moderne: Kodak 1933, Citroengarage 1934, Restaurant Felle Blanche 1932.
Eine längere Fahrt brachte uns nun an die Nordküste der Bretagne. Auch auf der Grand Ile, die eigentlich ziemlich klein ist und deren höchster Punkt auf 35 m Höhe liegt, erwarteten uns wieder Sand und Dünen und schönes Wetter. Eine 3/4 -Umwanderung bis zum kleinen Hafen dauerte nur 1 Stunde 40 Minuten. Unterwegs sahen wir eine weitere gut erhaltene "Allée Couverte", einen steinzeitlichen Dolmen.
Schließlich erlebten wir noch eine Verkostung diverser geistvoller Getränke in der Destillerie Warenghem, u.a. den einzigen bretonischen Whisky.
14.6.2025 Rosa Granitküste und Zöllnerpfad
Ein weiterer Höhepunkt dieser Reise war die lange Wanderung von Trégastel entlang der verschlungenen Küstenlinie nach Trestraou. Hier befindet sich die Cote du Granit Rosé, die rosa Granitküste. Unzählige rosa Felsen, die wie zufällig ins Wasser geworfen erscheinen, säumen den Weg, ebenso wie teils kitschige Märchenschlösser. In Trégastel hat man Strandbauten und Meerwasserschwimmbad geschickt in die Felsformationen eingepasst. Der kleine Strand von St. Guirec bezieht seinen Namen auf einen mittelalterlichen Bildstock am Strand zu Ehren des Heiligen. Hier beginnt auch der Zöllnerpfad, der uns kurzweilig zum Strand von Trestraou führte.
Dann musste Maik wieder ran. Eine 2 1/2 stündige Fahrt war nötig, um unseren nächsten Standort zu erreichen: St. Malo.
15.6.2025 Der Mont St. Michel, Austern in Cancale, die Pointe du Grouin und St. Malo
Der Mont Saint-Michel, nach dem Eiffelturm das meistbesuchte Denkmal Frankreichs, ist ein symbolträchtiger Ort voller Geschichte, Mythos und architektonischer Wucht. Die Silhouette des Klosterbergs ragt markant aus der Bucht – früher nur bei Ebbe erreichbar, heute durch eine moderne Stelzenbrücke.
Sein Ursprung geht auf das Jahr 708 zurück: Bischof Aubert von Avranches wurde der Überlieferung nach durch den Erzengel Michael selbst zur Gründung einer Kirche auf dem Felsen gedrängt – inklusive himmlischem Eingriff in seinen Schädel, wie eine Reliquie in Avranches zeigt.
Die Baugeschichte der Abtei war geprägt von technischen Schwierigkeiten, Einstürzen und Bränden. Um 1150 entstand die romanische Abteikirche mit massiven Mauern. Der Chor (1448–1513) wirkt trotz Spätgotik erstaunlich hochgotisch. Darunter erstreckt sich ein Labyrinth mittelalterlicher Räume, darunter die nicht öffentlich zugängliche Notre-Dame-sous-Terre – ein frühkarolingisches Kirchlein, das als Fundament dient.
Ein architektonisches Meisterwerk ist das gotische La Merveille (13. Jh.), das u.?a. das Refektorium und einen Kreuzgang mit Blick aufs Meer beherbergt. Im Hundertjährigen Krieg wurde die Abtei zur Festung ausgebaut und konnte dank ihrer Insellage nie eingenommen werden – sie wurde zum Symbol des französischen Widerstands.
Nach einem Brand 1776 und der Umnutzung als Gefängnis ab der Französischen Revolution (bis 1863) folgten ab 1872 erste Restaurierungen. Die heutige Gestalt ist also das Ergebnis einer langen Geschichte aus Zerstörung, Umbau und Idealisierung, besonders im 19. Jh., als man vielerorts das Mittelalter „rekonstruierte“.
Das malerische Küstenstädtchen Cancale, das sich an einen Hang schmiegt, ist berühmt für seine Austernzucht. Jährlich werden hier rund 6000 Tonnen geerntet. Direkt am Hafen kann man frische Austern verkosten – mit Blick auf das Meer, auf den Treppenstufen des Austernmarkts.
Die Pointe du Grouin markierte symbolisch den letzten Küstenspaziergang der Reise. Die markante Landspitze bietet eindrucksvolle Ausblicke auf den Ärmelkanal – ein würdiger Abschied von der wilden bretonischen Küste.
Den letzten Nachmittag verbrachten die Gäste in St. Malo, einer eindrucksvoll gelegenen Stadt, deren Altstadt „intra muros“ von dicken Mauern und drei Seiten Meer umgeben ist. Sie wirkt mit ihren grau-braunen Fassaden kühl, aber monumental.
Obwohl 80 % der Altstadt im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden, wurde sie detailgetreu wieder aufgebaut. 33 Gebäude wurden rekonstruiert, Neubauten dem historischen Stil angepasst – ein Paradebeispiel für die Mischung aus Denkmalpflege und Stadtrekonstruktion.
Die Burg am Stadteingang wurde von Herzogin Anne einst gegen die Stadt errichtet. Heute dient sie als Rathaus – und symbolisch wehen oben die bretonische und unten die französische Flagge.
16.6.2025 Beginn der Rückreise über Rouen und Reims
Auf der Rückfahrt gab es noch einen Halt mit Stadtrundgang in Rouen. Rouen ist heute der fünftgrößte Hafen Frankreichs, auf der ausgebaggerten Seine können bis hier Schiffe mit bis zu 140.000 BRT fahren. In Seine-Nähe und vor allem im Industriegebiet links des Flusses gab es im 2.WK große Zerstörungen. Auch die Altstadt war betroffen, ist aber in einzigartiger Weise wieder restauriert worden.
Bereits zu keltischer Zeit gegründet, wurde der Ort von den Römern zur Planstadt ausgebaut. An der dafür typischen Kreuzung von Cardo und Decumanus, der Haupt-und Querachse, befindet sich, wie so oft in Frankreich und England, der Kathedralplatz. Von der Verwaltungsorganisation im 4.Jh. bis heute ist Rouen der Hauptort der Provinz. Seit dieser Zeit gibt es hier eine Kathedrale. Lange Zeit blühte die Stadt, was man noch heute v.a. an den fantastischen Kirchenbauten jener Zeit sehen kann.
Als im frühen 15.Jh. die Normandie von den Engländern besetzt wurde, ereignete sich die Geschichte von Jeanne d’Arc aus Lothringen, die dem späteren französischen König Karl VII gegen die mit den Engländern verbündeten Burgunder zu Hilfe kam. Sie wurde Weihnachten 1430 bei dem Versuch, das von den Burgundern besetzte Compiègne zu befreien, gefangen genommen. Eigentlich hatte sie längst „abgeschworen“, doch die Engländer kauften ihre Gegnerin für 10.000 Franken, um sie am 30.Mai 1431 auf dem alten Marktplatz hinrichten zu lassen. Sie wurde später nicht nur rehabilitiert, sondern auch heiliggesprochen. Was dieses 19jährige Mädchen angetrieben und so gestärkt hat, dass Mächtige auf sie aufmerksam wurden, ob Gott ihr befahl, - all das bleibt im mythischen Dunkel. Zahlreiche Rezeptionen dieser Geschichte gibt es im Film, Theater, in der Musik, in der Literatur und in Computerspielen.
Die Kathedrale, deren Vorgängerbau 1060 von Wilhelm dem Eroberer geweiht worden war (davon noch erhalten die Krypta und Teile des Nordturms), erhielt ihre fantastische Fassade bereits ab 1170 – damit rückt sie zeitlich in die Anfänge von Notre Dame de Paris und Chartres. 1185 wurde das romanische Schiff abgerissen, 1247 war der Bau vollendet. Nur die Querhausportale, die Rose und die Marienkapelle entstanden noch wenig später. Die Apsisfenster sind heute nicht mehr original, sondern wurden durch die der im 2.WK zerstörten Kirche St.Vincent ersetzt. Das linke Fassadentympanon aus dem 13.Jh. zeigt den Tanz der Salome, mehr akrobatisch als erotisch. Im Inneren des Baues gibt es wertvolle Gräber und das Herz des Richard Löwenherz. Zerstörungen durch Hugenotten und die Revolution machten auch vor dieser Kathedrale nicht halt. Innen erhalten aber ist eine spätgotische Treppe mit zierlichem Maßwerk. Nach einem Brand des Vorgängers entstand 1825 der gusseiserne, 151 m hohe Vierungsturm, zu seiner Zeit sehr umstritten und heute Bestandteil der faszinierenden Turmlandschaft der Stadt.
Berühmt ist die Kathedrale natürlich auch durch die insgesamt 53 Bilder, die Claude Monet zu allen Tageszeiten von ihrer Fassade gemacht hat. Er hatte sich im Hotel gegenüber eingemietet. Die meisten sind im Musée d’Orsay in Paris zu sehen, es gibt aber auch welche in Essen, N.Y., Washington, L.A. und sogar in Belgrad. Eins ist auch im sehenswerten Musée des Beaux Arts von Rouen zu sehen.
St. Maclou, dessen ganze Umgebung ein Zeugnis der Restaurierungen eines ganzen Stadtviertels ist, ist ein Paradebeispiel für den spätgotischen Flamboyant (Flammen-)-Stil. Die Kirche entstand, nachdem ein Vorgängerbau 1432 eingestürzt war, bis 1521 durch die Spenden des reichen Bürgertums. Im Tympanon sieht man das Jüngste Gericht, bemerkenswert sind die Vorhalle und die Türschnitzereien. Der 84m hohe Vierungsturm entstand 1868-71. Unweit befindet sich der Pesthof („Atrium St. Maclou“), ursprünglich war hier, außerhalb der Mauern, ein Pestfriedhof.
Die Gros Horloge, die „dicke Uhr“ wurde ab 1527 errichtet. Technische Kunstwerke dieser Art waren der Stolz der Städte (vgl. Auxerre). Bildprägend ist auch der prächtige Palais de Justice mit einem spätgotischen West-und Nordflügel.
Am Abend gelang es uns nicht, noch in die Krönungs -Kathedrale von Reims zu gelangen, aber nach dem Abendessen hatten doch einige noch die Gelegenheit, wenigstens die Fassade mit ihren bemerkenswerten Figuren in Augenschein zu nehmen. Vor allem der lächelnde Engel ist hier zu nennen, eine der bekanntesten und besten Figuren der Gotik. Aber auch viele andere Figuren hier waren Vorbild für die Bildwerke Straßburgs, Naumburgs und Meissens.
17.6.2025 Heimfahrt
Noch einmal 14 Stunden dauerte es, bis der Bus Dresden erreichte. Zeit, die vielen Eindrücke dieser Reise sacken zu lassen.