Deutschland

Reise quer durch Deutschland - Etappe 1 vom Schwarzwald über Mödlareuth nach Radebeul und Dresden

Von Peter Wagner, 25.02.2021
Schloss Pillnitz an der Elbe bei Dresden – © ©jovannig - stock.adobe.com
Eberhardt-Prokurist und Reiseprofi Peter Wagner über seine Eindrücke bei einer Reise mit dem Auto quer durch Deutschland – Rundreise auf vier Rädern und ein bisschen auch wie Motor-Safari und Entdeckungsreise fernab der Autobahnen – Begegnungen mit Land und Leuten – Geschichten und Geschichte in Mitteldeutschlands Bundesländern Thüringen, Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern und natürli

Weil eigentlich ist das so unspektakulär und nicht erwähnenswert, wenn man für einige Tage aufbricht in ein Land, das man zu kennen meint und das eigentlich mehr eine kleine Notlösung sein soll in einer Zeit, in der man raus möchte und immer noch kann und sich in einem dennoch der leise Zweifel regt, was man sich traut.

Das lässt man dann aber alles tief in sich drin und vor allem auch nicht nach außen verlauten. Besonnenheit ist des Bürgers oberste Pflicht. Auch beim Maskenball darf gelacht werden. Was bleibt, sind die Gedanken und Gefühle hinter der Fassade.

Also auf in die Heimat.
„Wärts“ hätte mein Vater gesagt.

Ich fahre ostwärts und es ist lediglich eine kleine Richtung, kein Programm und erst recht nicht eine Suche nach dem Gestern oder den Erinnerungen. Du fährst lange der Sonne entgegen, wenn Du morgens im Schwarzwald startest und die Schilder dir den Weg nach Stuttgart, Heilbronn, Nürnberg und weiter nach Berlin und Dresden weisen. Du erlebst, besser ist es zu sagen, du erahnst, wie an einem Freitag Deutschland sich fit macht für den letzten Wochentag oder für das bevorstehende Wochenende. Du wirst beides erleben.

Entspanntes Dahinfahren und nervige Baustellen, auf denen scheinbar niemand etwas baut. Du döselst so in deinen ersten Urlaubstag und fragst dich, wie man auf die Idee kommen kann, dass der Weg das Ziel sei.

Du wirst urplötzlich durch ein Lichtsignal aus Deinen Träumen gerissen. Willkommen im Leben.

Später erfährst du, dass du 8 km zu schnell warst. Wenn du den Rechtsstaat bejahst – musst Du zahlen. Auch wenn da eine leere Baustelle ist, weit und breit kein anderes Fahrzeug, kein Regen und, und, und. Nach x km setzt die Verdrängung ein. Das ist aber eine Illusion, denn eine leere Autobahn ist ein willkommenes Teatro fürs Grübeln. Nach einigen Kilometern könnte ich schwören, dass ich zu schnell, viel zu schnell, eigentlich megaschnell geblitzt worden bin.

Ich erwarte in Gedanken eine Ringfahndung und mir wird ganz elend zumute. Eigentlich ist der Urlaub gelaufen. Ganz viel später, als die Verdrängung genau in ihr Gegenteil wieder umgeschlagen ist, flattert ein Brief aus Karlsruhe ins Haus.

Erster Gedanke: Was zum Teufel kommt hier aus Karlsruhe? Dann sehe ich Regierungspräsidium und Bussgeldstelle und wähne mich jetzt endgültig um den Verlust dieses wertvollen Führerscheines. Dann die Erleichterung: 8 km/h. Mit 10 Euro bin ich dabei. Betriebswirtschaftliche Überlegungen überlasse ich dem geneigten Leser.

Mit der erlebten Lichtshow geht die Fahrt weiter. Vorteil - hellwach. Vorbei an Nürnberg passiere ich Bayreuth und denke an Lisi, von und zu Guttenberg, den Hügel, ein skandalöses Kleid der Kanzlerin. Nitzsche, einen botanischen Garten, mehrere Studenten-Wohngemeinschaften und das immer noch anhaltend stolze Gefühl, dass Lisi dort eine erfolgreiche Studienzeit hatte und dass sie deshalb auch in Warwick und in Schweden war (und ich auch). Alles zieht wie ein Film vorbei und leuchtet dabei im nunmehr voll erwachten morgendlichen Sonnenschein.

Nein – es ist eigentlich nichts anders in Deutschland für mich an diesem Morgen, auf diesem Weg. Und es ist dann irgendwo und irgendwann, dass ich denke, verdammt, es ist Freitag und ich sehe keine Reisebusse. Sind einfach keine da – nicht auf der Straße und nicht auf den Parkplätzen. Ein Bild, das mich tagelang begleiten wird.

Erster Stopp in Little Berlin – Mödlareuth

Irgendwann erscheint ein Hinweis auf Mödlareuth. Ich fahre raus, einige Kilometer durch ein Gebiet, das ländlich und gemütlich wirkt, aber dennoch etwas abwesend. Ich hatte zuvor die fränkische Schweiz durchquert und die angenehmen Hügel sowie die bewaldeten Höhen waren mir willkommene Wegbegleiter. Windräderfamilien wirkten groß und unwirklich - aber nicht mehr so drohend. Es wird wohl noch sehr lange dauern, bis man diese als Bestandteil der dortigen Landschaften akzeptieren wird oder kann.

Die ehemalige Deutsch-Deutsche Grenze in Mödlareuth
Zurück zu diesem kleinen Dorf. Du fährst da in die Richtung und Hinweisschilder mehren sich; eine Gedenkstätte kündigt sich an.

Stätten sind immer wichtig. Genauso wie Wirkungsstätten, Begegnungsstätten, Kindertagestätten, Vergnügungsstätten, Gebetsstätten, Ausgrabungsstätten, Opferstätten, Geburtsstätten, Zufluchtsstätten. Wir sind ein wahrlich stattliches Völkchen.

Da stehe ich nun mitten in Mödlareuth.  An einem Freitag in gleißender Sonne. In einer ländlichen und friedlichen Idylle. Vor mir ein paar Häuschen, Fachwerk und ein kleines Bächlein. Der Tannbach. Mir wird immer kälter. Ein kleiner Bach kann trennen, ein kleiner Bach ist die Wegscheide zwischen Hoffnung und Resignation. Ein kleiner Bach, der darf es sich leisten sich zu winden und zu plätschern. Er kann verweilen und darf doch wieder weiter.

Mödlareuth ist ein kleines Dorf, das zu Thüringen und Bayern gehört und durch das eine Grenze, eine Mauer gezogen wurde. Ich habe das Gefühl, dass es keinen Ort der Welt gibt, in dem Trennung jemals brutaler, unerbittlicher und drohender vollzogen wurde. Dieses Gefühl verstärkt sich durch die unheimliche Ruhe, durch das Nichtvorhandensein von Erklärungen und Deklarationen. Er erklärt sich von selbst und wer dazu noch etwas Unterstützung braucht, der kann einen kleinen Film im guten Museum besuchen. Das Freigelände hält alles noch parat, so wie es gewesen sein soll. War es so?

Niemand kann die Träume und Sehnsüchte auf beiden Seiten der Grenze richtig beschreiben. Es ist wie ein Pfahl, der Dein Herz zerreißt und du muss und willst doch weiterleben und atmen - ein Leben lang. Man wird es Little Berlin nennen. Nachdenklich sehe ich Bilder der damaligen Bewohner. Sie stehen und schauen in eine andere Welt und sind Sinnbild einer völlig unvorstellbaren,  der verordneten lebenslangen Trennung voneinander, das durch das Wunder des Mauerfall am 09.November 1989 hinfällig wird – im barsten Sinne des Wortes.

Daher wirkt es auch nicht kitschig, als sich die Menschen damals mit Blasmusik der Feuerwehr, ihren Bratwürsten und einem guten Schluck wieder ins Leben gefeiert haben.

Jeder Deutsche sollte diesen Ort gesehen haben. Die Banalität des Alltags und eines unscheinbaren Dörfchens zwingt sich einem als Mahnung auf. Ich lese, dass Filmemacher mit dem Mehrteiler „Tannbach“ die Geschichte des Dorfes und seiner Menschen versucht haben, zu erzählen.
Still geht es weiter durch das Vogtland. Eigentlich haben wir in Deutschland keine vergessenen Landstriche – aber sollte es diese geben, dann gehört das Vogtland etwas unbeholfen dazu, Im Schatten des Erzgebirges liegend, ist es ein besonderer Menschenschlag, der dort wohnt. Ein eigener Dialekt und eine Verbundenheit zur Heimat, die einfach zum Alltag dazugehört. Ich fahre da durch und weiß, dass mich eine Fahrt in den Advent erwartet, die Traditionen, Volkskunst, das Klöppel, den Musikinstrumentenbau und sehr, sehr freundliche Gastgeber bereithalten wird.

Es ist das Schicksal von Reisenden, dass sie sich selbst am ersten Tag nicht aufhalten lassen wollen.
Vor den Toren von Elbflorenz – korrekterweise ja Dresden – Radebeul ist eine Perle

Ich bin am frühen Nachmittag endlich das erste Mal angekommen. Radebeul vor den Toren Dresdens gelegen. Verschlafen, gemütlich und doch an vielen Ecken vom Glanz vergangenen Tage geprägt erfreut sich heute an vielen Stellen einer gepflegten Mondänität. Ich denke über dieses Wort nach.

Ja, doch ich stehe dazu.

Prächtige Villen, niedliche, fast malerische Weingüter mit den dazugehörigen Weinstuben und dann Altkötzschenbroda. Das Leben in der sächsischen Provinz beginnt am 19:00 Uhr in den dutzenden Wirtschaften, in denen das Leben sich verteidigt gegen ein Virus, das es lähmen möchte – das geht dort einfach nicht.

Nein es tobt dort nicht dieses Leben – es ist einfach ein nicht enden wollender Fluss von sächsischer Gemütlichkeit, der sich dort durch die Straßen windet und jeden – ok, fast jeden – in seinen Bann zieht.

Weinhänge am Schloss Wackerbarth in Radebeul

Wem das alles zu gemütlich ist und wer es jetzt mit sitzen noch nicht so hat, der begleitet mich zuvor zum Schloss Wackerbarth. Ein Tempel an Perfektion. Eine Augenweide an Gartenkunst und ein Erlebnis der besonders prickelnden Art. Nach Stunden Fahrt ein nächstes Mal angekommen im Staune-Paradies.

Doch gleich noch anschließend einen Abstecher in die sächsische Hauptstadt Dresden gemacht, die jetzt im Glanz der langsam untergehenden Sonne ihr abendliches Prachtkleid überstülpt. Sie tut es majestätisch und witzig zugleich.
Klar schaue ich beim Kempenski vorbei und grüße meinen Freund Georg mit seinem Juwelierstempelchen.

Frauenkirche – offen - Maske, Abstand und dann dieser Anblick ganz innen, das Verweilen, das aufnehmen. Die Erinnerung, als dort die vereinigten Buckenbergchöre sangen. Organsiert von Klaus Knabe, der dann damals doch nicht mitkonnte.

Wir hatten genau 3 Minuten Auftrittszeit gewährt bekommen und wir ersangen fast 20 Minuten. Es war, als ob das Gestern geschah.

Brühlsche Terrassen in der Abendsonne. Es ei gestattet zu erwähnen, dass dort ein deutscher Schlagerbarde für Tage auf dem gegenüberliegenden Elbeufer seine Kaisermanie zelebriert und damit einer Stadt und seinen Menschen ein weites Fenster öffnet, das Demonstrationen und schlechte politische Nachrichten mitunter zuklappen lässt.

Schließlich elbwärts mit dem Auto nach Pillnitz. Ein kleiner Traum, dort fernab von allem unter Bäumen zu sitzen und im Schlosshotel zu Abend zu essen. Sächsisch deftig und gediegen. Jetzt kann sich jeder ausdenken, was er auch immer darunter verstehen möchte.

Ein Gang an die Elbe, die sich hier mit einer Gartenanlage schmückt, die in Europa zu den schönsten gehört. Ein, zwei Kinder spielen noch auf den Terrassen, ein Elbdampfer gleitet vorbei und man hat das Gefühl, dass das Wasser jetzt Ruhe über diesen Freitag bringt.

Ruhe trägt in eine Stadt, die sich auf den morgigen-Tag freut und so tue ich das auch und ich kann sagen, dass das im Hof des Hotels in Radebeul dann so richtig gemütlich zu Ende genossen werden kann. Weitläufig, heimelig, bequem und vor allem genau mit der Ruhe gesegnet, die die Elbe einige Momente vorher in Pillnitz gefühlt vorbei getragen hat.   

Kein Nachdruck, keine Weitergabe ohne Zustimmung des Autors
Peter Wagner, 2020

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