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Immaterielles UNESCO-Welterbe - ein „Geschenk“ beim Reisen

Von Dr. Michael Krause, 08.04.2022
Folklore-Gruppe in Bulgarien – © Eberhardt TRAVEL
Bei unseren Reisen lernen wir nicht nur die Gebäude, Plätze und Naturregionen kennen, die zum Weltberbe der UNESCO gehören, sondern auch die vielfältigen "kulturellen Ausdrucksformen" des sogenannten immateriellen UNESCO-Welterbes. Mittlerweile gehören über 460 solcher "nicht anfassbaren" Traditionen, Fertigkeiten und Wissensspeicher zur offiziellen Liste und gelten als besonders schützenswert.

Auch der Visoko-Gesang aus Bulgarien gehört zum immateriellen UNESCO-Welterbe.

Manchmal ist es, vor allem unter dem Eindruck aktueller Ereignisse und Gegebenheiten, ganz aufschlussreich, ältere Artikel – sogar die selbstgeschriebenen - erneut zu lesen. Zum 20. Jahrestag des Beginns vom UNESCO- Programm zum immateriellen Weltkulturerbe schrieb ich vor fünf Jahren einen kurzen Artikel zu diesem Konzept. Jetzt ist das entsprechende UNESCO-Programm 25 Jahre alt und es gehören schon 463 „Objekte“, oder besser: kulturelle Ausdrucksformen, aus 124 Ländern dazu – fast 100 mehr als vor fünf Jahren und ein Vielfaches der 90 besonders erhaltenswerten, mit denen die Idee 1997 begann.

Die Zeit hat sich seither verändert, wir sind – als gesamte Menschheit – mit einer weltweit aktiven Pandemie und ihren gravierenden Folgen konfrontiert worden und erleben jüngst in Europa einen brutalen Krieg, der mit unmenschlichem Umgang zwischen Völkern, Mord und Zerstörung und wieder einmal der Vernichtung von Habe und Kulturgütern einhergeht. Sollte man unter solchen Umständen überhaupt reisen und was hat diese Situation mit dem eingangs erwähnten immateriellen Kulturerbe zu tun?

Dr. Uwe Lorenz, der Chef der Eberhardt-Reisemacher, hat in einen Artikel - etwa zur selben Zeit wie ich damals zum immateriellen UNESCO-Erbe - einen bemerkenswerten Beitrag zum Thema „Reiseveranstaltung ist Friedensarbeit“ verfasst, in dem er Reisen und Reisende auf friedliches Miteinander gerichtet und Reisen als Möglichkeit zum Kennen- und Schätzenlernen anderer und zum Erkennen der Wahrheit über die Besonderheiten anderer Völker und Länder identifiziert. Er hat die Leistungen des Verreisens gegen die Angst voreinander und für die Erkenntnis von Wahrheiten über andere herausgestellt und einen Satz geschrieben, der uns allen aus den Herzen spricht: „ Wo Reisende sind, da gibt es nur friedliche Begegnungen, gegenseitige Achtung, die Neugier auf die Kultur der Anderen, den Versuch gegenseitigen Verstehens und die Verringerung der Angst voreinander“ (Zitat Dr. Uwe Lorenz).

Straßenmusiker in Indien

Wer reist, der will genau das und wird damit, meist ohne darüber intensiver nachzudenken, auch zum Botschafter für ein friedlicheres Miteinander. Natürlich sind zunächst einmal die Hauptgründe für Reisen in andere Länder und Regionen die Erlebnisse und der Schauwert und hier hat die UNESCO mit ihren zahlreichen Auflistungen und Würdigungen besonderer Bauwerke und Naturräume eine große Menge an Wunschzielen geschaffen.

Dennoch ist aber gerade das immaterielle Kulturerbe ein oft wesentlich unterschätzter Faktor. Gerade dieses, das als überlieferte Tradition, Wissen und Praxis im Umgang mit Natur und Geistigem, in Sitten Gebräuchen aber auch kulturellen Leistungen wie Musik, Tanz oder Handwerk seinen Ausdruck findet, sagt vielleicht am meisten über die besuchten Gastgeber und ihr Leben und ihre Ansichten aus. Vielfältiger als es Bauwerke vermögen mit ihren Stilen und Intentionen oder exotische Naturräume, die besonderen Umgang erfordern, bilden die kulturellen Ausdrucksformen ein geschätztes und erhofftes Bindeglied zwischen uns als Reisenden und denen, die wir besuchen.

Dabei durchdringen die Dinge, die die UNESCO inzwischen als weltweit bemerkenswerteste Ausdrucksformen wertet, das Leben und Reisen in anderen Regionen beinahe unmerklich: nicht nur schillernde Volksfeste, ausgefallene Gesänge oder exotisches Theater – die wir gern und glücklicherweise auch recht oft – in unsere Reisen integrieren, sondern auch ganz „profane und alltägliche Sachen“ wie Landesküche oder Handwerk oder die Nutzung bestimmter Pflanzen gehören dazu. Fast unmerklich und oft wie „nebenbei“ nehmen wir sie während unserer Reisen mit auf – das Pizzabacken in verschiedenen Regionen Italiens, das Wissen um Herstellung und Genuss bestimmter Lebensmittel wie beispielsweise „Couscous“ in Nordafrika und im Nahen Osten oder Anbau, Pflege und Verwendung von Dattelpalmen ebenda – begegnen uns bei bestimmten Reisen auf Schritt und Tritt – und sie gehören zum UNESCO Weltkulturerbe!

Beduinen-Kultur in den Arabischen Emiraten - traditioneller Stocktanz der Männer

Wer bei uns und in den Nachbarländern die Technik des Blaudrucks wahrnimmt, in Indien den Sitar-Klängen eines Straßenmusikers lauscht oder in Indonesien das Batik-Textilfärben oder die Kunst des Schattenpuppenspiels kennenlernt, der ist damit solchem erhaltenswertem Kulturgut begegnet. Vieles, wie Rituale oder Festlichkeiten, die Musik oder die Kochkunst, die einem „einfach so“ im Alltag der bereisten Länder begegnen, tragen ein Stück zum Näherkommen und zum Verstehen oder zumindest zur Achtung für andere bei – und manchen dieser als selbstverständlich beim Reisen hingenommenen Kulturgüter kann man bei näherer Betrachtung auch erstaunliches Wissen und historische Hintergründe entnehmen. So ist das Wayang-Schattentheater, beliebte Abendunterhaltung auf den Inseln Indonesiens, auf eine besondere Wendung in der Geschichte des Archipels zurückzuführen: In ganz Süd- und Südostasien hatten sich in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitenwende die indische Kultur mit dem Hinduismus und dem auf ihm beruhenden Buddhismus ausgebreitet und damit auch deren Traditionen von Musik, Tanz und Theater sowie das Puppenspiel als Abendunterhaltung am Herd. Themen waren vor allem Götter- und Heldengeschichten. Als später in Indonesien der Islam seinen Siegeszug antrat, waren Darstellungen von Göttern und Menschen aus religiösen Gründen aber nicht mehr möglich. So kamen die Akteure der beliebten Puppenspiele auf eine geniale Lösung: Die Puppen wurden nicht mehr als Körper, sondern nur noch als flache Umrisse gestaltet und die Zuschauer sahen nicht mehr sie direkt agieren, sondern nur die Schatten der Figuren auf der Leinwand – genug, um Charaktere und alte Erzählungen zu gestalten, andererseits aber auch in Übereinstimmung mit den herrschenden religiösen Sitten.

Das Puppenspiel gehört in vielen Ländern zum immateriellen UNESCO-Welterbe - vom Wayan-Puppentheater in Indonesien bis zum Puppenspiel in Tschechien und der Slowakei

Beim Nachdenken über die Reisen, die ich in der Vergangenheit leitete und vielleicht noch leiten werde, bin ich auf ungewöhnlich viele „Geschenke“ des immateriellen Kulturerbes gestoßen, die uns fast zwangsläufig während unserer mit Herzblut und Landeskenntnis gestalteten Touren begegnen. In Schottland ist mit Sicherheit irgendwann ein Dudelsack zu hören, man sieht die Tartan-Muster überall und mit etwas Glück bekommt man Haggis zu essen, in Italien geht es nicht ohne Pizza, in Tunesien nicht ohne Couscous und in Israel nicht ohne Datteln… Das Schöne an diesen gelisteten Ausdrucksformen ist ja gerade, dass sie meist nicht einmal besonders herausgehoben, sondern als Bestandteile des normalen Lebens existieren.  

Kaum eine unserer Reisen ist ohne derartige Impulse, die letztlich Verständnis und die Lust zum (friedlichen) Wiederkommen befördern, denkbar. Wir sehnen alle ein Ende politisch intendierten Mordens herbei und wünschen uns, mit gegenseitigem Respekt und Freundlichkeit anderen Menschen zu begegnen. Je mehr wir die Freude an der Begegnung verinnerlichen und je mehr Menschen wir in die Bewegung des Kennenlernen einbeziehen können, um so lieber, schneller und einfacher werden wir mit dem Koffer in der Hand unterwegs sein, statt mit einer Waffe…

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