Deutschland

Berlin ist wie eine Anhäufung von tausenden Inseln

Von Peter Wagner, 26.02.2021
Berlin - Alexanderplatz mit Weltzeituhr und Fernsehturm – © Photocreo Bednarek - stock.adobe.com
Berlin – Eine Stadt, die sonntags schläft? Hackesche Märkte, Alexanderplatz, Reichstag, Gendarmenmarkt, Nikolaiviertel, Adlon und dann auch noch Schokolade und andere Genüsse – lesen Sie hier die persönlichen Reisetipps und Eindrücke von Eberhardt-Prokurist Peter Wagner bei seiner Reise quer durch Deutschland, die in Berlin endete.

Welches Sonntagsgesicht hat Berlin? Zunächst wohltuend leere Autobahnen und Zufahrtsstraßen und dann noch einen Superparkplatz, den dir der Senat an diesem Tag kostenlos überlässt. Das ist ein spürbar positiver Empfang.

Erste Station Alexanderplatz. Alex. Bauhausstil neben zweckgebundenem Polizeirevier in Kleinstbauweise, aber wohl notwendig am zentralsten Platz der Hauptstadt.
Weltzeituhr. Und es gibt sie doch noch: Die Japaner, die der Pandemie zum Trotz ihre Fotos machen. Man stelle sich da keine Gruppe vor, sondern nur 2 – Zwei sind immerhin mehr als gar niemand.
Blick auf die Sparkasse, in der im Sommer 1990 die ganze Nacht die Menschen Schlange standen, um ihre D-Mark in Empfang zu nehmen. Heute Morgen eine eher unrealistische Vorstellung, wie das in diesen Tagen aussehen könnte. Eigentlich lustig, sich vorzustellen, wie die Deutschen den Euro wieder in D-Mark rücktauschen. Die Schlange wäre… wer weiß es schon?

Ansonsten blicke ich mich um und sehe, wie Neues entsteht und Altes abgerissen wird. Plattenbauten, ehemaliger Sitz von Ministeriumsabteilungen oder aber auch der Beschaffungskriminellen um Schalk-Golodkowski.
Der Alex-Brunnen sprudelt vor sich in und ist ein Platz der Beständigkeit, was ja an sich paradox ist, weil ja Wasser Leben und Bewegung ist.

Bahnhof Alexanderplatz – Puls der Stadt. S-Bahn-fahren in Berlin muss sein.
Fast leer die Bahn; einige Fahrgäste kommen aus der Nacht, andere dösen in den neuen Tag hinein. Draußen fährt das noch schlafende Berlin vorbei - mit offenen Fenstern in den Mietskasernen – aber irgendwie friedlich, fast so ein bisschen verträumt.

Hackesche Märkte – ein Kleinod. Eine sich selbst erfundene und vor allem gefundene Welt. Fern von der Hinterhofszene, die Zille so plastisch gezeichnet hat. Aber – man erahnt das Ineinander, man hört die polternden, mitunter tanzenden Schritte auf den Treppen im Innern der Häuser und man schaut nach Oben, wo sich der Himmel immer als Viereck darstellt. Interessant die kleinen Läden und vor allem die Ideen, mit Grün diese Höfe noch anziehender zu machen.

Hackesche Märkte in Berlin - einer der besten Plätze für Shopping und Kulinarik

Berlin ist wie eine Anhäufung von tausenden Inseln.
Draußen – ich sage jetzt schon draußen - fährt die Sonntagsstrassenbahn vorbei.

Jetzt ist es Zeit für ein Frühstück. Begrüßung mit Berliner Charme – sollte ich besser sagen“ Schnauze“ - aber spürbar herzlich. Um diese Zeit ist nichts los. Zeit zum Plaudern. Woanders ist das Small Talk. Hier ist es Plaudern und es ist irgendwie schön, weil sich die Weltstadt in einem kleinen Dorfplausch wiederfindet und damit ihr angenehmes Gesicht zeigt. Sie braucht das, denn vielfältig sind Narben, die ihr ihre Geschichte beigefügt hat. Tränenpalast in der Friedrichstrasse. Ort des Verlassens und des Verlassenwerdens, die Mauer, der Krieg, die Teilung, Revolutionen und vieles andere mehr.

Der Spaziergang in Richtung Reichstag gleicht dem Dahintänzeln auf einem Zeitstrahl der persönlichen Erinnerungen mit Geschichte und Geschichten verbunden. Hauptstadtstudio und ein Besuch, der in langer Erinnerung bleibt und dann diese Kneipe, Wirtschaft, Restauration, die sich „Ständige Vertretung“ nennt und nicht nur das Refugium der Rheinländer an der Spree gewesen ist. Die Ecke runter habe ich meine ersten Versuche mit Französischreden gemacht und dann der Weg über die Brücke rüber zum S-Bahnhof. Vor mir die fast leere Friedrichstrasse und ich kehre um.

Die Spree ist so wohltuend mit ihrer kleinen feuchten Frische und da ist dann auch Musik an der Ecke. Warum spielt man da, wenn keine Zuhörer kommen? Gedankenverloren bemühen sich zwei Musiker die Töne in eine Melodie zu bringen, was ihnen auch passabel gelingt.

Johann Sebastian Bach auf dem Weg zum Reichstagsgebäude. Hoffentlich geht jetzt nichts den Bach runter. – Wortspiele.

Trabant deluxe, Kanzleramt und Juwelier am Hotel Adlon in Berlin

Blick aufs Kanzleramt und immer wieder diese hinterfragende Faszination, wenn man auf den Bunkeranbau der Schweizer Botschaft schaut. Die tapferen, engstirnigen oder auch standhaften Eidgenossen zerbrechen ein architektonisches Gesamtbild mit ihren Besitzansprüchen.

Die klare Linie vom Kanzleramt zum Reichstag. Das Volk im Blick – wenn es doch immer so wäre. Die große Wiese und das Gefühl, dass man frei sein darf in diesem Land. Keine Zäune, keine Mauern mehr.

Am Reichstag regieren das Virus und das Verständnis. Der Trick mit der Reservierung im „Käfer's“ funktioniert zu früher Stunde nicht. Die haben noch geschlossen. So muss der demokratische Kontrollblick von der Kuppel runter auf den Plenarsaal unserer Abgeordneten jetzt entfallen. Ich denke, eine Demokratie muss so stark sein, dass sie das aushält. Jedenfalls mein Nichtdaraufschauen.

Dann von hinten durch die Passage zum Brandenburger Tor. Dort kann man genüsslich sitzen und einen Kaffee trinken und endlich raus wieder ins Freie und Blick aufs Tor und die amerikanische Botschaft. Ich denke, dass die da nicht hingehören sollte. Aber war wohl Vorkriegsbestand.  Gut, denke ich, vergiss es.
Das Tor immer wieder aufregend, erhebend, imposant und dann doch einfach nur so still und erhaben dahinstehend. Es werden Selfies gemacht.

Dann stehe ich vorm Adlon und grüße meinen Freund Georg Leicht ein zweites Mal auf dieser Reise. Gutes gehört zu Erhabenem und zu Tradition erst recht.
Georg Leicht hat sich die beiden wichtigsten Plätze in Europa ausgesucht für seine Geschäfte. Einmal hier am Brandenburger Tor und dann natürlich am Leopoldplatz in Pforzheim.

Das Adlon lasse ich hinter mir und verweile kurz vor der russischen Botschaft. Schade, dass dieses Thema bei Stadtrundfahrten so oft oder meistens immer ausgeklammert wird. Russen und Deutsche haben eine lange Geschichte, die sich immer wieder kreuzt. Katarina die Große eine Prinzessin aus Zerbst. Kunst und Kultur; aber auch Wirtschaft; immer wieder eng verwoben.

Daraus sollen nicht festzementierte Freundschaftsburgen entstehen – aber Wissen und Respekt sind doch eine andere Grundlage als Ideologie und schnöde Politik. Aber zum Politisieren ist auch ein Sonntag in Berlin nicht geeignet.

Gendarmenmarkt in Berlin
Nächste Station Gendarmenmarkt.
Ich fange mal an einer anderen Stelle an. Ich bleibe vor einem unscheinbaren Hauseingang stehen. Sitz der damaligen Blockflöten-CDU. Wie haben die eigentlich die Transformation geschafft? Redet auch niemand mehr drüber.

Schauspielhaus von hinten und dann dieser erhabene – ja muss ich jetzt so schreiben – Anblick dieses wohl schönsten Platzes in Mitteleuropa. Da darf man staunen. Ein Preußenkönig mit Sinn für das Reale und vor allem Notwendige, errichtete diese beiden Kirchen und lebt mit dem Prinzip „Jedem nach seiner Fasson“ Der Gendarmenmarkt ist diesem Grundsatz ein ehernes Denkmal, dass über jede Toleranzdiskussion im modernen Deutschland erhaben ist.

Es muss jetzt einfach weltlich bleiben, denn die Hitze ist mittlerweile doch recht drückend und Kühlung tut Not. Dem ahnungslosen Besucher stellen sich dann viele Möglichkeiten, die sich dann aber doch verwerfen, weil Hitze auch unter Sonnenschirmen latent ist.

Mein Ratschlag: Tauchen Sie ein in die wunderbare Schokoladenwelt von Rausch am Gendarmenmarkt. Das ist etwas für die Sinne. Sie finden den Reichstag in einer Schokoladenkomposition und vieles andere mehr. Fahren Sie hoch in den dritten Stock in ein wunderbares Café und genießen Sie einen Eiskaffee. Verlieren Sie sich im wohl besten Mango-Eis der ganzen Stadt und werden Sie schwach bei einem dieser Törtchen. Nein, Zauberwerke wäre angemessener. Wohltuend der Service, der dem all einen Rahmen gibt, der unverwechselbar ist. Das nenne ich eine Oase der Sinne.

Was bleibt nach diesem kulinarischen Hochgenuss? Ein Blick aufs Neue Schloss – einfach wunderbar. Ein Verweilen vor dem ehemaligen Staatsratsgebäude und die Frage, warum man den Originalbalkon des alten Schlosses immer nach nicht abgebaut hat und in das gegenüberliegende Gebäude des neuen Schlosses integrieren konnte.

Von diesem Balkon rief Karl Liebknecht die sozialistische Republik Deutschland aus. An anderer Stelle tat das der Sozialdemokrat Scheidemann und proklamierte die demokratische Republik. 15 Jahre später hatte sich das für beide Republiken erledigt und Hitler kam an die Macht. Sehenswert ist das Innere des alten Staatsratsgebäudes nicht -aber man war mal drinnen.

Spaziergang rüber zum Nikolaiviertel mit dem historischen Mittelpunkt Berlins und der auch anerkannt ältesten Kneipe. Das ist der Nussbaum. Da sollte man dann doch mal hinsitzen und ein Bierchen trinken. Den Damen empfehle ich Berliner Weiße mit Schuss. Da ist man dann doch etwas im gefühlten Milljöh – wie Zille das so malte. Aber eigentlich ist man in einer künstlichen kleinen Wunderwelt, die langsam, aber sicher an Glanz verliert. Erlebenswert die Gerichtslaube und essenswert die Berliner Küchenspezialitäten, zu denen ein Eisbein mit Sicherheit gehört.

Ein Blick hoch auf den Fernsehturm, in dessen Kuppel sich das Kreuz des Berliner Doms spiegelt und das sehr zum Leidwesen der damaligen Genossen – aber das Wetter und die Natur ließen sich nun mal nicht überlisten.

Sonntags schläft auch das Rote Rathaus – aber es steht in seiner roten Backstein-Imposanz unerschütterlich in jedem Berliner politischen Sturmwind. Der Berliner nimmt es stets gelassen und ist doch an diesem Sonntag lieber im Grünen oder bleibt in seinem Kietz.

So bewandern weiter fleißige Resttouristen die Innenstadt und versuchen ihre Eindrücke in die IPhones zu bekommen.

Berlin, wie mag ich dich doch nicht und dennoch bleibst du eine Schönheit, die durch ihr Wesen, ihre Widersprüche; die große und kleine Schnauze und vor allem das Herz besticht. Gern war ich heute dein Gast – doch lass mich jetzt zurück in deine Provinz – zurück nach Potsdam – wo ich dann sitze und denke, schön ist's auf dem Land.

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