Reisebericht: Große Schottland–Rundreise für Genießer

29.07. – 07.08.2022, 10 Tage Genießer–Reise mit Fluganreise: Glasgow – Helensburgh – Ben Nevis – Loch Ness – Black Isle – Whisky Distillery – Aberdeen – Scone Palace – Rosslyn Chapel – Edinburgh


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Bericht über unsere Reise durch Schottland, von Glasgow über Loch Lomond und Glen Coe in die Highlands, durch die Speyside und nach Aberdeenshire mit einem Abschluss in Edinburgh und den Borders und dem Erlebnis des Royal Military Tattoo auf dem Edinburgher Burgberg.
Ein Reisebericht von
Andreas Böcker
Andreas Böcker

Freitag, 29. Juli: Auf nach Schottland – auf nach Glasgow

Die Medien waren in den letzten Wochen voll von Chaos auf den Flughäfen. Passagiere sollten viel Zeit für die Sicherheitskontrollen mit einplanen. Und dann hatte auch noch von Mittwoch in der Früh bis zum Donnerstag in der Früh das völlig überlastete Sicherheitspersonal gestreikt! Aber weder in Leipzig noch in Dresden und selbst in Frankfurt kam es für die Teilnehmer unserer Reisegruppe zu auffälligen Verzögerungen, alle kamen gut durch die Sicherheit. Und dann warteten wir am Gate, wurden zu einem anderen Gate geschickt und schließlich - am dritten Gate - stand unser Flugzeug. Die Boarding Time rückte näher und nichts tat sich. Unser Flugzeug stand da, die Boarding Time hatte angefangen und noch immer tat sich nichts. Das Problem hatte sich verlagert. Es war nicht mehr die Sicherheit, die mit der Arbeit nicht hinterherkam, sondern die Gepäckbeförderung. Das Flugzeug war noch nicht entladen und konnte somit auch nicht beladen werden. Und solange es nicht beladen würde, sollten wir auch nicht einsteigen (was ja auch sinnvoll ist, man sitzt ja am Ende lang genug). Ich nahm Kontakt mit Tahir, unserem Busfahrer und Victoria unserer örtlichen Reiseleiterin für Glasgow sowie den Berliner Gästen, die wir erst in Glasgow am Flughafen treffem sollten, auf, dass es wohl später würde.

Nach vielem Hin und Her ging es endlich los und wir landeten mit etwa anderthalb Stunden Verspätung in Glasgow. Tahir nahm uns mit dem Bus in Empfang und wir fuhren zum zentralen George Square, wo die junge Historikern Victoria ihr Fahrrad geparkt hatte. Victoria war doch glatt aus dem geschichtsträchtigen Edinburgh ins industriell geprägte Glasgow gezogen, um ausgerechnet dort Geschichte zu studieren. Nach ihrem Studium blieb sie dort. (Nein, diese Opposition ist nicht ganz fair, auch Glasgow ist eine wichtige geschichtsträchtige Stadt, auch wenn ihr Stern nicht bereits im Mittelalter aufging, sondern so richtig erst mit den ersten britischen Kolonialreich.)

Victoria sprach auffallend gut Deutsch und verriet uns auf Nachfrage, dass ihre Mutter aus Bayern käme und sie daher in ihrer Kindheit viel Zeit bei den bayrischen Großeltern verbracht habe.

Zunächst durften wir uns ein wenig bewegen. Victoria erklärte uns den George Square und das graswurzelige the people make Glasgow (die Menschen sind es, die Glasgow gestalten). Dann verbachten wir noch ein wenig Zeit an der Gallery of Modern Art, vor der seit Jahrzehnten immer wieder die Statue des Duke of Wellington mit Verkehrskegeln bekrönt wird, manchmal selbst sogar sein Pferd. Häufig sind die Verkehrskegel bunt bepinselt und nehmen Stellung zum politischen Geschehen in Schottland und der Welt. Aber schon zuvor hatten wir den auf dem George Square aufgesockelten Prinzgemahl Queen Victorias, Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, ebenfalls verkehrskegelberönt angetroffen Anschließend ging es zur Kathedrale. Aber die schloss um 16:00 und es war bereits 15:50, kein Einlass mehr möglich, die junge Dame vor Ort war zwar sehr freundlich, aber auch sehr bestimmt. (Als kleiner Trost meine persönliche Meinung: ich finde St. Kentigerns/Mungos Cathedralnur mäßig interessant.)
Dafür tobten wir uns dann ein wenig auf der Nekropolis aus, der Totenstadt hinter der Kathedrale, wo man mit der Nase einen leisen Hauch von Maische vernehmen konnte, der von der nahen Tennents-Brauerei ausging. Noch einen Abstecher zum Glasgow Green mit dem People's Palace und dem größten Keramikbrunnen des United Kingdom und Victoria entließ uns ins Hotel am Kelvingrove Park.
Nach dem Abendessen nutzten einige die Nähe zum Park, um sich noch mal ein wenig die Beine zu vertreten, andere fuhren mit dem lokalen Nahverkehrsbus in die Stadt, um das Hard Rock Café aufzusuchen.

Buskilometer (ca. 26 km)


Samstag, 30. Juli: You take the Low Road...

Dumbarton Castle (< Dùn Bhreatann) ist wegen klimawandelbedingten Steinschlags bis auf Weiteres geschlossen (Historic Enviroment Scotland ist mit Sicherungsaufgaben beschäftigt), daher fuhren wir hier nur dran vorbei, direkt weiter nach Helensburgh, wo 18/24 das Hill House des Jugendstil-Architekten Charles Rennie Mackintosh besichtigten, welches dieser 1902 bis 1904 für den Verleger Walter Blackie errichtet hatte. Um das Gebäude vor Regen zu schützen, hat man einen Käfig drumherum errichtet, welcher 80 % des Wassers abhalten soll. 1904 hat man das das Gebäude mit einem Zementputz bestrichen, dessen Ziel es war, keine Feuchtigkeit durchdringen zu lassen. Nach gut hundert Jahren aber hatte dieser Zementputz Risse bekommen, so dass einmal eingsickertes Wasser nicht mehr trocknete - der frühere Vorteil des Zementputzes wurde nun zum Nachteil. Um das Jugendstil-Kleinod zu schützen wurde nun also der erwähnte Käfig um das Haus herum gebaut. Aber man ging pragmatisch vor: Der Käfig ist nun so gestaltet, dass man das Haus nicht nur vom Erdboden aus betrachten kann, sondern man kann mit Hilfe von Treffen und Gängen auf verschiedenen Ebenen um das Haus herum und sogar über das Haus hinweg wegen.
Während wir noch so um und über das Haus gingen, mutmaßten Magdalena, Doreen und ich, welches wohl die Funktion des langgezogenen Raumes mit den hohen Fenstern sei. - "Eine Kapelle." - "Ein Lesezimmer." Wetten wurde abgeschlossen.
Und es war.... Trommelwirbel.... Trommelwirbel.... Trommelwirbel... *tusch*: Das Treppenhaus!
Ein wenig Zeit verbrachten wir dann noch in Helensburgh Town Center bzw. an der Uferpromenade, dann nahmen wir die Low Road (die Straße der Lebenden)* in Richtung Loch Lomonds.
Am Loch Lomand hatten wir dann Zeit, um uns in Luss ein wenig umzutun. Das blumengeschmückte Dorf, welches auch bei Außenaufnahmen einer schottischen Seifenoper schon die Kulisse bildete, trägt den Ruf, das schönste Dorf der Highlands zu sein. Aber machen wir uns nichts vor: In Schottland wird mitteleuropäischen Gärtnern sowieso allerorten vorgeführt, wie fruchtbar die - im Ursprung oft vulkanische - Erde und wie reichhaltig der Regen ist.
Später kreuzten wir ein wenig auf dem nördlichen Teil des Loch Lomond - wir waren nach Tarbet weitergefahren und hatten hier das Verkehrsmittel gewechselt - bevor es wieder mit dem Bus weiterging.
Über Loch Tull machten wir einen Halt und blickten von der Anhöhe (Loch Tulla View) noch einmal gen Süden, bevor wir ins Rannoch Moor fuhren. Bei einem Fotostopp hier fiel Gästen gleich auf, wie der Torfboden federte. Noch drei Fotostopps am bzw. im Glen Coe (an seinem Eingang, am Allt Lairig Eilde-Wasserfall und am Drei-Schwestern-Aussichtspunkt) und wir erreichten bald unser am Loch Linnhe, einem Meeresarm, gelegenes Hotel. Als Reiseleiter kann ich da nicht mitreden, da meine Aussicht nicht gerade berauschend war, aber die meisten Gäste hatten wohl eine atemberaubende Aussicht auf den spiegelglatten "Fjord".

Buskilometer: 159 km




*For I'll take the high road,
And you'll take the low road,
And I'll be in Scotland afore ye
For me and my true love will never meet again
On the bonnie, bonnie banks o' Loch Lomon'.

*denn ich werde die hohe Straße (die Straße der Engel) und du wirst die niedrige Straße (die Straße der Lebenden) nehmen und ich werde vor dir in Schottland sein, denn ich und meine wahre Liebe werden uns niemals wieder an den lieblichen Ufern des Loch Lomond treffen - so singt es der fiktive zum Tode verurteilte Jakobit seinem amnestierten Zellengenossen vor.


Sonntag, 31. Juli: Aonach Mor, Neptun's Staircase und Glenfinnan

Unser erstes Ziel für heute war der Aonach Mor, ein Berg, der im Winter von Skifahrern, im Sommer von Mountainbikern für ihre sportlichen Aktivitäten genutzt wird. Und eben von rüstigen Wanderern wie uns. Wir teilten uns in zwei Gruppen auf und liefen zu den beiden Aussichtpunkten, erst dem einen und dann dem anderen. Vom Aonach Mor aus kann man nach Fort William sehen, am Ende des Loch Linnhe und zu dessen Fortsetzung Loch Eil, ein Arm von einem Meeresarm, ca. 70 - 75 km vom offenen Meer entfernt. Und man kann einen Blick auf Loch Lochy, einem der vier großen Seen in der Great Glen Fault, einer geologischen Verwerfung werfen. Die Great Glen Fault setzt sich über Loch Linnhe bis Irland fort und ist am Ende eigentlich ein Stück über den Atlantik gewandertes Amerika (so setzen sich auch die Appalachen im Osten der USA in Teilen der schottischen Highlands fort).

Nach unseren beiden Kurzwanderungen dort und derjeweiligen Aussicht "ins Tal" begaben wir uns zu Neptun's Staircase. Offiziell lautet der Name dieser aus acht Schleusen bestehenden Schleusentreppe des kaledonischen Kanals, der durch das Great Glen führt, Banavie Locks (Schleusen von Banavie). Die Banavie Lokcs wurden 1811 von Thomas Telford, dem Erbauer des Kaledonischen Kanals fertiggestellt. Der Kanal insgesamt wurde erst 1822 eröffnet. Er sollte Seeleuten die gefährliche Umseglung der Nordspitze Großbritanniens ersparen und den Handel fördern. Heute ist der Kanal vor allem ein von Seglern und Kanuten genutzes Gewässer.

Wir sahen ein wenig beim Schleusen zu und einige unterhielten sich mit einem deutschen Bootskapitän, der eben aus der irisschen See kam und sich jetzt via Kaledonischem Kanal auf dem Rückweg in die Heimat befand. Um 15:00 Uhr wollten wir am Glenfinnan-Denkmal sein, um den Hogwar.... Jacobite Steam Train dort zu sehen. Doch, oh weh, ich war eben auf dem Weg zurück zum Bus, als ich eine sich schnell nähernde Dampfwolke aus Richtung Fort William kommen sah. Der Jacobite! In Schrittgeschwindigkeit fur er dann an den Banavie Locks vorbei. Hatte ich mich mit der Uhrzeit vertan? Eine schnelle Internetrechereche beruhigte mich: Es fuhren zwei Züge pro Richtung, die Uhrzeit stimmte.

Während wir am Parkplatz auf das Eintrudeln der letzten Gruppenmitglieder warteten, vertrieb sich Gabi die Zeit mit Schaukeln auf dem Kinderspielplatz. Dann ging es endlich weiter zum Glenfinnan Monument und Viaduct.

Das Glenfinnan Monument liegt - bzw. steht - am Ufer des Loch Shiel. Früher kamen die Leute hierher, weil dies der Ort war, an dem Bonnie Prince Charly (Charles Edward Stewart, the young Pretender) im vierten jakobitischen Aufstand seine Standarte erhoben und den Clanchefs die Treuschwüre abgenommen hatte. Oder weil man als technisch Interessierte vom Eisenbahnviadukt begeistert war. Außerdem ist es hier landschaftlich ziemlich schön. Heute kommen die Leute hierher mit Zauberstäben und Harry Potter-Devotionalien. Das Glenfinnan Viaduct ist schon häufiger in Filmen und Serien Kulisse gewesen. Aber wahrscheinlich hat es nie so eine Bekanntheit erfahren, wie durch die Harry Potter-Filme, in denen regelmäßig der Hogwarts-Express über die Brücke braust, begleitet von einem verzauberten Auto oder bedroht von den jegliches Lebensglück aussaugenden Dementoren.
Beim letzten Mal, als ich hier war, kam mir der Weg bis zum Glenfinnan Monument ewig weit vor, daher überschätzte ich die Strecke. Nun waren wir recht früh hier - fast anderthalb Stunden vor der erwarteten Zeit der Zugdurchfahrt -, was eigentlich ganz angenehm war. Nie zuvor hatte ich hier mit einer Gruppe so viel Zeit. Wir hatten keine festen Termine mehr, die wir wahrnehmen mussten, lediglich das Endspiel der Europameisterschaft im Frauenfußball wartete auf uns. Und so hatten wir Zeit ein wenig herumzuspazieren, bevor das große Ereignis herannahte. Und plötzlich sah ich eine junge Dame mit einem Schlüssel, die vier amerikanische Touristen auf das Glenfinnan Monument hinauf ließ. Das hatte ich bisher immer nur verschossen gesehen. Fragen kostet ja nichts. Ob ich wohl auch hinaufdürfte?
"Hm... im Augenblick nicht, aber komm mal in zwanzig Minuten wieder, vielleicht kann ich dich ja dann hineinhuschen lassen."
Okay. Zwanzig Minuten später war ich wieder da. Nun standen da zwei junge Männer, Deutsche, wie sich herausstellte. Die junge Dame nahm ihnen jeweils 5 Pfund ab. Also gab ich ihr denselben Preis. Aber ich bin mir - fast - sicher, dass ich, wenn die anderen nicht dort gewesen wären, "für umme" hinaufgekommen wäre, denn mir hatte sie zuvor keine Preisforderung unterbreitet. Einmalige Gelegenheiten sollte man nutzen, also hoch!
Mittlerweile hatte sich die Gruppe auf dem Aussichtshügel für das Glenfinnan Viaduct weitestgehend in Stellung gebracht, um die Ankunft des Dampfzuges zu erwarten, der auch mit einigen MInuten Verspätung eintraf. Während die einen den Jacobite Steam Train sahen, sahen andere ganz eindeutig den Hogwarts Express.
Wenig später waren wir in Fort William, was für den Einkauf und von enigen auch für einen kurzen Stadtspaziergang genutzt wurde. Weil einige aus der Gruppe das Endspiel sehen wollten, gab ich nur wenig Zeit, zumal ich Fort William als nicht besonders reizvolle Stadt in Erinnerung hatte. Die Spaziergänger, die trotzdem bis in die Stadt gelaufen waren, widersprachen mir nach ihrem Spaziergang in dieser Einschätzung.

Abends im hoteleigenen Pub war es zunächst ein kleiner Kampf darum, den richtigen Fernsehkanal für das Spiel zu finden, da dieses im Pub nur über Internetfernsehen zu empfangen war. Aber letztlich sahen wir die zweite Halbzeit mit beiden Toren. Während der Verlängerung war unser Abendessen terminiert, so, dass die bitteren letzten Minuten, in denen die englischen Spielerinnen ihre deutschen Konterparts klar dominierten nur sehr am Rande wahrgenommen wurden. Aber ich glaube, wir waren uns weitgend einig, dass die deutschen Spielerinnen ein gutes Turnier gespielt haben und konnten ihre nur knappe Niederlage gegen die Engländerinnen gut verknusen. Zumal es ja auch gegen Österreich - viele Grüße an Karin und Peter an dieser Stelle - nur ein knapper Sieg für die deutsche Mannschaft war.

Buskilometer: 106 km


Montag, 1. August: Monster Drive

In unserer Lodge on the Loch am Loch Linnhe hatten wir nun schon zwei Nächte an der Great Glen Fault genächtigt, heute führte uns unser Weg tiefer in sie hinein - und wieder hinaus.
Unseren ersten Haltepunkt wählten wir am Commandos Monument, welches 1952 in Erinnerung an die Spezialeinheiten errichtet wurde, die im Hinterland von Fort William für Sondereinsätze im Zweiten Weltkrieg ausgebildet wurden. Von hier aus hat man auch einen guten Blick auf den Ben Nevis, sofern dieser nicht wolkenverhangen ist.

Weiter ging es vorbei an den verschiedenen Lochs des Great Glen, bis wir endlich am Urquhart („Örket“) Castle ankamen, dem Hot Spot für Beobachtungen des Wesens mit dem wissenschaftlichen Namen Nessiteras rhombopteryx. Hm... es war kurz vor 11:00, um 11:30 sollte unser Boot gehen. Kaum Zeit sich die Burg oder den Einführungsfilm anzusehen, auf die Toilette zu gehen, im Shop zu stöbern etc. Ich sprach noch mal mit den Mitarbeitern, ob wir nicht ein Boot eine Stunde später nehmen könnten. „Theoretisch ja, aber nicht zum Dochgarrach Lock, sondern zum Clansman Hotel.“ Naja, Hauptsache, die Gäste haben Zeit, sich Urquhart Castle anzuschauen. Also WhatsApp geschrieben, Teilnehmer abgefangen und gesucht und die Schiffsfahrkarten ausgetauscht.

Urquhart Castle ist eine mittelalterliche Burg mit einer wechselhaften Geschichte, die womöglich über das Mittelalter hinaus in die Vergangenheit reicht und deren zumindest militärische Geschichte im 17. Jhdt. mit der Sprengung des Torhauses endet. Die Burg hatte zwei Zugänge, einen von der See- und einen von der Landseite. Eines ihrer jüngsten Bauwerke war ein Towerhaus.

Wir verließen die Burg also per Boot, wobei das nicht ganz korrekt ist: die heutigen Bootsanleger sind von der Burg aus nur durch das Landtor zu erreichen. Wer wollte konnte sich an Deck den Wind um die Ohren wehen lassen und in der Sonne brutzeln. Wer aber nicht stolz von sich behaupten wollte „I got sunburnt in Scotland“ („Ich habe mir in Schottland einen Sonnenbrand geholt“), suchte sich ein schattigeres Plätzchen unter Deck.

Am Clansman Hotel probierten wir erst einmal Irn Bru (schott. für Iron Brew, Eisenbräu), die Limonade, die in Schottland häufiger verkauft wird, als Cola. Dann ging es weiter zur Mündung des Ness, das heißt Inverness nämlich auf Deutsch. Dort besuchten wir gemeinsam die Kathedrale, überschritten eine Fußgängerbrücke über den Ness und lösten uns auf. Also nicht physisch, sondern als Gruppe.

Am späteren Nachmittag fanden wir uns alle wieder zusammen und fuhren in unsere neue Unterkunft nach Kingussie.
Dort hatte die Gruppe am Abend Spaß ei Livemusik und Tanz. ("Wir" haben den Ballsaal gerockt!)

Buskilometer: 194 km (allerdings sind hier Kilometer mitgezählt, die wir auf Loch Ness im Boot überwunden haben)


Dienstag, 2. August: Speyside

Heute ging es nach Speyside. Speyside ist berühmt für seine vielen Whisky-Destillerien und natürlich - was denn sonst! - wollten wir eine besuchen. Schon auf dem Weg dahin kamen wir an vielen Destillerien vorbei, u.a. der von Chivas Regal. Unser Ziel war aber die GlenGrant-Destillerie.
Zunächst aber hielten wir an der Horse Pack Bridge in Carrbridge. Dort probierten wir als Einstieg in den Tag einen Auchentoshin, einen Whisky, der wegen seiner Milde als "Frühstücks-Whisky" belächelt wird. Slaínte! ("ßlontscha")

Dann fuhren wir weiter. Da wir gut in der Zeit lagen, machten wir noch einen Halt in Charlestown of Aberlour und taten uns ein wenig in diesem Örtchen um. Dann ging's weiter. Mit zwanzig Minuten Vorlauf, um 12:10 Uhr, erreichten wir die Glen Grant-Destillery. Ja Pustekuchen! "Wir haben euch um 10:00 Uhr erwartet!" Stress bei den Mitarbeitern im Visitor Center der Whisky-Destille. Nun mussten wir uns in drei statt zwei Gruppen splitten und den Whisky gab es statt zur Belohnung nach der Tour bereits zur Einstimmung vor der Tour. Zweierlei Whiskyse gab es, um genau zu sein.

Nachdem alle drei Gruppen ihre Tour durch die Destillery beendet hatten, fuhren wir weiter in Richtung Culodden Battlefield, nicht ohne vorher beim piktischen Stein Sueno's Stone angehalten zu haben. Dieser Stein aus dem 9. Jhdt. zeigt nach Meinung der Experten eine Schlacht. Man weiß nur nicht genau, ob zwischen Skoten und Pikten, ein skotisch-piktisches Heer gegen die Wikinger oder doch noch einer weitere Schlacht. Aufgrund der Darstellung einer bogenartigen Struktur, die man als Brücke interpretiert, unter der eine Figur liegt, glauben manche, die Darstellung einer konkreten Schlacht des Jahres 966 zu erkennen, in der König Dubh ("Daff") ums Leben kam, der unter einer Brücke bestattet wurde.

Dann sprangen wir 900 Jahre weiter nach Culodden Battlefield. Dort war es ziemlich windig und so waren die meisten von uns recht schnell wieder im Bus. Ein paar schauten sich noch das Gehöft und die Grabmale für die Gefallenen (1.500 Jakobiten und 100 Hannoveraner) an. Dann ging es zurück in unser Hotel in Kingussie.

Buskilometer: 225 km


Mittwoch, 3 August: Zur Black Isle und zurück nach Speyside

Unser erstes Ziel heute war Chanonry Point. Die Kanoniker-Spitze. Eine Halbinsel die in den Firth of Moray hineinragt. Sie hat ihren Namen, weil die Kanoniker von Fortrose (dort gab es eine Kathedrale) dort immer spazieren gingen. Fast im Gänsemarsch folgten wir der Straße, die zwischen den Löchern des Golfplatzes herführte. Auch heute war es wieder etwas windig, damit mussten die Golfspieler klarkommen. Unser Ziel war die Spitze von Chanonry Point. Der Musiker von vorgestern hatte uns vorgewarnt: Delphine seht ihr nur bei Flut und die läuft erst gegen 14:00 auf. Hm... trotzdem liefen wir dorthin. Vielleicht würden wir wenigstens eine Kegelrobbe sehen.

Nun, einige nutzten die Chance zu einem Strandspaziergang, andere harrten aus und sahen tatsächlich eine Kegelrobbe, die neugierig ihren Kopf aus dem Wasser streckte und schaute, was am Strand los sei. Iris hatte wohl die schärfsten Augen und entdeckte sie als erstes.

Kurz bevor wir wieder gingen, sahen wir doch noch ein paar Delfine. Wenigstens vier.

Einige hatten sich am Strand entlang auf den Rückweg gemacht, merkten dann aber rechtzeitig, dass sie rechtzeitig abbiegen mussten, zumal Tahir mit dem Bus ein Stück näher an den Strand gekommen war, um uns ein paar Minuten des Rückwegs abzukürzen.

Unser nächster Stopp war dann die Black Isle Brauerei. Hier erfuhren wir von der jungen Frau, die uns durch die Brauerei führte, dass einer der beiden Braumeister vor Ort ein Deutscher sei. Die vor zweiundzwanzigJahren gegründete ökologische Brauerei ist mittlerweile so erfolgreich, dass sie sich vergrößern und deswegen musste. Einen Teil ihrer Gerste baut sie selber an.

Was uns etwas irritierte, war, dass man im Shop der Brauerei keine Flaschen, sondern nur Dosen sah, in Deutschland ist Dosenbier ja nun gerade kein Merkmal für hochwertige Biere. Die junge Frau erklärte uns, dass Bierdosen leichter zu recyclen wären und daher in Großbritannien die ökologischere Variante. Ein Pfandsystem, wie in Deutschland, wo eine Glasfalsche durchschnittlich zehn Mal wieder befüllt wird, gibt es eben nicht.
Nachdem wir einige Erzeugnisse der Black Isle Brauerei probiert hatten - um genau zu sein vier von fünf - brachte Götz uns um unser Stout. Er wolle Scotch Ale probieren, sagte er der jungen Frau, die uns durch die Brauerei geführt hatte und uns nun unser Bier kredenzte. Sie hatte schon die Stout-Dose in der Hand gehabt, schaute ihn an und sagte: "okay". Und so kamen wir zu Scotch Ale. Auch lecker.

Nachdem sich gefühlt drei Viertel mit Merchandising Produkten oder Bier der Brauerei eingedeckt hatten ging es weiter. Die Wege, die wir nun fuhren, waren uns nicht ganz unbekannt, fuhren wir doch jetzt zur Speyside Cooperage, nur drei Kilometer von der Glen Grant-Whiskybrennerei entfernt, wo wir gestern erst gewesen waren. Die örtliche Agentur hatte aus unbekannten Gründen die beiden Tage vertauscht, so dass wir doppelte Wegstrecken fuhren. Nun also ging es wieder nach Speyside. Die Speyside Cooperage ist eine Großküferei, welche Whiskyfässer repariert. Ein Whiskyfass ist ein ehenmaliges Weinfass (Port oder Sherry), in dem Whisky über mindestens drei Jahre lagert. Aber nach oben ist das Ende immer offen, je länger ein Whisky im Fass lagert, desto mehr Geschmack nimmt er von den Eichenfässern auf und desto runder wird er. Schade nur ist, dass solche Whiskys, die im Fass sehr alt geworden sind, kaum mehr getrunken, sondern als Geldanlagen erworben werden, so teuer werden solche Whiskys dann.
Im Idealfall bleibt ein Fass in seiner Einheit erhalten. Nur selten wird es in dem Sinne repariert, dass neue Hölzer dazu kommen. Wobei "neu" relativ ist. Wenn ein Fass nicht mehr reparabel ist, bei einem anderen Fass eine Daube ersetzt werden muss, dann wird die Daube von dem nicht mehr reparablen Fass genommen. Voraussetzung ist dabei, dass die Fässer aus derselben Brennerei stammen und am besten auch bereits von derselben Bodega aus Spanien oder Portugal bezogen wurden. Fässer, die nicht mehr reparabel sind, werden also ausgeschlachtet, um Dauben zu recyceln, was nicht mehr für Fassreperaturen eingesetzt werden kann, wird zu Souvenirartikeln für Whiskybegeisterte umgearbeitet.

Kurz bevor wir an der Speyseide Cooperage ankamen, fuhren wir an der John Dewar & Sons Ltd. Craigellaiche Destillery vorbei, die ihre vier Stills (Destillierkolben, wenn man so will) zur Straße hin präsentierte. Ganz anders, als manch andere Brennerei, die verbietet, dass man ihre Stills fotografiert ("wegen Betriebsgeheimnis"). Und kurz nachdem wir die Speyside Cooperage in Richtung Aberdeen verlassen hatten, kamen wir an der wohl bekanntesten Brennerei für Scotch Single Malt vorbei: Glenfiddich.

Abends betteten wir unser Häupter in Aberdeen.

Buskilometer: 291 km

Donnerstag, 4. August: Die Sonne beißt in Silver City auf Granit, wir herzhaft in Highland Beef. Oder: 24 Usurpationen auf dem Stone of Scone

Der Tag fing mit Rita an. Bei Rita handelt es sich um eine kleine, aber führungsstarke berentete ehemalige Beamtin aus Aberdeen, die in der Wirtschaftsförderung der Stadt tätig war. Heute arbeitet sie als örtliche Fremdenführerin. Rita, sprach zwar nur englisch, aber eines, so klar verständlich, dass sie mir gar nicht schottisch erscheinen wollte. Doch, doch, aber sie sei nicht aus Aberdeen, sondern käme aus den Borders, den Grenzgebieten zu England.

Bisher waren wir auf der Reise ziemlich sonnenverwöhnt gewesen, aber ausgerechnet heute, wo Rita uns die Silver City Aberdeen zeigen wollte, war es diesig, so, dass der Glimmer im Granit (Feldspat, Quarz und Glimmer - das vergess ich nimmer) der Häuser nicht so zum tragen kam.

Zunächst fuhren wir durch die betuchteren Viertel, wo Rita sich keine Wohnung leisten konnte, um dann einen ersten Halt in Footdee zu machen. Footdee liegt zwischen Aberdeens Hafen und dem Meer, es ist eine ehemalige Fischersiedlung, die, als der Hafen erweitert wurde, Anfang des 19. Jhdts. an der Hafeneinfahrt zwischen Strand und Hafenn neuerrichtet wurde.

Dann schauten wir uns Ritas ehemaligen Arbeitsplatz an, Aberdeens City Council und das größte Granitgebäude Schottlands - aus lokalem Granit errichtet. Es sei das zweitgrößte Granitgebäude Europas, nur der Klosterpalast El Escorial, auerhalb von Madrid, sei größer. Von dort war es nicht weit zum Haus des Lord Provost von Aberdeen. Irgendwie kamen wir auf den Krieg zu sprechen, ob Aberdeen als Zentrum der britischen Hochseeölförderung nicht Im Zweiten Weltkrieg von Deutschen angegriffen worden sei. Rita, die "don't mention the war, if your are with Germans" (Sprich nicht über dne Krieg, wenn du mit Deutschen unterwegs bist) eingeschärft bekommen hatte, erzählte, dass der deutsche Staffelkommandant, der Aberdeen angreifen sollte, die Stadt lieber zeichnete und seiner Frau - die aus Footdee stammte - versprochen hatte, einen ihrer Leute zu töten, somit verschonte er Aberdeen.

Am früheren Leprosorium (Spital) vorbei fuhren wir zum King’s College. Diese mittelalterliche Universität war vom Bischof Willam Elphinstone 1495 gegründet worden, dessen Kenotaph auf der Wiese vor der zugehörigen Kapelle stand. James IV. wurde zu ihrem wichtigsten Geldgeber und ca. 20 Jahre nach ihrer Gründung nahm die Universität, die drittälteste Schottlands und sechsälteste der britischen Hauptinsel ihren Betrieb auf.

Unser letzter Halt mit Rita war bei der St. Machars Cathedral. Draußen auf dem Friedhof beantwortete Rita noch geduldig interessierte Fragen, bevor sie uns in Richtung Aberdeenshire Highland Beef Experience entließ. Hinter diesem Namensungetüm versteckt sich ein auf die Zucht der zotteligen Highlandrinder spezialisierter Bauernhof im Hinterland von Aberdeen, der von Mutter Grace, Tochter Beth und - als eigentlicher Chefin des Betriebs - der Hofkatze betrieben wird.

Unser erstes Ziel auf dem Hof war der Kuhstall.

Moment!!! Kuhstall?!? Wozu benötigen Highland Cows einen Stall?!? Benötigen sie nicht. Wie Grace uns erklärte, benötigt das Highland Cattle den Menschen so gut wie gar nicht. Nicht einmal als Geburtshelfer. Im Stall standen „nur“ einige ihrer preisgekrönten Laufstegmodelle. Denn Grace nimmt regelmäßig mit ihren Tieren an Landwirtschaftsmessen mit Schönheitsmessen für die Tiere teil. Bewertet wird die Wuchsform der Hörner, die bei Highland Cattle sehr imposant werden, die Geradlinigkeit des Rückens und der Fransenfall des Fells. So werden die Tiere stetig mit Babyshampoo shampooniert und gebürstet. Eigentlich fressen die Tiere lieber frisches Gras, als Heu. Aber ihr Aufenthalt im Stall wird Ihnen mit Kartoffeln versüßt, was die Tiere auch wissen, so bugsieren sie das Heu mit der Nase auch mal auf der Suche nach den Kartoffeln aus dem Trog heraus.
Präsentiert wurden uns zwei Färsen und eine dreijährige Kuh, die schon mehrere Preise gewonnen hatte. Unsere volle Aufmerksamkeit galt aber zunächst dem dritten Modell, hier konnten die Paparazzi unter uns kaum an sich halten: Modell Nr. 4 - bzw. Nr. 1, denn sie stand in der ersten Box - präsentierte ihren Nachwuchs stolz der internationalen Presse, sie hatte erst vor zehn Tagen gekalbt und das Kalb war ja soooooo süüüüüüühüß! Zum Anknabbern. Aber das Knabbern kam erst später.

Zunächst durften wir die dreijährige Kuh bürsten. Grace zeigte uns, wie‘s ging. Dann präsentierte Grace uns noch ihre Pferde, ein Zwergpony, ein irisches Connemara sowie, ihren offensichtlichen Favoriten, einen auf’s Wort hörenden Wallach schottischer Herkunft: ein Clydesdale. Clydesdale Horses sind Arbeitsgäule mit einem recht hohen Stockmaß, auffällig stark behaarten Läufen, deren Hinterläufe sehr nah beieinander stehen, da ihre Aufgabe früher darin bestand, den Pflug hinter sich her zu ziehen.

Jetzt ging es ans Probieren. Während Grace uns durch die Stallungen geführt hatte, hatte Beth die Hintergrundarbeiten verrichtet. Sprich Sie hatte Plätzchen hingestellt, Kaffee gekocht und Fleisch zubereitet. Echtes, ökologisches Highland Beef wurde uns mundgerecht serviert. Und Hofkatze Belle wusste natürlich auch Bescheid - wobei sie wohl eher auf Streicheleinheiten, denn auf eine Portion Fleisch aus war. Sie bekam beides.

Unser nächstes Ziel war der Scone Palace. Tahir, in Sachen „Einfahrt verboten“ manchmal etwas eigen, fuhr zunächst in den Park hinein, im dann festzustellen, dass das tatsächlich nicht der Weg zum Besucherparkplatz war. Also kehrtgemacht und die zwei Kilometer zum offiziellen Besuchereingang gefahren. Das Tor war schon ziemlich schmal, aber der Bus passte hindurch. In den ersten beiden Sälen bekamen wir Erklärungen zum Schloss und seinem Inventar eine dritte angekündigte Erklärung erhielten wir nicht und erschlossen uns die Räume selbst. Der Scone Palace imitiert zwar das Aussehen einer mittelalterlichen Burg, ist aber tatsächlich noch nicht so alt, wobei seine Erbauer sich bei der Raumgestaltung an den Ruinen der Abtei, die hier gelegen hatte, orientierten und so teilweise sogar ebenerdige Fußböden erhielten.
Wie viele Schlösser in Schottland ist auch dieses noch bewohnt. Das Erdgeschoss und der Keller werden touristisch genutzt, die oberen Etagen sind der Familie vorbehalten und unzugänglich.

Auf dem Moot Hill, direkt vor dem Palast hat die Familie ihre Grabkapelle errichtet. Dieser Moot Hill ist der Ort gewesen, wo sich bis zur Eroberung Schottlands durch Edward I. (the Hammer of the Scots, der Schottenhammer) der Stone of Scone befand, angeblich das Kissen des biblischen Patriarchen Jakob, das aus Irland mitgebracht worden sein soll und welches als Krönungsstein gebraucht wurde. Mindestens seit Kenneth McAlpin, Legenden nach auch früher mussten die schottischen Könige auf diesem Stein sitzend gekrönt werden. Edward I. entführte den Stein nach London, wo er über die Jahrhunderte in Westminster Abbey in den königlichen Thron eingebaut war, bis er Weihnachten 1950 von vier schottischen Studenten, die sich über Nacht in Westminster Abbey hatten einschließen lassen entwendet wurde. Vier Monate später wurde der Stein wieder zurück nach Westminster gebracht, seit 1996 liegt er in Edinburgh Castle.
Gerüchten zufolge kam 1951 aber nicht der originale Stein zurück nach Westminster und liegt somit auch heute nicht bei den schottischen Kronjuwelen in Edinburgh Castle (der Stein muss im Übrigen bei der nächsten Königskrönung wieder in London sein), sondern eine Kopie. Manche meinen allerdings auch, dass bereits 1295 Edward ein falscher Stein untergejubelt worden sei - dagegen spricht aber, dass weder Robert the Brus mich einer seiner Nachfolger - jemals Anspruch darauf erhob, Zugang zum Stone of Scone zu haben. Unzweifelhaft ist, dass der Stein, der in Edinburgh Castle liegt, aus der Umgebung von Scone stammt.

Einigen wir uns darauf, dass die Replik in Edinburgh liegt und das Original an seinem angestammten Platz auf dem Moot Hill steht. Der Verfasser dieser Zeilen setzte sich darauf und rief sich zu Andreas I. von Schottland aus. Aber dieser Anspruch blieb nicht unangefochten. Am Ende gab es ca. 25 neue schottische Königinnen und Könige in kurzer Folge mit teils nur wenige Sekunden währenden Regierungszeiten. Schlimmer als bei MacBeth.

Nachdem jede, die und jeder, der wollte, einmal schottische Königin oder schottischer König geworden war, fuhren wir standesgemäß mit unserer Fünfzehn-Meter-Kutsche in Richtung des königlichen Edinburgh weiter, nicht ohne während der Vorbeitfahrt an Loch Leven einen schaudernden Blick auf die Insel zu werfen, auf der bis heute die Ruine der Burg steht, in der unsere Standesgenossin Mary Stuart so schmachlos gefangen saß.

Wenig später standen wir am Aussichtspunkt der drei Brücken über den Firth of Forth in South Queensferry und schauten auf das Panorama, welches von Firth of Forth [Rail] Bridge (1890), Firth of Forth Road Bridge (1964) und Queensferry Crossing (2017) geschaffen wird.

Abends aßen wir nach einem kurzen Spaziergang durch Edinburgh indisch.
Buskilometer: 233

Freitag, 5. August: Edinburgh

Tilmann, ein deutschen Theaterwissenschaftler, der vor zwanzig Jahren in Edinburgh ein oder zwei Semester verbracht hatte und der inzischen dauerhaft in seine Lieblingsstadt übergesiedelt ist, brachte uns die schottische Kapitale näher. Zunächst fuhren wir durch Newtown, am Amtssitz der schottischen Premierministerin Sturgeon vorbei. Newtown war nach der Union von England und Schottland gegründet worden, nachdem die reichen Adeligen und Bürger aus der Enge der überbevölkerten und engen, aber geschützen Altstadt aussiedeln konnten. Anstatt mit Angehörigen jeglicher Gesellschaftsschicht in engen Hochhäusern (die mittelalterlichen Häuser Edinburghs hatten bis zu zehn Stockwerken) zu leben, konnten sie sich jetzt in großzügig angelegten Bürgerhäusern ausbreiten, was auch Gestalten wie William Brodie anlockte, der tagsüber als Kunsttischler in den Bürgerhäusern arbeitete und nachts dort einstieg, um seine Spielschulden zu bezahlen. Brodie bot Stevensons Vorlage für seinen Roman über Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Am Calton Hill stiegen wir aus: Tilman erklärte uns die Gebäude von Calton Hill und die Stadt von dort.
Einen weiteren Ausstieg hatten wir unten am schottischen Parlament, dessen Besuch Tilmann uns sehr empfahl.
Wir beendeten unsere Stadtrundfahrt im Edinburgher Stadtschloss - Edinburgh Castle - hier verabschiedeten wir uns von Tilmann. Neben zwei Museen von schottischen Regimentern kann man hier das ehemalige Burggefängnis besichtigen, einen Thronsaal und Gemächer James VI. bzw. Mary Stuarts und natürlich die schottischen Kronjuwelen, einschließlich des Schicksalssteines (Stone of Destiny), wie der Coronation Stone oder Stone of Scone, Jakobs Kopfkissen, auch genannt wird.

Das älteste noch erhaltene Gebäude des Komplexes ist die romanische Margareth's Chapel, den zentralen Innenhof schließt ein recht monumentales, begehbares Denkmal für die Gefallenen der in der Burg beheimateten Regimenter der beiden Weltkriege ab.

Jetzt hatten wir erst einmal Freizeit, die jeder für sich individuell gestaltete, bevor wir Abends mit dem größten Teil der Gruppe das Royal Military Tattoo (RMT) besuchten.

Der Einlass lief dieses Jahr erstaunlich schnell. Kaum standen wir in der Schlange, waren wir auch schon im Innenbereich, bereit unsere Sitzplätze einzunehmen. Nur was die Getränke anbelangte, so konnten nur diejenigen welche erwerben, welche die PIN ihrer Kreditkarte parat hatten, ohne PIN lief nichts. Aber gut, eine Dose Innish & Gun's (wir hatten ja schon gelernt, dass man in Großbritannien ein anderes Verhältnis zu Getränkedosen hat, als in Deutschland), kostete auch 6 Pfund, also ein recht stolzer Preis, der etwa 7 Euro entpricht. Auch Wein oder Prosecco wurde in denselben Behältnissen gereicht.

Die ganze Show begann mit einem jungen Mann, der auf einem Eimer spielte und von den Ordnungskräften nicht gepackt werden konnte; der von ihm gespielte Rhytmus wurde dann von uniformierten Trommlern übernommen. Die übliche Eingangszeremonie des RMT mit Vorstellung des Vorsitzenden, dem ein Quaich (eine flache, zweihenkelige Silberschale) mit Whisky gereicht wird, fiel aus.

Nach einem amerikanischen Musikchor stürmten aztekische Krieger den Platz und die Wanderung der Monarchfalter wurde dargestellt, wobei jeder Monarchfalter auch gleichzeitig den Tod bzw. - im Spanischen ist der Tod feminin, "la muerte" - _die_ Tod darstellte. Auch Evergreens des RMT, wie das amerikanische Wachbataillon, welches mit seinen Gewehren mit aufgepflanzten Bajonetten jonglierte oder die Schweizer Trommler von Top Secret waren wieder da. Und natürlich jeden Menge schottischer Hochlandregimenter in verschiedenen Clanfarben, mit Kilt und Plaid und Bärenfellmütze, Trophäen aus Indien und Afrika Umhänge aus Tiger-, Löwen und Leopardenfell (wobei man ja hofft, dass diese huete künstlich hergestellt sind), trommelnd und dudelsackspielend. Eine mexikanische Bigband gab ihr Bestes und die schottischen Tänzerinnen (überwiegend) und Tänzer (vereinzelt) übten sich in Synchronspringen. Auch die Lichtshow auf den Mauern von Edinburgh Castle war mal wieder rechht stimmig gelungen.

Das Ende der Veranstaltung läutete wieder der lonesome Piper, der einsame Dudelsackspieler von den Zinnen der Burg aus ein. Ein letztes Mal defilierte die ganze Mannschaft, von Feuerwerk begleitet, an den Zuschauerrängen vorbei. Mit britischer Geduld (Queuing) leerte sich das "Stadion".
Buskilometer: 7 km

Samstag, 6. August: The Borders

Für heute stand eine Fahrt in die blutgetränkten Ländereien der Borders an. Hier - auf schottischer und englischer Seite hatten die meisten kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den mittelalterlichen Königreichen stattgefunden. In der Hoffnung, dass wenigstens Kirchengüter resprektiert würden, hatte im 12. Jhdt. der schottische König David I. in den Borders eine ganze Reihe Klöster gegründet. Vor allem entlang des Tweed, der ja als Grenzfluss zwischen Schottland und England gilt (Melrose und Dryburgh), ganz in der Nähe auch Jedburgh, am Jed gelegen, einem Zufluss des Teviot, der wiederum ein Zufluss des Tweed ist.

Wir besuchten Melrose Abbey, wo das Herz von Robert the Brus zu liegen kam. Robert the Brus hatte gegen interne Rivalen und gegen Edward II., den Sohn des Hammers of the Scots die schottische Unabhängigkeit und die schottische Krone erstritten, die Stuarts (< Stewart < Steward) waren eine Nebenlinie seiner Nachkommenschaft. Was Robert the Brus nie gelungen war, war nach Jerusalem zu pilgern (im Sinne der bewaffneten Pilgerfahrt, des Kreuzzugs). Daher bat er auf dem Sterbebett seinen Vertrauten, James Douglas (the Black Douglas), sein Herz nach Jerusalem zu bringen. Die schottische Kreuzfahrerschar um James Douglas schiffte sich in Flandern mit dem Herz des Königs im Gepäck in Richtung Heiliges Land ein, erfuhr aber in Spanien, dass der kastilische König gerade im andalusischen Córdoba einen Feldzug gegen das Königreich von Granada vorbereitete. Man belagerte die Burg von Teba, als ein muslimisches Entsatzheer von Málaga kam. Die Schotten, mit den maurischen Taktiken nicht vertraut, fielen auf eine Finte der Mauren (hit and run) herein und verfolgten die scheinbar flüchtenden Mauren, um sich plötzlich einer großen Heerschar gegenüber zu sehen. Die Kastilier hatten - vertraut mit der karr wa farr-Taktik - in ihren Positionen ausgeharrt. Von den schottischen Rittern soll angeblich keiner die Schlacht überlebt haben und das Herz des Königs kam zurück nach Schottland, wo es in Melrose bestattet worden war.
Als während der schottischen Reformation die presbyterianischen Bilderstürmer durch die Klöster zogen, versteckte einer der Mönche die bleierne Schachtel mit dem königlichen Herz, Archäologen fanden sie bei Grabungen (mutmaßlich), die Stelle ist heute mit einer flachen Mamorstele markiert.
Nach dem Besuch von Melrose Abbey, wo wir eifrig aber erfolglos das Gedicht Fontanes suchten, was dort auf einem Grabstein in englischer Übersetzung eingemeißelt stehen soll, begaben wir uns zu Scott's View, einem Aussichtspunkt, wo Sir Walter Scott so häufig gesessen haben soll, dass sein Reittier gewohnheitsmäßig von alleine dort stoppte. Es ist überliefert, dass bei seiner Bestattung der Trauerzug dort vorbei kam und sein Pferd, das den Wagen mit dem Sarg zog, dort wie üblich eine Pause einlegte.

Jetzt ging es zurück in Richtung Edinburgh. Doch kurz vor dem Erreichen der Stadt bogen wir links ab, um uns dem Dorf Roslin zu nähern, denn in Roslin liegt die Rosslyn Chapel (ja, Dorf und Kapelle tragen zwar den gleichen Namen, werden aber tatsächlich unterschiedlich geschrieben). Anders als man meinen könnte, ist der Name nicht mit Röslein zu erklären, sondern kommt aus dem Keltischen. Rosslyn Chapel ist ein wirkliches Juwel und zu Recht berühmt, auch wenn es vielen vermutlich als Handlungsort von Dan Browns Da Vinci Code bekannt ist. Nun, anders als bei Dan Brown hat die Kapelle mit den Tempelrittern nichts zu tun, sondern wurde von einem lokalen Adeligen für seine Familie errichtet und überlebte die schottische Reformation, die so viele Kirchen und Klöster ikonoklastisch heimsuchte, auch wenn in ihr jahrhundertelang keine Gottesdienste stattfanden. Die Verzierungen und versteckten Botschaften in der Kapelle kann man sich vor Ort dank zur Verfügung gestellter Materialien erschließen.

Zunächst aber waren wir zu früh dort. Nun ja... wir hatten nur die zwei Termine heute gehabt und viele Gäste wollten den Nachmittag in Edinburgh beim Fringe, Sightseeing oder Shopping verbringen. Aber, so sagte uns der Verantwortliche, er könne uns nicht vor 15:00 reinlassen. Uff! Wir spazierten einmal um das Gelände herum (was wir sonst wahrscheinlich nicht getan hätten). Einige der Gruppe waren schon drauf und dran, ohne die berühmte Kapelle gesehen zu haben, zurück nach Edinburgh zu fahren, aber Magdalena, Doreen und Karin wollten sie unbedingt sehen. Karin ging kurz entschlossen zum Verantwortlichen und erläuterte ihm ihr Leid. Sie erweichte damit sein Herz und wir durften bereits um 14:00 Uhr hinein. Bis dahin war es nicht mehr lang und so warteten wir noch. Ich hatte den Eindruck, dass die meisten ganz froh waren, dass wir doch noch drinnen waren, denn die Kapelle ist doch ziemlich sehenswert.

Zurück in Edinburgh verabschiedeten wir uns von Tahir, der uns 1.387 (tausenddreihundertsiebenundachtzig) km durch Schottland kutschiert hatte, nicht immer ganz konform mit der Straßenverkehrsordnung des Vereinigten Königreichs, mit einer leicht anarchistischen Ader versehen. Er kehrte jetzt zurück zu seiner Familie ins englische Birmingham, während wir unseren letzten Nachmittag und Abend in Edinburgh genossen.

Die Gruppe zerstreute sich wieder, mit einem kleinen Haufen besuchten wir das schottische Parlament, wie von Tilmann am Vortag empfohlen und Doreen bestieg mit mir noch Arthur's Seat.

Am Abend besuchten wir gemeinsam einen Pub, passend zum schottischen Nationalsport, The Golf Tavern, wo wir unser letztes gemeinsames Mahl genossen. Anschließend fand sich die Gruppe zu einem gemeinsamen Abschlussumtrunk in der Bar des Hotels zusammen, um die Reise gemeinsam ausklingen zu lassen. Schließlich würde ein Teil der Gruppe morgen recht früh zum Flughafen fahren.


Buskilometer: 144 km

Sonntag, 7. August: Auf nach Hause

Die ersten von uns wurden schon vor dem Frühstück abgeholt, der Rest der Gruppe war in zwei Teile geteilt, die zu unterschiedlichen Zeiten in die Heimat flogen.

Diejenigen, die wir erst mit dem dritten Rutsch zum Flughafen gebracht wurden, hatten aber immerhin Zeit, uns noch ein wenig in Edinburgh umzutun. Wir hatten uns verabredet, Holyrood Palace zu besuchen, um dort den Vormittag zu verbringen. Auch eine Ausstellung der Kleider von Queen Elizabeth II. war dort zu sehen.

Transfer: 13 km

Schlusswort

1.387 Buskilometer und 13 Kilometer Flughafentransfer macht 1.400 km, die wir gemeinsam gereist sind. Es war eine schöne Reise mit euch durch Schottland und die Highlands bei gutem Wetter - Regen fiel eigentlich immer nur dann, wenn wir gerade unter Dach waren.

Kommentare zum Reisebericht

Lieber Andreas, danke für den Reisebericht und für deine Begleitung auf der schönen Reise. Dank dir wissen wir jetzt sehr viel über die schottische Geschichte, von Mary Stuart oder doch Tudor, von Robert the Bruce,....

KARIN VYHNALIK
30.08.2022

Hallo Karin,
einigen wir uns auf Mary Studor... ;)
Liebe Grüße
Andreas

Andreas Böcker 09.09.2022

Herzlichen Dank für die Begleitung unserer Schottlandreise vom 29.07.-07.08.2022 und den umfangreichen Reisebericht.Wir wünschen Dir persönlich
alles Gute und noch viele tolle Reisen mit angenehmen Gästen.
Herzliche Grüße Gabriele und Helmut Uttrodt aus Leipzig

Uttrodt, Gabriele und Helmut
15.09.2022